
Hochrisikospiele im Fußball "Der Staat hat auf 300 Millionen Euro verzichtet"
Hochrisikospiele in der Bundesliga kosten den Steuerzahler viel Geld. Laut Verfassungsgericht könnten die Länder und der Bund den Vereinen einen Teil davon in Rechnung stellen - tun sie aber nicht. Bremens Innensenator will jetzt den Druck auf seine Kollegen erhöhen, um diesen Zustand zu ändern.
Vor 16 Jahren - damals spielten noch Vereine wie Energie Cottbus und Schalke 04 in der Fußball-Bundesliga, Angela Merkel war Bundeskanzlerin und Wolfgang Schäuble ihr Innenminister - machte Ulrich Mäurer (SPD) einen spektakulären Vorschlag: Die Profiklubs, so der Innensenator von Bremen, sollten sich an den stark steigenden Polizeikosten bei Fußballspielen beteiligen.
Der SPD-Politiker stieß mit seiner Idee jedoch überall auf Widerstand, beim Deutschen Fußball-Bund und in der Politik. Fünf Jahre später schickte er deshalb im Alleingang Werder Bremen eine erste Gebührenrechnung: für den Polizeieinsatz beim Hochrisikospiel gegen den Hamburger SV. Seitdem streitet sich Mäurer mit den Profiklubs ums Geld. Im Januar gab ihm das Bundesverfassungsgericht Recht, seine Rechnungen seien plausibel und gerechtfertigt. Bremen hat mittlerweile für etliche Spiele seine Kosten erstattet bekommen.
1,6 Millionen Einsatzstunden der Polizei pro Jahr
Mäurer hat nun errechnet, wie viel Geld dem Bund und den anderen Bundesländern durch die Lappen gegangen ist, weil sie seinem Beispiel nicht gefolgt sind: insgesamt über 300 Millionen Euro - das sei eine "direkte Subventionierung des Profifußballs gewesen", sagte der Innensenator der Sportschau.
Dabei hat Mäurer nur die sogenannten Hochrisikospiele in seine Berechnung aufgenommen. Wenn die Bundesliga am Wochenende spielt, hat auch die Polizei Hochbetrieb. Knapp 1,6 Millionen Einsatzstunden fallen dabei im Jahr für die Beamten an.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer
Bisher zahlen die Vereine nichts. Auch nicht, wenn es bei Derbys hart zur Sache geht, wenn die Polizisten mehr als 4.000 Stunden, dazu Wasserwerfer und Hubschrauber im Einsatz sind. Etwas mehr als 50 Spiele der ersten und zweiten Liga fallen pro Saison in diese Kategorie, die Fachleute nennen sie "Rotspiele".
Mäurer: "Konservative Rechnung"
Mäurer hat die Einsatzstunden bei den Rotspielen mit dem üblichen Stundenlohn eines Beamten in Höhe von 65 Euro multipliziert, hinzu kommen die üblichen Sachkosten. Er kommt auf 30 Millionen Euro im Jahr, rund zwei Drittel für die Bundesländer, ein Drittel für den Bund.
Da der Staat seit über zehn Jahren auf die möglichen Gebühren verzichtet, summiert sich der Betrag laut Mäurer auf 300 Millionen Euro. Konservativ gerechnet, wie er sagt, weil er die Pokalspiele und die Europacupspiele nicht mitgezählt habe, auch die oft noch aggressiveren Derbys in der dritten Liga sind nicht in die Rechnung einbezogen.
Sportschau-Umfrage: Länder planen keine Gesetzesänderung
Wer geglaubt hätte, dass die Bundesländer und der Bund nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht im Januar dem Bremer Beispiel folgen würden, sieht sich getäuscht. Eine Umfrage der Sportschau in den Länder zeigt, dass derzeit konkret keine Gesetzesänderungen nach dem Bremer Vorbild, die für eine Rechnungsstellung von Polizeikosten notwendig sind, geplant sind.
Einige Länder wie Hamburg sprechen sich seit einiger Zeit für bundeseinheitliche Lösungen aus, andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Sachsen oder Brandenburg sind deutlich zurückhaltender. "Ich will, dass der Fußball alles dafür tut zu vermeiden, dass Polizeikräfte verletzt werden. Die Beteiligung der Vereine an den Kosten bleibt für mich die Ultima Ratio, das letzte Mittel“, sagt etwa Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD).
Besonders die Innenminister von Bayern und Nordrhein-Westfalen waren in der Vergangenheit gegen die Erstattung von Polizeikosten - was erstaunlich ist, da NRW wegen der Derbys im Ruhrgebiet und im Rheinland mit Abstand die meisten teuren Rotspiele hat. Gegenüber der Sportschau begründet das NRW-Innenministerium erneut seine Skepsis: "Aus einsatzfachlicher Sicht erscheint die Erstattung von Einsatzkosten der Polizei, unabhängig von der Schaffung entsprechender Rechtsnormen, jedoch zunächst grundsätzlich nicht geeignet, den Gewalttätigkeiten bei Fußballspielen entgegenzuwirken."
Alle Bundesländer geben zwar an, dass sie das Urteil aus Karlsruhe juristisch prüfen, um eventuell weitere Schlüsse daraus zu ziehen. Vor konkreten Maßnahmen sei aber eine "gründliche Analyse und Folgenabschätzung erforderlich, die alle relevanten Aspekte berücksichtigen muss", wie das Bayerische Innenministerium erklärt.
Mäurer kann Zurückhaltung nicht nachvollziehen
Ulrich Mäurer kann die zurückhaltende Haltung seiner Kollegen nicht nachvollziehen. "Wir wollen keinen Kulturkampf gegen den Profifußball", sagt er der Sportschau, es handele sich um geringe Kostenbeteiligungen, schließlich würden der Staat im Jahr rund 115 Millionen Euro für die Sicherheit in den ersten beiden Ligen ausgeben. Der Großteil dieser Leistungen sei umsonst und das solle auch so bleiben.
Auch das Argument der Vereine, sie würden Fanprojekte finanziell unterstützen und in die Sicherheit in den Stadien investieren, ziehe nur bedingt. So löblich das Engagement auch sei, die Maßnahmen, so Mäurer, hätten keinen großen Einfluss auf die Einsatzstunden der Polizei gehabt. In vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Polizeistunden um 325.000 Stunden gestiegen.
Saison | 1. Bundesliga | 2. Bundesliga | Gesamt |
---|---|---|---|
2014/2015 | 573.930 | 376.517 | 950.447 |
2015/2016 | 598.072 | 343.777 | 941.849 |
2016/2017 | 576.686 | 552.818 | 1.129.504 |
2017/2018 | 602.963 | 427.246 | 1.030.209 |
2018/2019 | 531.248 | 539.984 | 1.071.232 |
2019/2020* | 403.749 | 309.420 | 713.169 |
2020/2021* | 38.761 | 26.062 | 64.823 |
2021/2022* | 308.331 | 397.294 | 705.625 |
2022/2023 | 580.882 | 597.866 | 1.178.748 |
2023/2024 | 520.309 | 654.572 | 1.174.881 |
*Während der Corona-Pandemie waren Zuschauer zeitweilig ganz oder teilweise vom Stadionbesuch ausgeschlossen.
Quelle: Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)
Saison | 1. Bundesliga | 2. Bundesliga | Gesamt |
---|---|---|---|
2014/2015 | 217.373 | 91.570 | 308.943 |
2015/2016 | 161.379 | 61.370 | 222.749 |
2016/2017 | 168.285 | 121.977 | 290.262 |
2017/2018 | 197.673 | 90.077 | 287.750 |
2018/2019 | 169.160 | 124.312 | 293.472 |
2019/2020* | 120.956 | 80.108 | 201.064 |
2020/2021* | 5.833 | 3.642 | 9.457 |
2021/2022* | 100.237 | 108.669 | 208.996 |
2022/2023 | 230.269 | 201.324 | 431.593 |
2023/2024 | 163.882 | 246.704 | 410.586 |
*Während der Corona-Pandemie waren Zuschauer zeitweilig ganz oder teilweise vom Stadionbesuch ausgeschlossen.
Quelle: Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)
Mäurer plant neuen Vorstoß bei Innenministerkonferenz
Wie vor 16 Jahren, als er seinen ersten Vorstoß unternahm, ist Mäurer in diesem Jahr turnusgemäß wieder Vorsitzender der Konferenz der Innenminister. Wenn sich seine Kollegen im Juni in Bremerhaven treffen, will er einen neuen Anlauf für eine bundeseinheitliche Lösung unternehmen. Sein Ziel ist die Gründung eines Fonds, in den die Deutsche Fußball Liga (DFL), die Organisation aller Profivereine in Deutschland, entsprechend der Zahl der Rotspiele einzahlen soll.
Die aufwendige Berechnung der Kosten würde entfallen. Das Geld soll anschließend nach Anteilen an den Hochrisikospielen an die Bundesländer verteilt werden. Auf diese Weise würde zum Beispiel Nordrhein-Westfalen stark profitieren.
Mäurer will auf der Konferenz im Juni seinen Ministerkollegen aus dem aktuellen Wirtschaftsreport der DFL vorlesen. Dort heißt es, die Profivereine hätten in der vergangenen Saison erneut einen neuen Umsatzrekord erzielt: 5,24 Milliarden Euro, zwei Drittel aller Klubs würden schwarze Zahlen schreiben. Das Geld für die Polizei "können sie aus der Portokasse bezahlen, für einzelne Spieler geben sie bedeutend mehr aus".