Ukraine - Nordmazedonien 2:1 Andrej Jarmolenko: Ein Bankdrücker dreht plötzlich auf

Stand: 17.06.2021 20:16 Uhr

Andrej Jarmolenko trumpft bei der EM für die Ukraine groß auf, wandelt auf den Spuren seines prominenten Trainers. Dabei hat er bei West Ham und Borussia Dortmund nie überzeugt. Warum eigentlich?

Ständig sorgte er für Gefahr, traf zur Führung, legte das 2:0 per Direktpass auf, gewann 69 Prozent seiner Zweikämpfe: Mit seiner bärenstarken ersten Hälfte hatte Andrej Jarmolenko am Donnerstag (17.06.2021) großen Anteil daran, dass die Ukraine gegen Nordmazedonien mit 2:1 gewann. Der 31-Jährige hatte schon gegen die Niederlande sehenswert per Weitschuss getroffen. In Sachen EM-Treffer schließt Jarmolenko damit zu seinem Trainer auf, der ukrainischen Fußball-Legende Andrej Schewtschenko.

Jarmolenkos Statistiken machen auch in den sozialen Netzwerken die Runde. Denn sie zeigen eine erstaunliche Diskrepanz: Fünf Mal hat er in der Saison 2020/21 für die Ukraine getroffen. Für seinen Klub West Ham dagegen lediglich drei Mal - und das auch nur in Pokalspielen gegen unterklassige Teams. In der Premier League ging er komplett leer aus und stand kein einziges Mal in der Startelf.

Mit 27 Jahren zu Borussia Dortmund

In oder mit der Ukraine läuft es super, bei seinen Klubs in Westeuropa eher schlecht - dieses Muster zieht sich durch Jarmolenkos Karriere. Bei Dynamo Kiew hat er 2008 seine Profikarriere gestartet, schoss in 340 Spielen für den ukrainischen Rekordmeister 137 Tore.

Obwohl er früh als internationales Toptalent galt, wechselte er erst 2017 im Alter von 27 Jahren in eine größere Liga. Borussia Dortmund suchte damals Ersatz für den erstaunlich teuer nach Barcelona verkauften Ousmane Dembélé und zahlte für den Rechtsaußen Jarmolenko 25 Millionen Euro Ablöse.

Jarmolenko, das "schlampige Genie"

Der Start in Dortmund verlief durchaus vielversprechend, aber dann habe Jarmolenko seine Form verloren, erinnert sich Marcus Bark, der für die Sportschau über den BVB und die deutsche Nationalmannschaft berichtet. "Man kann ihn ein schlampiges Genie nennen. An einem guten Tag dribbelt er alle aus. An schlechten Tagen verliert er die Bälle - und damit hat er viele BVB-Fans damals auch aufgeregt."

Hinzu kamen eine langwierige Fußverletzung in der Rückrunde und Anpassungsprobleme. "Er hat immer mit Dortmund gefremdelt, sich nie so richtig wohl gefühlt", sagt Bark.

Schwierige Eingewöhnung in Dortmund

Zu dieser Einschätzung passen Jarmolenkos Äußerungen aus einem Interview mit transfermarkt.de Ende 2020. "Ich wollte schon immer in England spielen, das war mein Traum. Aber es gab damals einige Schwierigkeiten. Zum einen wollte ich Dynamo Kiew nicht ablösefrei verlassen, damit der Verein an meinem Transfer verdienen kann. (...) Es gab schon früher Angebote von englischen Klubs, aber unser Präsident konnte sich mit ihnen nicht über einen Preis einigen. Dann kam das Angebot von Borussia Dortmund, diesmal hat alles geklappt."

Dortmund war also der Plan B - und schon nach einer Saison zog Jarmolenko weiter nach England, West Ham zahlte 20 Millionen Euro Ablöse. Während er in Dortmund Eingewöhnungsschwierigkeiten gehabt habe, sei ihm der Start in England leichter gefallen, sagte Jarmolenko. "Es gibt Mitarbeiter im Verein, die einem dabei helfen, eine Wohnung und die richtige Schule für meine Kinder zu finden. Das hat mir unglaublich dabei geholfen, meinen Alltag zu strukturieren und zu bewältigen, so dass ich mich zu 100 Prozent auf den Fußball konzentrieren konnte."

Schwierigkeiten auch bei West Ham

Doch auch bei West Ham kam Jarmolenko nicht in Schwung. Ein Achillessehnenriss beendete seine erste Saison schon im Oktober. In der zweiten Spielzeit stoppte ihn eine Adduktorenverletzung - und in der abgelaufenen Premier-League-Saison 2020/21 war Jarmolenko nur noch Ergänzungsspieler. Seine Bilanz bei West Ham seit Sommer 2018: zehn Tore in 54 Spielen. In derselben Zeit erzielte er für die Nationalmannschaft sieben Tore in 19 Spielen.

Sich wohlfühlen - das ist für Jarmolenko offenbar besonders wichtig. Und in der Nationalmannschaft genießt er das volle Vertrauen. Mit Trainer Schewtschenko, dem "Idol seiner Kindheit", wie er selbst sagt, hat er in Kiew und im Nationalteam noch gemeinsam gespielt. "Ich kann über ihn nur Positives sagen. Ich arbeite sehr gerne mit ihm zusammen."

Rückkehr nach Kiew?

Schewtschenko ist der große Star des ukrainischen Fußballs, aber Jarmolenko wandelt auf seinen Spuren. In 96 Länderspielen hat er 42 Tore erzielt - nur noch sechs Treffer fehlen ihm bis zur Rekordmarke seines Trainers. Schon bei der laufenden EM könnte er weiter aufholen, denn nach dem Sieg gegen Nordmazedonien hat die Ukraine gute Chancen aufs Achtelfinale. Zum Abschluss der Gruppe C trifft sie am Montag um 18 Uhr auf Österreich.

Und nach der EM? Jarmolenkos Vertrag bei West Ham läuft noch bis Sommer 2022. Aber er gilt als Großverdiener und damit als Verkaufskandidat. Als Interessent wird vor allem sein Ex-Klub Dynamo Kiew gehandelt. Bei einem Wechsel zurück in die Heimat würden viele den Ausflug nach Westeuropa als misslungen bewerten. Aber in Kiew hätte Jarmolenko seinen Wohlfühlfaktor auch auf Vereinsebene wieder zurück.