Fußball | Meinung RB Leipzig - wieder am Kern vorbei

Stand: 24.05.2022 08:37 Uhr

Rund um den ersten Titelgewinn RB Leipzigs ist viel getrollt und noch mehr diskutiert worden. Vieles ging mal wieder am Kern vorbei. Beobachtungen eines Kritikers.

Der offizielle Twitteraccount der Deutschen Fußball Liga (@DFL_Official) wird doch noch betrieben. Am Montag (23.05.2022) um 14.07 Uhr meldete der Account, dass der Supercup 2022 am 30. Juli ausgespielt werden wird, und zwar in Leipzig zwischen dem Deutschen Meister FC Bayern und dem Pokalsieger RB Leipzig.

Dass die Leipziger den Pokal gewannen, erfuhren die Follower des Accounts zum ersten Mal. Es gab weder eine dem Kurznachrichtendienst entsprechende Kurznachricht noch Glückwünsche an Rasenballsport, wie der Lizenznehmer offiziell heißt.

Nun ist der DFB-Pokal im Gegensatz zur Bundesliga kein Wettbewerb unter dem Dach der DFL, aber das ist die Europa League auch nicht. Als Eintracht Frankfurt jenen Europapokal am 18. Mai gewonnen hatte, dauerte es vom entscheidenden Elfmeter bis zum Tweet der DFL nur ein paar Minuten. "YEEEEEEEEEEEEEEEEES!", hieß es recht euphorisch, und die Glückwünsche der Geschäftsführerin folgten sieben Minuten später.

Twitter: Nur Hoffenheim gratuliert zum Pokalsieg

Seit Samstag nach dem entscheidenden Elfmeter im Berliner Olympiastadion jedoch - Funkstille. Der Admin von RB hatte auch - ebenfalls im Gegensatz zu dem von Eintracht Frankfurt - wenig zu tun, um sich bei den anderen Lizenznehmern aus der Bundesliga zu bedanken. Lediglich die TSG Hoffenheim hatte gratuliert.

Andere hatten getrollt, etwa Werder Bremen. "Kopf hoch, @scfreiburg. Ihr habt eine tolle Pokalsaison gespielt und das sind Bilder, die man sich für Geld nicht kaufen kann", schrieb der Aufsteiger unter einen Tweet des unterlegenen Pokalfinalisten.

Trollen war im Trend

Noch eine Spur trolliger war der VfL Bochum, der dem Pokalsieger kurz nach dem entscheidenden Elfmeter in Berlin gratulierte. Allerdings war es der FV Engers 07, der Stunden zuvor den Rheinlandpokal gewonnen hatte und damit - wie schon in der ersten Runde der Saison 2020/21 - wieder auf den VfL in einem Pflichtspiel treffen könnte.

Trollen war also im Trend, und so trollte auch RB Leipzig. Am Sonntagmittag postete der Klub ein Foto, auf dem Kevin Kampl aus der "Celebration Can" eine Flüssigkeit in den DFB-Pokal goss, die Grund und Existenzgrundlage des Klubs ist.

Die bestmögliche Werbeplattform

Das hätten auch der Sächsische Fußballverband, der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga wissen können (haben sie vermutlich auch), als dem SSV Markranstädt von Red Bull die Lizenz abgekauft wurde. Somit musste der Klub nicht in der tiefsten Klasse anfangen, sondern stieg möglichst schnell durch wenige Ligen nach ganz oben auf, um schnell auf der bestmöglichen Werbeplattform für sein Produkt vertreten zu sein.

Der österreichische Unternehmer Dietrich Mateschitz hätte es gerne noch schneller gehabt, doch beim FC St. Pauli, Fortuna Düsseldorf und dem TSV 1860 München hatte er sich Absagen eingehandelt.

Rasenballsport Leipzig also, gerne auch als Konstrukt bezeichnet, was deutlich mehr Beschreibung als Beleidigung ist, hat nun seinen ersten großen Titel der Vereinsgeschichte gewonnen.

Leipzig feiert und Mintzlaff spricht

"Ganz Leipzig" sei auf den Beinen gewesen und habe den Triumph gefeiert, schrieb der Verein. Das deckt sich nicht ganz mit den Angaben der Polizei, die von einer "niedrigen fünfstelligen Zahl auf dem Markt" und "dreimal so vielen auf der Festwiese" sprach. Leipzig, so eine offizielle Mitteilung der Stadt, habe zum Jahresende 2021 exakt 609.869 Einwohnende gehabt.

Da sind Fünfe mal gerade gelassen worden, und das ist genau im Sinn des Klubs. Das ist seine Wunschvorstellung, dass die Kritisierenden, die überwiegend Kritisierende der ersten Stunde sein dürften, endlich Ruhe geben.

"Wer es immer noch nicht kapiert hat, dass RB Leipzig ein fester Bestandteil des deutschen Fußball ist, dem ist nicht mehr zu helfen - und denen wollen wir auch nicht mehr helfen." Das sagte Oliver Mintzlaff, Geschäftsführer der Rasenballsport Leipzig GmbH, am Sonntag bei der Pokalfeier.

Pokalsieg nur die nächste Entwicklungsstufe

In all den Jahren ist bei der Kritik an RB Leipzig sehr viel durcheinander gegangen, viel vermischt worden. Das half dem Verein und entblößte manch Kritisierende. "Zeit online" nahm das vor dem Pokalfinale nochmal zum Anlass, eine "Anleitung zur korrekten Kritik" zu verfassen.

Mintzlaffs Gebrüll ist nach dieser Definition schnell entlarvt, denn die korrekt Kritisierenden wissen seit 2009, dass RB Leipzig ein fester Bestandteil des deutschen Fußballs sein wird, der nach ganz oben kommen und Titel gewinnen wird. Sie lassen aber auch 2022 nicht Fünfe gerade sein.

Mit dem Pokalsieg ist nun eine weitere Entwicklungsstufe genommen, die nur hinauszuzögern war. Das Endspiel war im Vorlauf und Nachlauf der Anlass für die Wiederholung von lange bekannten Argumenten.

Es gibt auch neue Beobachtungen

Der Klub gibt sich keine Mühe mehr, sein Marketing für das Produkt des Eigentümers zu kaschieren. In einem Video mit Testimonials, das vor dem Spiel verbreitet wurde, wird der Verein "Red Bull Leipzig" genannt, der beschriebene Trollpost zeigt das auch.

"Man gefällt sich bei RB in der Rolle des Mobbingopfers, das doch einfach nur ganz normal dazugehören möchte", schrieb die "taz" vor dem Finale, und dieser Eindruck verstärkte sich in den Reaktionen nach dem Spiel.

Wir werden stärker, weil alle gegen uns sind - das ist die Formel, die gepflegt wird. Sie ist allerdings nicht zu vereinbaren mit dem Versuch, "den Osten" für sich zu vereinnahmen.

Kein Ost-West-Thema daraus machen

"Die Leute stehen zu ihrem Heimatverein. In Mecklenburg-Vorpommern ist das oft Hansa Rostock, in Thüringen Carl Zeiss Jena, in Sachsen kann das Dynamo Dresden sein oder Chemie Leipzig oder Lok Leipzig", sagt Detlef Müller.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion hängt am Chemnitzer FC und an Borussia Dortmund. "Ich muss aber auch sagen, wenn ich hochklassigen Fußball sehen will, gehe ich zu RB", sagt der Sprecher der Landesgruppe Sachsen, der in Chemnitz wohnt, in seiner Fraktion. Müller beteiligte sich bei Twitter am Wochenende an den Diskussionen bei Twitter über das Konstrukt RB. Eine Gratulation zum Sieg gab es auch von ihm nicht.

Dass mit Tino Chrupalla der Bundessprecher der rechtsextremen AfD gratulierte und Leipzigs Erfolg zu einem Sieg "sächsischer Standhaftigkeit und österreichischem Unternehmensgeistes" über "politische 'Korrektheit" erklärte, ohne dass der Verein die Glückwünsche ablehnte, wollte Müller dem Klub nicht anlasten: "Gegen Beifall von der falschen Seite können sie sich nicht wehren. Da ist es auch mal besser, das unkommentiert zu lassen."

Der Sozialdemokrat wehrte sich im Gespräch mit der Sportschau dagegen, Zu- und Abneigung gegen RB Leipzig zu einem Ost-West-Thema zu machen. Ein zum Pokalfinale in der Leipziger Volkszeitung erschienener Text hatte diese Diskussion in die Sozialen Netzwerke getragen.

Bei der Kritik an RB wird weiterhin viel vermischt

"Es wirkt, als könne es kaum ein Zufall sein, aber RB reklamiert mit dem Osten eine Region, die das, was dem Verein entgegenschlägt, schon einmal erlebt hat. Die sich bestens mit Häme auskennt und mit dem Gefühl, nicht richtig dazuzugehören. Die sich aber eben auch darauf versteht, aus den abschätzigen Blicken der anderen Kraft zu schöpfen und etwas Gutes zu ziehen: ein Gefühl des Zusammenhalts", heißt es in dem Text.

"Ohje", sagte Müller, "das ist mir zu schwülstig. Da werden Gräben aufgeschüttet, die schon lange nicht mehr da sind." Ein RB Leipzig, das sich nach Anerkennung sehnt, als Zielscheibe von Mecker-Wessis zu sehen, nur weil es im Osten liegt, bediene außerdem ein längst überholtes Klischee: "Dass der Osten im Jammertal steckt, das stimmt so ja gar nicht."

Auch Red Bull St. Pauli würde fortwährend kritisiert von denen, die schon lange kapiert haben, dass es nicht um die Qualität des Leipziger Fußballs geht. Nicht darum, dass andere Klubs auch durchkommerzialisiert sind, Sponsoren haben, andere Rechtsformen haben. Es geht auch nicht darum, gute Arbeit nicht anzuerkennen. Es geht schon darum, dass RB die 50+1-Regel umgeht, aber das machen andere auch.

Die meisten dieser Punkte gehen aber nicht nur am Kern der Kritik vorbei, sie haben rein gar nichts damit zu tun. Im Kern ist RB Leipzig nicht gegründet worden, um Fußball zu spielen, sondern um mit einem gewaltigen Budget Werbung zu treiben - mit Fußball. Das ist das Alleinstellungsmerkmal.

Herzlichen Glückwunsch!