Die deutsche Fußballnationalmannschaft zeigt vor einem Spiel 1935 in Köln den Hitlergruß

Fußball nach dem Krieg Das Hakenkreuz wird überklebt – und weiter geht‘s

Stand: 08.05.2025 07:02 Uhr

Die Nachkriegsordnung im Fußball wurde von Funktionären bestimmt, die selbst im Nationalsozialismus profitiert hatten. Erst jetzt, achtzig Jahre nach dem Krieg, wächst ein kritisches Bewusstsein für ihre Verstrickungen.

Von Ronny Blaschke

Im Sportpark Müngersdorf, im Westen von Köln, fällt einem die grausame Vergangenheit nicht sofort ins Auge. Zehn Gehminuten vom Rheinenergiestadion entfernt, jenem Ort, wo der 1. FC Köln seine Heimspiele bestreitet, führt ein schmaler Sandweg zu einem ehemaligen Barackenlager der Nationalsozialisten. Eine Skulptur und mehrere Infotafeln erinnern an die rund 3.500 meist jüdischen Gefangenen, die von hier in die Vernichtungslager deportiert wurden.

In der Umgebung reihen sich Kleingärten aneinander, dahinter Sportplätze. "Hier wurden Menschen zusammengepfercht", sagt Thorben Müller und blickt in einen Halbkreis von interessierten Zuhörern, unter ihnen auch Fußballfans. Der angehende Historiker ist Mitarbeiter des NS-Dokumentationszentrums in Köln. Immer wieder gibt er Führungen im Sportpark Müngersdorf. "Die Gefangenen im Lager haben vermutlich den Jubel im Stadion gehört", sagt Müller. "So eng lagen Freude und Terror zusammen."

Am 8. Mai jährt sich die bedingungslose Kapitulation der Nationalsozialisten zum achtzigsten Mal. Der Fußball spielt in der Wissensvermittlung inzwischen eine wachsende Rolle. Auf historischen Rundgängen wie auf jenem in Köln geht es auch um Kontinuitäten, also um Persönlichkeiten, die vor 1945 einflussreich waren und auch danach. Und es geht um die Verdrängung der Geschichte, die Jahrzehnte gedauert hat – manchmal bis heute.

Der DFB-Präsident hatte Zwangsarbeiter eingesetzt

Thorben Müller zeigt auf seinem Tablet alte Fotos und Zeitungsartikel. Am westlichen Rand des Sportparks hält er mit der Gruppe an der Peco-Bauwens-Allee. Der Kölner Bauwens, geboren 1886, war in den 1920er- und 30er Jahren ein erfolgreicher Schiedsrichter gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bauwens für zwölf Jahre Präsident des wiedergegründeten Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Trotz seiner Rolle im Nationalsozialismus.

Thorben Müller legt dar, dass Bauwens als Bauunternehmer selbst Zwangsarbeiter eingesetzt hatte. Einige von ihnen sollen im Deportationslager in der Nähe des Stadions inhaftiert gewesen sein.

Nach dem Krieg war das kein Thema. 1954 wurde Deutschland Weltmeister. DFB-Chef Bauwens hielt im Löwenbräukeller in München eine Rede, wo einst auch Hitler gesprochen hatte. Bauwens schwärmte nun von "gesunden Deutschen", die "treu zu ihrem Land" stünden, und von einem "Führerprinzip im guten Sinne des Wortes". Ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks, der die Rede von Bauwens übertrug, fühlte sich an das Vokabular aus dem Nationalsozialismus erinnert. Der Sender blendete sich aus.

Der ehemalige DFB-Präsident Peco Bauwens

Peco Bauwens, DFB-Präsident von 1950 bis 1962

Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss kritisierte Bauwens für seine Rede, doch eine breite öffentliche Debatte gab es nicht. Bauwens erhielt später das Bundesverdienstkreuz und wurde zum Ehrenpräsidenten des DFB gewählt.

Keine Entnazifizierung im Fußball

Peco Bauwens ist ein Beispiel von vielen. Während der "Entnazifizierung" ab 1945 wollen die Siegermächte den nationalsozialistischen Einfluss in der deutschen Gesellschaft zurückdrängen: in Politik und Justiz, in Kultur und Medien. Bis Ende 1949 wurden in den drei westlichen Besatzungszonen mehr als 2,5 Millionen Deutsche in Spruchkammerverfahren eingestuft. Rund 54 Prozent galten als "Mitläufer". Gegen 35 Prozent wurde das Verfahren eingestellt. Und nur 1,4 Prozent der Angeklagten wurden als "Hauptschuldige" und "Belastete" eingestuft.

Hunderttausende ehemalige Mitglieder von NSDAP und SS konnten in der Bundesrepublik also Karriere machen. Im Bundestag bekleideten frühere Nationalsozialisten bis 1965 ein Viertel aller Abgeordnetenmandate. Im Bundeskriminalamt waren in den 1950er Jahren zeitweise mehr als zwei Drittel der Führungskräfte ehemalige Mitglieder der SS. War der Fußball im Vergleich dazu mehr belastet oder eher weniger?

"Wenn wir uns Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft anschauen: überall hat es wenig Entnazifizierung gegeben", sagt der Sporthistoriker Henry Wahlig. "Aber die schlimmsten zwei, drei, fünf Prozent an Nazis wurden doch ausgetauscht. Im Fußball ist mir jedoch niemand bekannt, der aufgrund seiner Verbrechen mit ernsthaften Konsequenzen leben musste. Der Sport gab sich nach dem Krieg unpolitisch und kam lange damit durch."

Henry Wahlig verantwortet im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund das Kulturprogramm. Er gibt dort historische Führungen, und dabei zeigt er seinen Gästen auch den Tschammerpokal, benannt nach dem einstigen Reichsportführer Hans von Tschammer und Osten. Dieser Wanderpokal, graviert mit einem Hakenkreuz, wurde während des Nationalsozialismus an den deutschen Pokalsieger verliehen.

Nach dem Krieg, dann im DFB-Pokal, wurde diese Trophäe bis 1964 weiterverliehen. Ohne Hakenkreuz, aber mit DFB-Plakette, erläutert Henry Wahlig: "Die Kollegen im Fußballmuseum haben einmal das Exponat herausgenommen und das DFB-Emblem abgelöst. Und tatsächlich befindet sich darunter bis heute das Hakenkreuz. Das ist ein Sinnbild für die damalige Zeit: Wir spielen weiter wie bisher und arbeiten erstmal gar nichts auf."

Mehr als die Hälfe der Funktionäre in der NSDAP

Doch seit Anfang des Jahrtausends wächst das Bewusstsein im Fußball. Der DFB gab eine historische Studie über den "Fußball unterm Hakenkreuz" in Auftrag. Seit 2005 vergibt der Verband einen Preis an Vereine, die sich für Erinnerungsarbeit stark machen. Diese Auszeichnung wurde nach Julius Hirsch benannt, einem jüdischen Nationalspieler, der 1943 von den Nazis ermordet wurde. Überdies halten Dutzende Fangruppen das Gedenken an die Opfer hoch, Sie verlegen Stolpersteine, besuchen KZ-Gedenkstätten und recherchieren zu einst verfolgten Spielern und Mitgliedern ihrer Klubs.

In der Erinnerungsarbeit des Fußballs standen lange die jüdischen Opfer im Fokus, doch allmählich schauen Vereine und Verbände auch auf NS-Täter und Profiteure aus ihren Reihen. Im Auftrag der DFB-Kulturstiftung erforscht etwa der Historiker Pascal Trees bis Anfang 2026 die Biografien von rund 100 Funktionären, die nach dem Krieg im DFB einflussreich waren. Trees schätzt, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Funktionäre in der NSDAP gewesen ist. Zum Vergleich: 1943 gehörten insgesamt elf Prozent der Bevölkerung der NSDAP an.

Warum war der Anteil im Fußball so viel höher? "Bei den Funktionären handelte es sich in der Regel um recht bürgerliche Existenzen", sagt Pascal Trees, Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. Unter den Verbandsleuten waren Juristen, Beamte und Lehrer, die sich mit einer Parteimitgliedschaft womöglich Aufstiegschancen versprachen. Trees: "Aber nur wenige Funktionäre traten schon vor 1933 in die NSDAP ein."

Wenn ein Vereinschef aus "Mein Kampf" zitiert

Im Vorstand des wiedergegründeten DFB saßen 1950 jedoch nicht nur Alt-Nazis. Mit dabei war – zumindest kurzzeitig – auch Martin Stock, ein jüdischer Überlebender des Holocaust. Und Arthur Weber, ein verfolgter Kommunist. Doch in den Spitzenämtern blieben auf Jahre hinaus ehemalige NSDAP-Mitglieder. So wie Hermann Gösmann, DFB-Präsident zwischen 1962 und 1975. Seine politische Vergangenheit? Interessierte damals niemanden.

Hermann Gösmann, DFB-Präsident zwischen 1962 und 1975

Hermann Gösmann, DFB-Präsident zwischen 1962 und 1975

Der Jurist Hermann Gösmann, geboren 1904, war 1937 in die NSDAP eingetreten, zeitweise war er dort als Blockwart aktiv. Es existieren Fotos, die Gösmann mit Parteiabzeichen zeigen. Zu jener Zeit war er auch Präsident des VfL Osnabrück. Dort, sagt Historiker Trees, habe Gösmann in einer Jubiläumsschrift aus Hitlers "Mein Kampf" zitiert, aus dem Kapitel "Volk und Rasse".

Die DFB-Präsidenten Peco Bauwens und Hermann Gösmann gehörten – noch vor ihrer Verbandszeit – zu den Profiteuren des Nationalsozialismus. Auf der Homepage des DFB findet man dazu bis heute keine differenzierten Informationen. Doch das dürfte sich nach der Veröffentlichung der Studie von Pascal Trees 2026 ändern. Und auch das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund will die Dauerausstellung umgestalten und ausführlicher über den Nationalsozialismus aufklären. Achtzig Jahre nach Ende des Krieges ist das spät, aber womöglich nicht zu spät.