Gedenken an 9/11 Terroranschlag vor 20 Jahren - Schalke musste trotzdem spielen

Stand: 11.09.2021 13:00 Uhr

Am Abend der Terroranschläge des 11. September spielte der FC Schalke 04 in der Champions League gegen Panathinaikos Athen. Erinnerungen an ein Fußball-Spiel, das nicht hätte stattfinden dürfen.

Seit über 25 Jahren kenne ich Huub Stevens. Ich habe manch kritischen Strauß ausgefochten mit dem Niederländer. Aber als ich ihn jetzt mit Kamerateam in seinem Haus in Eindhoven besuchte, stellten wir vor allem eines fest: Der "Knurrer von Kerkrade" knurrt nicht mehr.

Wir wurden empfangen von einem höflichen, aufgeräumten, buchstäblich in sich ruhenden Ruheständler, der über alte und neue Zeiten plauderte und Privates fröhlich preisgab. Vielleicht liegt es daran, dass der 67-Jährige nach seinem Rücktritt als Aufsichtsrat beim FC Schalke keinen Stress mehr verspürt.

Vielleicht betrachtete er mich im konkreten Fall aber auch einfach als Leidensgenossen. Denn das Thema, über das wir sprachen, war ein Fußballabend vor 20 Jahren. Champions League. Schalke gegen Panathinaikos Athen. Am 11. September 2001.

Wenige Monate nach der "Meisterschaft der Herzen"

An dem Tag, der die Welt veränderte. Wie Stevens hätte auch ich nicht erwartet, dass zu der Zeit, da in New York Tausende Menschen in Schutt und Asche um ihr Leben kämpften, 22 Fußballer zur Unterhaltung der Fußball-Welt hinter einem Ball herlaufen mussten.

Wie fast jeder andere weiß ich noch wie heute, wie ich diesen Nachmittag erlebt habe. Ich saß an meinem Schreibtisch und bereitete mich auf das Spiel am Abend vor. Schalke durfte zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte in der Champions League spielen, wenige Monate nach der "Meisterschaft der Herzen", nach dem Sieg im DFB-Pokal und zum allerersten Mal in der gerade erst eröffneten Schalke-Arena.

Katastrophenbilder auf allen Sendern

Wie immer flimmerte in meinem Büro ein Fernseher vor sich hin, wie immer ohne Ton. Als gegen Viertel vor drei an diesem Nachmittag die erste Passagiermaschine in den Nordturm des World Trade Centers einschlug, glaubte ich, im Augenwinkel die Vorschau für einen neuen Katastrophenfilm zu sehen.

Twin Towers, 11. September 2001

Erst bei der Kollision des zweiten Flugzeugs in den Südturm schaltete ich den Ton ein und zappte zwischen den Programmen hin und her. Überall die gleichen Bilder! Schnell wurde klar: Von einem Unfall ging niemand mehr aus. Es war Terror in New York und wenig später auch in der Nähe von Washington, wo eine weitere Maschine ins Pentagon gesteuert wurde.

Keine Absage des Spiels

Die Spieler von Schalke, die mögliche taktische Aufstellung von Panathinaikos, die Geschichte des griechischen Meisters, die Vita des Trainers – das alles war bedeutungslos. Ich versuchte, auf Schalke jemanden zu erreichen, um mir die Spielabsage bestätigen zu lassen.

Doch es war besetzt auf fast allen Nebenstellen oder niemand nahm ab. Ich versuchte es bei den Nachrichtenagenturen. Doch die Absage kam nicht. Schließlich sickerte auch unter meinen Kollegen durch: Es wird gespielt!

Gefühl von Trauer und Sorge

Mich umgab ein Gefühl von Trauer, aber noch mehr von echter Sorge, als ich mich von meiner Frau und meinen beiden Kindern verabschiedete und zum Spiel fuhr. Denn ich war mir sicher: Wenn es Terroristen gelingen konnte, zwei Flugzeuge fast zeitgleich in das weithin sichtbare Symbol der freien kapitalistischen Welt zu steuern - warum sollte das auch nicht auch mitten in Europa gelingen?

An diesem Abend, symbolträchtig in der Champions League mit über 50.000 Zuschauern im damals modernsten Fußball-Tempel des Kontinents. Im Stadion war dann die ganze Trauer, die Sorge um die Zukunft, die Unbegreiflichkeit sicht- und hörbar.

Das Vorprogramm hatten die Schalker Verantwortlichen abgesagt. Die sonst extrem lauten Schalker Fans verzichteten auf jeglichen Support – keine Sprechchöre, keine Lieder, nicht mal Reaktionen bei Torchancen oder anderen guten Aktionen. Ein 90-minütiges unwirkliches Fußball-Trauerspiel.

Wen interessieren Tore, Taktik und Fehlverhalten?

An viel mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich habe keine Spielszene aufgeschrieben, keine Auswechslungen, keine gelben Karten, keine Tore. Das Spiel war bedeutungslos, Makulatur. Aber ich weiß, wie sauer ich darüber war, dass die kleine griechische Delegation in der Südkurve mit ihren Spielern ihre beiden Tore in der Schlussphase feierten.

"Wie pietätlos", dachte ich, vergaß aber später nachzufragen, ob sie vielleicht gar nicht mitbekommen hatten, was da in New York passiert war in einer Zeit ohne Smartphones, mobiles Internet und soziale Medien.

"Hätte niemals angepfiffen werden dürfen"

Auch bei den Interviews mit den Schalkern nach dem Spiel ging es nicht um Tore, Taktik und Fehlverhalten. Niemand konnte begreifen, warum an diesem Abend die Menschlichkeit nicht siegen konnte – über wirtschaftliche Interessen und Einschaltquoten.

Rudi Assauer, der charismatische Manager, der ein Vierteljahr zuvor nach der in letzter Sekunde entrissenen Meisterschaft den "Glauben an den Fußballgott" verloren hatte, brachte es wieder mal auf den Punkt: "Dieses Spiel heute hätte niemals angepfiffen werden dürfen."

Zur Person: Uwe Dietz berichtet seit 25 Jahren für den Westdeutschen Rundfunk über den FC Schalke 04.

Uwe Dietz