Fußball | Afrika-Cup Gernot Rohr zum Afrika Cup: "Begeistert bin ich von Gambia"

Stand: 28.01.2022 07:15 Uhr

Gernot Rohr wurde kurz vor dem Afrika-Cup als Nationaltrainer Nigerias entlassen. Das Turnier verfolgt der Deutsch-Franzose dennoch ganz genau. Einige Teams haben ihn überrascht.

Gernot Rohr (68) ist ein Globetrotter. In Mannheim aufgewachsen, spielte er unter anderem für Bayern München, ehe er 1977 nach Frankreich übersiedelte und mit Girondins Bordeaus drei französische Meistertitel gewann. Nach seiner aktiven Karriere wurde er Trainer und Sportdirektor.

Seit 2010 arbeitet Rohr als Trainer in Afrika. Er begann bei einem tunesischen Klub, betreute anschließend die Nationalteams von Gabun, Niger, Burkina Faso und seit August 2016 Nigeria. Vier Wochen vor dem Afrika-Cup 2022 wurde Rohr dort im Dezember 2021 entlassen.

sportschau: Herr Rohr, der Afrika-Cup wurde von der Zuschauertragödie am Rande des Spiels zwischen Kamerun und den Komoren erschüttert. Haben Sie als Afrika-Insider nähere Informationen zu dem Unglück erhalten?

Gernot Rohr: Nein, ich habe auch keine näheren Informationen bekommen. Es ist tragisch, dass es passiert ist und es wirft einen dunklen Schatten über das Turnier.

sportschau: Angesichts von acht Toten und 38 Verletzten bei der Massenpanik fällt es schwer, auf das Sportliche zu schauen. Wenn wir das dennoch wagen: Wie beurteilen sie das bisherige sportliche Niveau des Turniers?

Rohr: Es ging langsam los, im ersten Teil der Vorrunde haben wir wenig Tore gesehen. Es wurde dann besser, als die Spieler und Trainer eine Weile miteinander arbeiten konnten. Die Vorbereitung der Teams auf das Turnier war ja sehr kurz.

sportschau: Ist auch im afrikanischen Fußball die allgemeine Entwicklung zu beobachten: Das Spiel wird immer schneller und intensiver. Und taktisch und technisch perfekter?

Rohr: Ja, grundsätzlich ist das so, aber jetzt bei dem Turnier in Kamerun ist davon nicht allzu viel zu sehen. Was an der enormen Hitze liegt. Um 14 oder 17 Uhr ist es dort so heiß, dass Pressing und Gegenpressing einfach nicht in der Form möglich sind, wie wir es zum Beispiel in Europa sehen.

sportschau: Welche Teams haben bislang am meisten überzeugt?

Rohr: Gastgeber Kamerun spielt ein gutes Turnier, sie werden mit Bundesligaspieler Eric Maxim Choupo-Moting sicher weit kommen. Nigeria war enttäuschend – das Aus gegen ein ersatzgeschwächtes Tunesien schon im Achtelfinale kam überraschend. Wobei Taiwo Awoniyi von Union Berlin ein durchaus gutes Turnier gespielt hat. Man hat sein Potenzial gesehen, teilweise fehlte noch etwas die Abstimmung mit dem Team – er ist ja noch nicht lange dabei.

Grundsätzlich war zu sehen, dass es nicht mehr die klassischen Punktelieferanten gibt. Die kleineren Nationen haben auch im afrikanischen Fußball enorm aufgeholt. Ich bin gespannt, wie weit der Weg Burkina Fasos noch geht, die bisher sehr stark gespielt haben. Begeistert bin ich von Gambia. Ein Team ohne große Namen, das von Trainer Tom Saintfiet hervorragend eingestellt ist und starken Konterfußball spielt. Eine echte Mannschaft. Es macht Spaß, ihnen zuzusehen.

sportschau: Ende 2022 steht in Katar die WM auf dem Programm. Welche Rolle werden afrikanische Teams dort spielen können?

Rohr: Es werden ja nach wie vor nur fünf Teams aus Afrika am Start sein dürfen, was schade ist. Der Kontinent hätte mehr Startplätze verdient. Die Chancen werden so sein, wie bei den vergangenen Turnieren auch. Man hat Außenseiter-Möglichkeiten. Ein Vorteil könnte sein, dass es auch im November in Katar noch sehr warm ist. Da fühlen sich die afrikanischen Spieler wohl.

sportschau: Haben afrikanische Teams die Distanz zu den Top-Teams dieser Welt verkürzen können? Immerhin spielen einige ihrer Stars ja nun schon lange in Europa.

Rohr: Nein, nicht wirklich. Nach wie vor bleibt die Organisation in afrikanischen Ländern ein großes Problem. Da gibt es Defizite gegenüber zum Beispiel europäischen Teams. Ich kenne das aus eigener Erfahrung aus Nigeria. Da fehlt einiges an Professionalität, was für ein so langes Turnier einfach wichtig ist.

Außerdem, und das ist einfach die Wahrheit: Die afrikanischen Teams sind nicht so durchgehend mit Top-Spielern besetzt wie südamerikanische oder europäische Teams. Deren Spieler sind ja allesamt bei großen Vereinen unter Vertrag, die Woche für Woche auf Champions-League-Niveau trainieren und spielen.

Bei den besten afrikanischen Teams sind es höchstens zwei oder drei Spieler, die diese Klasse mitbringen. Und am Ende entscheidet bei einem WM-Turnier die Klasse der Spieler. Die qualitativen Defizite lassen sich auch mit dem besten Mannschaftsgeist auf Dauer nicht kompensieren.

Das Gespräch führte Olaf Jansen