Der Wolfsbuger Jakub Kaminski nimmt mit gleich vier Schalkern den Kampf um den Ball auf.

Schalke gegen Union Berlin Nimm du den Ball, ich will ihn nicht

Stand: 25.08.2022 14:20 Uhr

Kein Team hat in der Bundesliga seltener den Ball als die Schalker, das hat System. Auch bei Union arbeiten keine Ballbesitz-Liebhaber. Nun kommt es zum direkten Duell.

Als Urs Fischer einmal den Fußball des 1. FC Union revolutionieren wollte, zumindest ein bisschen, nahm Max Kruse in den Überlegungen des Trainers eine zentrale Rolle ein. Vor zwei Jahren war das, für Union begann gerade die zweite Bundesliga-Saison und Fischer hatte so ein Gefühl. Dass es eine Veränderung im Spiel seiner Mannschaft brauche, mehr Ballbesitz, Ideen, Überraschungsmomente.

Also holte Union Kruse. Union, das sich im Jahr zuvor als Aufsteiger über Kampf, Standardsituationen und Konter definiert hatte, und Kruse, der davon nur die Standards mochte. Es funktionierte - bis Kruse anderthalb Jahre später plötzlich lieber mit dem VfL Wolfsburg gegen den Abstieg spielen mochte und nicht mehr mit dem 1. FC Union um die Europapokal-Plätze.

Einen wie Kruse wird Fischer seitdem manchmal vermisst haben. Es ist nicht so, dass Union ohne Kruse keinen Erfolg hat, der Klub hat sich für die Europa League qualifiziert. Aber Union ist jetzt wieder mehr Kampf, Standardsituationen, Konter. Fischer ist kein Dogmatiker, wenn es um die Taktik geht, auch kein Ballbesitzfetischist. Vielleicht passt er auch deshalb so gut zu Union.

Union hat im Schnitt nur 43 Prozent Ballbesitz, ist aber Dritter

Am vergangenen Wochenende hat der Klub RB Leipzig besiegt, beide Tore fielen nach Kontern, der Ballbesitz lag bei 32 Prozent. Nimmt man alle drei Ligaspiele zusammen, kommt Union im Schnitt auf einen Ballbesitz von 43 Prozent - es ist der zweitniedrigste Wert der Liga.

Nur was spielt das für eine Rolle, wenn man Union in der Tabelle nach dem dritten Spieltag mit sieben Punkten auf Platz drei findet? So gut ist der Klub noch nie gestartet.

Vor einiger Zeit ist Fischer, 56, manchmal auf die geringen Ballbesitzwerte seiner Mannschaft angesprochen worden, er sagte dann gerne, das sei keine Statistik, die Spiele entscheide. Das tue die Effizienz. Und effizient sind sie beim 1. FC Union.

Ballbesitz schützt vor Abstieg nicht - auf Schalke wissen sie das

Wahrscheinlich wird Union seine Ballbesitzstatistiken schon am Samstag (27.08.2022) verbessern können, dann trifft der Klub auf den FC Schalke 04, den einzigen Klub, der noch seltener den Ball hat. Durchschnittlich 33 Prozent Ballbesitz pro Spiel, das ist wirklich nicht viel. Natürlich ahnen sie auch in Gelsenkirchen, dass das mit dem Ballbesitz keine irrelevante Statistik ist, dass sie aber nicht allein über Erfolg oder Nichterfolg entscheiden wird.

Als Schalke in der Spielzeit 2020/21 abgeschlagen als Tabellenletzter abgestiegen ist, hatte die Mannschaft in allen 34 Ligaspielen durchschnittlich 46,5 Prozent Ballbesitz. Das ist ein Bereich, in dem sich auch Teams aus dem Mittelfeld der Liga bewegen. Auf Schalke wissen sie: Ballbesitz schützt vor Abstieg nicht.

Vielleicht war es da nur folgerichtig, dass Schalke seit diesem Sommer von Frank Kramer trainiert wird.

Kramer, Bielefeld, Schalke - ein Muster, das sich wiederholt

Kramer war in der Bundesliga mal Interimstrainer in Hoffenheim, er ist mit Fürth abgestiegen und zuletzt war er in Bielefeld. Dort übernahm Kramer im März 2021, er rettete die Arminia vor dem Abstieg. Gut ein Jahr später musste er gehen, als Bielefeld nach dem 30. Spieltag auf Rang 17 lag.

Kramer, hieß es früher oft, sei ein Trainer, der Gegenpressing möge, aber auch Ideen für das Spiel mit dem Ball habe. In Bielefeld sah man eine Mannschaft, die sich auf das Gegenpressing konzentrierte, mit dem Ball aber nicht viel anfangen konnte. Im Durchschnitt hatte Bielefeld in Kramers zweiter Saison 42 Prozent Ballbesitz pro Spiel, kein Team war seltener am Ball.

Nun arbeitet Kramer auf Schalke - und man kann da schon Parallelen erkennen.

Die Laufleistung stimmt bei Schalke

Schalkes Start in die neue Saison war gar kein schlechter, zwei Punkte aus drei Spielen, zuletzt zwei Remis nacheinander. Man hat in den ersten Schalker Spielen aber auch etwas beobachten können, das für den Trainer Kramer und seine Spieler noch zum Problem werden könnte.

Zuletzt, beim torlosen Remis gegen den VfL Wolfsburg, sah man in der Schlussphase Schalker, die Krämpfe hatten. Schalker, die nicht aussahen, als hätten sie noch Kraft für die Nachspielzeit. Es ist dann auch viel darüber diskutiert worden, ob Schalke womöglich ein Fitnessproblem habe. Beim Klub fanden sie das gar nicht lustig.

Tatsächlich findet sich in den Statistiken kein Hinweis darauf, dass den Schalkern im Laufe eines Spiels die Kraft ausgeht. Nimmt man etwa die Laufleistung aller Mannschaften, dann findet man Schalke auf Platz acht - obwohl sie dort beim Auftakt gegen den 1. FC Köln fast eine Stunde in Unterzahl gespielt hatten.

Bülters Wunsch: Erholung, aber mit Ball

Vielleicht ist es auch gar keine Frage der Kraft, sondern nur eine der Einteilung. Fußball, wie Kramer ihn spielen lässt, kostet Kraft, viel Kraft. Schalke läuft oft Ball und Gegner hinterher; Momente, in denen die Mannschaft selbst das Tempo vorgibt, sind selten. Und die Ballbesitzphasen sind auch deshalb kurz, weil Kramer möchte, dass seine Spieler schnell den Abschluss suchen, gerne auch mit Risiko.

Von Marius Bülter, 29, würde man nicht meinen, dass ihm irgendwann einmal die Kraft ausgehen könnte. Bülter läuft, grätscht und Tore schießt er auch, er ist mit zwei Saisontoren Schalkes erfolgreichster Torschütze.

Vor einigen Tagen, nach dem Wolfsburg-Spiel, stand Bülter vor einem "Sky"-Mikrofon. Er sagte: "Wir müssen versuchen, mehr Phasen im Spiel zu haben, in denen wir uns mit dem Ball erholen können. Das wird der Schlüssel zum Erfolg sein."

In den Tagen vor dem Spiel gegen Union hat sich dann auch Kramer zur Ballbesitzfrage geäußert. Er sagte: "Wir müssen den Ballbesitz sichern. Wir arbeiten da an Lösungen, dass wir Automatismen entwickeln und Klarheit in unserem Spiel schaffen."