"Man of the match" gegen Portugal Robin Gosens - das lange gesuchte Puzzleteil

Stand: 19.06.2021 20:56 Uhr

Gegen Portugal war Robin Gosens mit drei Torbeteiligungen der überragende deutsche Spieler. Mit ihm hat Bundestrainer Joachim Löw endlich den richtigen Mann für die linke Seite gefunden.

"Soll ich das Ding jetzt hier mitnehmen oder was?", fragte Robin Gosens nach seinem offiziellen UEFA-Interview nach dem 4:2-Sieg gegen Portugal. "Das Ding" war seine erste Auszeichnung im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Er wurde zum "Man of the match" auserkoren, nachdem er eine überragende Leistung zeigte, die er selbst mit seinem Kopfballtreffer zum 4:1 krönte. "Das ist gigantisch. Das ist einer der Abende, die ich nie in meinem Leben vergessen werde", sagte Gosens.

Gegen Frankreich schon stark, gegen Portugal weltklasse

Gosens war schon gegen Frankreich (0:1) ein Lichtblick im deutschen Team, gegen Portugal war er mehr als das. Schon in der fünften Minute erzielte er in Kung-Fu-Manier einen Treffer nach einer Flanke von Matthias Ginter - aufgrund einer Abseitsstellung von Serge Gnabry zählte er jedoch nicht. Doch es war der Startschuss für Gosens' Spiel des Lebens.

Über die linke Seite war er nicht zu bremsen. Er zwang Ruben Dias mit seiner harten Hereingabe zum Eigentor beim 1:1, er bereitete das Tor von Kai Havertz zum 3:1 vor und stieg beim 4:1 mit einer Entschlossenheit zum Kopfball hoch, die sinnbildlich für den Typen Robin Gosens ist.

Erster Nationalspieler mit drei Torbeteiligungen bei einer EM seit 13 Jahren

"Das war leidenschaftlich, eine riesige Partie von uns", sagte er nach dem Sieg gegen Portugal. Und Gosens war dabei der Mann, der die Leidenschaft vorgelebt hatte. Bastian Schweinsteiger war 2008 der zuvor letzte Deutsche, der bei einem EM-Spiel an drei Toren direkt beteiligt war. Zudem gewann er starke 71 Prozent seiner Zweikämpfe.

Nach Jahren der verzweifelten Suche nach einem Top-Linksverteidiger scheint der DFB endlich fündig geworden zu sein. Selbst beim WM-Titel 2014 musste Innenverteidiger Benedikt Höwedes auf der Außenbahn aushelfen, weil Deutschland keinen titelwürdigen Mann für die linke Seite hatte. Mit Gosens ist diese Baustelle offenbar endgültig geschlossen.

Beinahe wäre Gosens bei Schalke gelandet

Dabei hatte den Spieler von Atalanta Bergamo bis vor kurzem kaum einer auf dem Zettel. Erst seit zwei Jahren steht er bei Bundestrainer Joachim Löw unter Beobachtung, seit Herbst 2020 ist er Nationalspieler. Gegen Portugal machte Gosens erst sein neuntes Spiel im DFB-Trikot. Dabei zeigt er in Italien schon länger Top-Leistungen. Der Durchbruch gelang in der Saison 2018/19, als er mit neun Toren seinem Team zum Einzug in die Champions League verhalf. 2020/21 verbesserte er seine Bilanz mit elf Treffern und wieder ging es in die Königsklasse. Gosens ist einer der torgefährlichsten Außenverteidiger der Welt - und das hat Portugal zu spüren bekommen.

Besonders beim FC Schalke dürfte man das alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge vernommen haben. Im Sommer 2019 wäre Gosens beinahe nach Gelsenkirchen gewechselt, drei Millionen Euro fehlten für eine Einigung mit Atalanta Bergamo. Dabei hat der Spieler schon oft betont, dass es sein Traum sei, einmal für Schalke in der Bundesliga zu spielen.

"Die dortigen Verantwortlichen haben von einem Neustart gesprochen, und wenn man dann irgendwie an einem Aufbau auf Schalke beteiligt sein könnte, wäre es immer noch grandios, bei so einem Verein spielen zu dürfen", sagte Gosens erst im Sommer 2020. Jetzt spielt Schalke jedoch erstmal in der 2. Liga und für Gosens sind bei aller Liebe eher andere Vereine interessant.

Seinen Traumjob hat er nicht bekommen

Wenn es nach Gosens gegangen wäre, wäre all das jedoch überhaupt kein Thema für ihn. Sein ursprünglicher Plan war es, Polizist zu werden. Aufgrund von zwei unterschiedlich langen Beinen scheiterte er jedoch im Bewerbungsverfahren. Nun sind seine Beine die des Shootingstars der deutschen Nationalmannschaft.

Und dazu ist Gosens - nicht erst seit seinem Tor gegen Portugal - ein Mann mit Köpfchen. Neben seiner Fußballer-Karriere studiert er Psychologie. Während viele seiner Kollegen im DFB-Camp an der Playstation zocken, liest Gosens Bücher, um sich weiterzubilden. "Ich glaube, dass jedem Verein, jedem Spieler damit geholfen wäre, dass es eine Win-win-Situation für den ganzen Fußball wäre, wenn darüber gesprochen wird", sagte er einst im Sportschau-Gespräch. Er selbst könne sich eine solche Anstellung später vorstellen: "Ich glaube schon, dass ich vielen Jungs weiterhelfen könnte. Das könnte ein spannendes Themengebiet sein für mich nach der sportlichen Karriere."

Große Beliebtheit im DFB-Team

Gosens beschäftigt sich gerne mit den mentalen Aspekten seines Sports. Das ist ein Grund dafür, dass er mit heiklen Situationen gut umgehen kann. "Es war schon ordentlich Druck auf dem Kessel. Ich bin ultrahappy, dass wir gewonnen haben, weil ohne diese drei Punkte sähe es jetzt ganz anders aus", sagte er nach dem Portugal-Sieg. Schon in den Tagen zuvor war er einer der Spieler, die den Kollegen immer wieder gut zugeredet hatten. Dass er einer der Länderspiel-unerfahrensten Akteure im Kader ist, spielt da keine Rolle.

Denn innerhalb von kurzer Zeit hat sich Gosens in der Nationalmannschaft etabliert. "Als Typ schätzen wir ihn sehr. Er ist sehr offen, sehr aktiv in der Kommunikation, geht auf jeden zu. Er hat einen sehr guten Draht zu allen", sagt Bundestrainer Joachim Löw über seinen Linksverteidiger, den er seit zwei Jahren bei Atalanta Bergamo beobachtet: "Robin ist klar im Kopf, geradlinig, ein Typ wie er auch als Spieler ist. Er zeigt immer klare Kante und kämpft mit unbändigem Willen für das, was ihm wichtig ist."