
Neapel in der Serie A Conte + Lukaku = Erfolg
Die SSC Neapel, Zehnter der Vorsaison, könnte Meister werden in der Serie A. Das liegt auch am Wirken zweier Männer, einer Trainer, einer Torjäger, und an ihrer ungewöhnlichen Verbindung.
Die Gespräche im Hotel hat Jürgen Kohler, 59, auch nach 30 Jahren nicht vergessen. An den Abenden vor den Spielen, das Abschlusstraining lag hinter ihnen, das nächste Spiel vor ihnen, hat Kohler manchmal längere Gespräche mit einem jungen Italiener geführt. Sie teilten sich als Fußballer von Juventus Turin ein Hotelzimmer: Kohler, der Weltmeister von 1990, ein Verteidiger, Spitzname: Panzer, und Antonio Conte, ein Mittelfeldspieler, für den der Fußball auch nicht aus Übersteigern bestand.
Einmal, so hat Kohler es "Zeit Online" erzählt, habe Conte ihn gefragt, wie er sich das Leben nach der Karriere als Fußballer vorstelle. Eine Antwort hatte Kohler nicht. Also antwortete Conte. Er sagte: "Panzer, ich werde Trainer."
Conte wurde nicht direkt Trainer, er war ja erst Mitte Zwanzig. Er spielte noch ein Jahrzehnt, immer für Juve, manchmal auch für Italiens Nationalmannschaft. Er sicherte die Kreativen ab, lief für Zinédine Zidane und Alessandro del Piero, er dirigierte und grätschte, das war sein Job. Dann löste er sein Versprechen ein.
"Durch seine Adern floss Feuer"
Trainer ist Conte, 55, seit zwanzig Jahren, er war für Italiens Nationalmannschaft verantwortlich, er arbeitete in der Serie A für Juventus oder Inter Mailand und in der Premier League beim FC Chelsea und Tottenham. Oft hatte er Erfolg - nur bei den "Spurs" lief es nicht. An Angeboten mangelte es Conte vielleicht auch deshalb nie. Oft meldeten sich Klubs, die ihre Ziele zuvor nicht nur einmal verfehlt hatten.
So war das auch bei Juve: Als Conte 2011 vorgestellt wurde, wartete der Verein, der mehr Titel als jeder andere Klub in Italien gewonnen hatte, seit acht Jahren auf einen Meistertitel. Conte blieb drei Jahre, immer hieß der Meister Juventus. Er erfand "BBC", das Abwehr-Bollwerk, bestehend aus Leonardo Bonucci, Andrea Barzagli und Giorgio Chiellini. Er setzte Andrea Pirlo so ein, dass der in Ruhe seine Pässe spielen konnte. Und vorne traf immer irgendeiner.
Jahre später ist der Spielmacher Pirlo, der gleichzeitig mit Conte zu Juve wechselt war, gefragt worden, wie diese Entwicklung möglich gewesen sei. Er begann mit der Antrittsrede von Conte. "Durch seine Adern floss Feuer, er zuckte wie eine Viper", sagte Pirlo. "Wenn Conte spricht, fallen dich seine Worte an. Sie reißen die Türen deines Gehirns ein."

Conte könnte Geschichte schreiben
Seit einem Dreivierteljahr trainiert Conte die SSC Neapel, Meister in der Saison 2022/23, Zehnter ein Jahr später. Er könnte direkt Meister werden: Drei Spieltage vor Saisonende ist Neapel Erster, mit drei Punkten Vorsprung auf Verfolger Inter Mailand. Für Conte wäre es die fünfte Meisterschaft als Trainer in Italien, das haben vor ihm schon andere geschafft. Aber mit drei verschiedenen Vereinen ist noch keiner Meister geworden.
Platz | Verein | Punkte | Restprogramm |
---|---|---|---|
1 | SSC Neapel | 77 | CFC Genua (H), Parma Calcio (A), Cagliari Calcio (H) |
2 | Inter Mailand | 74 | FC Turin (A), Lazio Rom (H), Como 1907 (A) |
3 | Atalanta | 68 | AS Rom (H), CFC Genua (A), Parma Calcio (H) |
Conte hat auch in Neapel ein Abwehr-Bollwerk erschaffen, diesmal in einer Viererkette. Keine Mannschaft in einer der Top-5-Ligen Europas hat weniger Gegentore kassiert. Im Mittelfeld hat Conte keinen Pirlo, aber immerhin Stanisav Lobotka. Und Scott McTominay, der für die Verbindung zwischen Abwehr und Angriff zuständig ist, und auch als Torschütze überzeugt.
Conte kann auch auf Romelu Lukaku und seine Tore setzen, aber das ist keine Überraschung. Lukaku, 31, hätte Conte gerne schon zum FC Chelsea geholt, aber er bekam ihn nicht. Bei Inter Mailand arbeiteten sie dafür ab 2019 zwei Jahre zusammen. Sie jubelten über einen Meistertitel und trösteten sich nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Manchester City. Für keinen anderen Trainer erzielte Lukaku mehr Tore. Allein die Bilanz in der Liga: In 72 Spielen für Inter machte Lukaku 47 Tore.
Lukaku ist für Conte mehr als nur ein Torjäger
Als Conte im vergangenen Sommer Trainer von Neapel wurde, dauerte es nicht lange, ehe Lukaku als Neuzugang gehandelt wurde. Doch es vergingen einige Wochen, bevor Conte seinen Wunschspieler bekam. Zwei Tage später, am letzten Tag im August, gab Lukaku sein Debüt für Napoli. Bei seiner Einwechslung lag Neapel gegen Parma zurück, ehe in der Nachspielzeit der Ausgleich fiel. Der Torschütze hieß Lukaku. Am Ende gewann Contes Neapel noch.

Seitdem hat Lukaku immer gespielt. Er hat zehn Vorlagen gegeben und zwölf Tore erzielt, sie waren nicht immer schön, aber oft wichtig: Dreimal traf er zum 1:0, dreimal erzielte er den Siegtreffer. Es liegt auch an ihm, dass die SSC Neapel in diesem Jahr Meister werden könnte.
Es gibt eine Regel, die schon bei Inter nie falsch war. Sie gilt noch immer. Conte + Lukaku = Erfolg.
In Neapels Offensive ist Lukaku der Zielspieler
Entscheidend dafür ist eine Fähigkeit Contes, die oft übersehen wird. Conte ist ein Taktiker, einer, für den auch Kleinigkeiten zählen. Ein Tag, hat Conte einmal gesagt, habe 24 Stunden. Fünf benötige er für seinen Schlaf, drei für die Familie. "Bleiben 16 für die Arbeit." In Italien erzählen sie sich, seine Frau habe ihm irgendwann eine Trainerbank ins Wohnzimmer gestellt, weil sie oft nachts aufwachte und ihren Mann nicht im Bett vorfand, sondern im Wohnzimmer beim Videostudium.
Conte wird oft auf sein Faible für eine stabile Defensive reduziert, dabei hat er auch Ideen für die Offensive. Sie mögen nicht revolutionär sein, wie das die Ideen von Pep Guardiola einst waren. Aber sie sind effektiv. In Neapel lässt Conte meist ein 4-3-3 spielen. In diesem System ist das Offensivspiel auf Lukaku zugeschnitten, aber nicht von ihm abhängig. Dafür sorgen die Tiefenläufe von McTominay, die Dribblings von Matteo Politano und Kapitän Giovanni Di Lorenzo, der eigentlich Rechtsverteidiger ist, aber gerne ins Zentrum einrückt, manchmal sogar in den Angriff.
Lukaku dribbelt gerne, aber nicht immer erfolgreich. Er läuft oft in die Tiefe, aber nicht immer richtig. Seine Stärken sind andere - und die setzt Conte geschickt ein. Lukakus Schnelligkeit hilft Neapel bei Umschaltaktionen. Er ist der Zielspieler, der auch hohe Pässe mit dem Rücken zum Tor verarbeitet und zu einem Mitspieler bugsiert. Nur um im besten Falle Sekunden später selbst zu vollenden.
Vor einiger Zeit hat Lukaku dem "Corriere dello Sport" ein Interview gegeben. Es ging darin natürlich auch um seine Beziehung zu Conte. Bevor er auf ihn getroffen sei, sagte Lukaku, habe er es "gehasst, mit dem Rücken zum Tor zu spielen". Er schilderte, wie Conte ihm die Alternative aufgezeigt habe: einen Platz auf der Ersatzbank. "Heute bin ich ihm dankbar, denn er hat eine Schwäche von mir in eine Stärke verwandelt."