Fußball | Nationalmannschaft 2022 - Auch ein politisch wichtiges Jahr für den DFB

Stand: 25.03.2022 16:10 Uhr

Ein Spiel gegen Israel, ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, eine WM in Katar - das Jahr 2022 stellt die Nationalmannschaft und den DFB auch politisch vor große Herausforderungen.

"Ein Spiel gegen Israel wird für eine deutsche Nationalmannschaft immer etwas Außergewöhnliches sein", schreibt Bernd Neuendorf, der neue Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im Vorwort des Programmheftes. "Es ist unsere Verantwortung, an die Vergangenheit zu erinnern und aus ihr zu lernen. Damit sich der Holocaust, dieses unvorstellbare Grauen, das von Deutschland ausging, niemals wiederholt."

Politische Dimension allgegenwärtig

Neuendorf erinnert mit den Worten des verstorbenen Ehrenpräsidenten Egidius Braun, dass Fußball "viel mehr als ein 1:0" sei, an die politische und gesellschaftliche Dimension des Sports. Sie ist allgegenwärtig. Das Stadion in Sinsheim, in dem das Spiel gegen Israel am Samstag (26.03.2022) angepfiffen wird, steht an der Dietmar-Hopp-Straße 1. Der Vater des langjährigens Mäzens der TSG Hoffenheim war Truppführer der SA und unter anderem an der Vertreibung eines jüdischen Brüderpaares beteiligt. Inzwischen, so ist es beim Nachrichtenmagazin "Spiegel" nachzulesen, ist die Familie Hopp mit den Opfern der Nazi-Diktatur befreundet.

Munas Dabbur, ein Profi der TSG und israelischer Nationalspieler, verpasste mal ein Trainingslager mit seinem ehemaligen Klub RB Salzburg in den Vereinigten Arabischen Emiraten - eben weil er Israeli ist.

Inzwischen ist Israel in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, allerdings mit einer Botschaft vertreten. In Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar, gibt es nur eine Handelsvertretung. Aber die Beziehungen zwischen den beiden Staaten haben sich auch gebessert. Israelische Sportler nehmen regelmäßig an Veranstaltungen in Katar teil, im Falle ihres Sieges wird die Nationalhymne gespielt.

Jedes Wort kann zu Verwicklungen führen

Dass solche Selbstverständlichkeiten in der Literatur erwähnt werden, zeigt, wie politisch der Sport ist. Jede Geste, jedes Symbol, jedes Wort kann zu Verwicklungen führen. Das gilt in besonderem Maß für eine Fußball-Weltmeisterschaft.

Dies zeigte sich auch am Freitag (25.03.2022). Hassan al-Thawadi, der Chef des katarischen Organsisationskomitees, reagierte bei "beIN Sports" scharf auf den niederländischen Nationaltrainer Louis van Gaal, der die Vergabe der WM an den Golfstaat kritisiert hatte. "Für jemanden, der seit so vielen Jahren Trainer ist und die Kraft des Fußballs versteht, ist es lächerlich, ein derart nichtssagendes Statement abzugeben", sagte al-Thawadi. Er sei sicher, van Gaal habe sich "nicht viel mit der Bedeutung des Fußballs für Katar und die arabische Welt" beschäftigt.

Van Gaal hatte gesagt, dass es "lächerlich" sei, Katar eine WM zu geben. Dabei sei es nur um Geld gegangen.

Schweigen nach Treffen mit Menschenrechtlern

Zwölf Jahre ist es her, dass Katar den Zuschlag erhielt. Seitdem wird über das Klima dort gesprochen, über Korruption bei der Vergabe, vor allem aber über die Menschrechtslage dort.

Gerade dieses Thema ist weiter aktuell, auch wenn ein Boykott inzwischen keine ernsthafte Option mehr zu sein scheint. In der Vorbereitung der Nationalmannschaft auf die ersten Länderpiele des Jahres waren Vertreter von Menschenrechtsorganisationen im Quartier des DFB zu Gast. Über Inhalte wurde ein Schweigen vereinbart.

"Wichtiger Partner im arabischen Raum"

Während der Pressekonferenz am Freitag gab es keine Frage an den Bundestrainer Hansi Flick bezüglich des umstrittenen WM-Gastgebers. In den Tagen zuvor hatten sich hingegen schon Thomas Müller und Oliver Bierhoff geäußert.

Müller rang nach Worten, sprach davon, dass es auch in Deutschland Menschenrechtsverletzungen gebe, und mied jegliche Kritik an Katar. Bierhoff, für die Nationalmannschaften zuständiger Geschäftsführer beim DFB, äußerte sich ausführlich und ebenfalls sehr wohlwollend.

Die Gespräche mit Experten hätten gezeigt, dass Katar "ein wichtiger Partner für Deutschland im arabischen Raum" sei und "ein Treiber von gewissen Entwicklungen". Bierhoff wirkte dabei, als nutze er eine Vorlage von Robert Habeck. Der Bundeswirtschaftsminister hatte vor wenigen Tagen mit Katar und auch den Vereinigten Arabischen Emiraten über Energielieferungen verhandelt, um künftig weniger Geld an den Kriegstreiber Russland zahlen zu müssen. Auch Habeck sprach Katar eine Vorreiterrolle bei der Verbesserung von Menschenrechten zu.

Namentlich lobte Bierhoff die Herrscherfamilie von Katar, die "ein großer Treiber" sei. Sie hätte allerdings gegen "Widerstände im Land" anzukämpfen.

Katars Herrscher als "Treiber"?

Den verschiedenen Berichten von Menschenrechtsorganisationen ist so etwas nicht zu entnehmen. Auch die Verbesserungen gerade hinsichtlich der Bedingungen von Millionen Gastarbeitern werden nach Informationen der Sportschau in einem in Kürze von Amnesty International veröffentlichten Bericht kritischer gesehen. So habe es zwar Zusagen der Regierungen für Reformen gegeben und auch entsprechende Gesetze, aber die Umsetzung sei mangelhaft.

Bierhoff gab zu, dass es auch für ihn sehr schwierig sei, sich ein umfassendes und realistisches Bild zu verschaffen. "Der Kontakt zu den Einheimischen ist doch sehr restriktiv", sagte er über Erfahrungen aus vergangenen Besuchen, "der Kontakt ist sehr stark auf die politische Führung und auch Organisationen beschränkt".

Inhaftierte Whistleblower wie den ehemaligen Medienchef des Organisationskomitees, Abdullah Ibhais, und ausgebeutete Arbeiter, die - wie von Human Rights Watch berichtet - fünf Monate lang auf ihr karges Gehalt warten, werden für die Delegation des DFB im Vorfeld des Turniers und auch während der WM vom 21. November bis 18. Dezember kaum zu greifen sein.

Wie es die Nationalmannschaft umsetzen will, "immer wieder auf Missstände hinzuweisen", wie von Joshua Kimmich gefordert, bleibt zu Beginn des Länderspieljahres offen. Die Versprechungen klingen ähnlich wie vor der Weltmeisterschaft 2018 in Russland, als auch kaum etwas zu vernehmen war.

Solidarität mit der Ukraine

Der DFB steht vor einem auch politisch herausfordernden Jahr. Bernd Neuendorf sprach am 11. März während des Bundestages, auf dem er zum Präsidenten gewählt wurde, das Thema Katar an, noch ohne konkret zu werden.

Eine "klare Haltung", so Neuendorf, sei wichtig für den DFB, um auch den beschworenen Neuanfang zu schaffen und Vertrauen zurückzugewinnen. Im Vorwort zum Spiel gegen Israel beschränkte er sich auf die anstehende Partie und das Thema, das derzeit alle anderen überlagert: den Krieg Russlands gegen die Ukraine. "Geschlossen und solidarisch" stehe "die Fußballfamilie" hinter den Ukrainern. Dies werde auch der Abend in Sinsheim zeigen. Details über geplante Aktionen wurden noch nicht bekannt.