Warnendes Beispiel Südkorea bei der WM 2018 DFB-Team - "nur noch" gegen Ungarn punkten

Stand: 22.06.2021 08:00 Uhr

Die deutsche Nationalmannschaft muss jetzt "nur noch" gegen Ungarn punkten, um ins Achtelfinale der EURO 2020 einzuziehen. Was allerdings passieren kann, wenn ein Außenseiter die vermeintlich leichte Hürde ist, zeigte sich bei der WM 2018.

Als der Bus mit der Aufschrift "Germany" am Abend des 27. Juni 2018 durch das Tor des Stadions in Kasan rollte, wirkte es immer noch wie ein Traum. Würden die Insassen, viele von ihnen vier Jahre zuvor Weltmeister geworden, nun wirklich nach Moskau fliegen, um in Watutinki die Klamotten einzupacken und am nächsten Tag nach Hause zu reisen? Es war so.

Der Titelverteidiger schied als Gruppenletzter aus. Dabei hatte er doch nur noch gegen die bereits ausgeschiedenen Südkoreaner gewinnen müssen, um ins Achtelfinale einzuziehen.

In dieser Euphorie, die nach dem in Unterzahl erzielten 2:1-Siegtreffer in der 95. Minute gegen Schweden enstanden war, sollte das doch kein Problem sein. War es aber. 0:2 gegen Südkorea. Aus.

Parallelen zwischen 2018 und heute

Bei der EURO 2020 gibt es ein paar Parallelen zur WM 2018. Deutschland verlor das Auftaktspiel mit 0:1, der folgende Sieg versetzte die Mannschaft in eine Hochstimmung. Wieder ist die vermeintlich schwächste Mannschaft im abschließenden Gruppenspiel der Gegner.

Allerdings haben auch die Ungarn noch Chancen, ins Achtelfinale einzuziehen. Das überraschende 1:1 gegen Weltmeister Frankreich nährte die Hoffnung. "Dadurch ist allen klar geworden, das ist jetzt nicht der absolute Außenseiter, sondern die können mithalten. Daher ist das eine gute Situation für Deutschland", sagt Professor Jens Kleinert von der Sporthochschule Köln.

"Das ist schon ein bisschen entlastend"

Der Sportpsychologe schätzt die Gefahr als gering ein, dass die deutsche Mannschaft den Gegner unterschätze und folgert: "Das ist dann schon ein bisschen entlastend für das DFB-Team."

Die Fallhöhe bleibt dennoch hoch. "Alle erwarten, dass Deutschland ins Achtelfinale kommt. Daran hat auch die schwierige Gruppe nichts geändert. Diese Situation war schon vor dem Turnier so", sagt Kleinert. Selbst ein Unentschieden, das zum Einzug ins Achtelfinale reicht, würde die gerade entfachte Stimmung trüben.

Faktenbasierte Favoritenrolle

Sportschau-Experte Stefan Kuntz spricht aus eigener Erfahrung als Profi und nun erfolgreicher Trainer der deutschen U21 über die so unterschiedlichen Ausgangslagen: "Eine klare Favoritenrolle geht mit steigendem Selbstvertrauen und Sicherheit bei den Spielern einher, wenn diese Favoritenrolle auch begründet ist und auf Fakten basiert."

Das 4:2 gegen Portugal und viele Aspekte dieser Partie, vor allem im Offensivspiel, dürften als faktischer Beleg dafür dienen, dass Deutschland gestärkt in das letzte Gruppenspiel gehen kann.

Ungarn können "etwas lockerer ins Spiel gehen"

Zwar können die Ungarn mit einem Sieg noch weiterkommen, aber gerade auch das Heimrecht für Deutschland macht sie zu einer Mannschaft, von der es heißt, dass sie nichts zu verlieren habe.

"Ungarn kann etwas ganz Tolles erreichen. Etwas, mit dem niemand gerechnet hat. Daher können sie jetzt schon etwas lockerer in das Spiel gehen", sagt Sportpsychologe Kleinert.

Stefan Kuntz hält es für ein typisches Merkmal von klaren Außenseitern, dass sie "häufiger mehr ins Risiko gehen, eher den schwierigen Pass probieren". Der Sportschau-Experte nennt die mutigen Pläne "40:60-Aktionen", und: "Wenn die dann klappen, ist das natürlich hinterher noch effektiver."

Bernd Schneiders leidvolle Erfahrungen

Bernd Schneider verlor 2002 das Finale der WM gegen Brasilien, in das der 81-malige Nationalspieler mit Deutschland gewiss nicht als Favorit gegangen war. Das Finale der Champions League verlor er in jenem Jahr auch. Gegen Real Madrid war er mit Bayer Leverkusen gewiss nicht als Favorit in das Spiel gegangen. Anders sah es in der Bundesliga aus.

Bayer Leverkusen musste nur noch beim abstiegsgefährdeten 1. FC Nürnberg und ein Heimspiel gegen Hertha BSC gewinnen, um erstmals deutscher Meister zu werden. Zwei Jahre zuvor hatte der Werksklub den Titel verpasst, weil er es am letzten Spieltag nicht schaffte, nur noch bei der SpVgg Unterhaching zu gewinnen, für die es im Mitttelfeld der Tabelle um nichts mehr ging.

"Wir wollen nicht diejenigen sein"

"Es läuft manchnmal halt nicht nach Plan", sagte Bernd Schneider im Gespräch mit der Sportschau, "aber Unterhaching etwa haben wir gewiss nicht unterschätzt." Jede Situation sei anders. Psychologischer Druck im Abstiegskampf unterscheide sich von dem im Meisterrennen.

Eine Situation, so Schneider, habe er noch sehr gut in Erinnerung. In der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2002 musste Deutschland in die Relegation gegen die Ukraine. Das Hinspiel in Kiew endete 1:1. Der Druck vor dem zweiten Duell war enorm, nach dem blamablen Scheitern bei der EURO 2000 drohte die nächste Schmach für den so stolzen deutschen Fußball.

"Wir wollten nicht diejenigen sein, die es versauen, dass Deutschland zu einer WM kommt. Das war schon hart", so Schneider.

Am Mittwoch gegen Ungarn geht es darum, Joachim Löw den Abschied als Bundestrainer nicht mit einer peinlichen Niederlage zu versauen.