Sportdirektor Siegfried Dietrich von Eintracht Frankfurt
interview

Frankfurt-Sportdirektor und DFB-Funktionär Dietrich - "Deutschland muss sich nicht verstecken"

Stand: 07.07.2022 09:05 Uhr

Siegfried Dietrich verfolgt die EM als Sportdirektor Frauenfußball von Eintracht Frankfurt und Vorsitzender des DFB-Ausschusses Frauen-Bundesligen aus zwei Perspektiven. Ein gutes Abschneiden der Nationalmannschaft für beide sehr wichtig - und der 65-Jährige ist optimistisch, dass es sogar mit dem Titel klappen könnte.

Herr Dietrich, im EM-Kader stehen fünf Spielerinnen, die in der vergangenen Saison mit Frankfurt für Furore gesorgt haben: Was bedeutet Ihnen das?

Siegfried Dietrich: Wenn wir alle Nationen zusammennehmen, stellt die Eintracht sogar zwölf EM-Spielerinnen. Das macht uns als Adler-Familie total stolz und freut uns sehr für die Spielerinnen. Es gab Zeiten, da hatten wir alleine mit dem FFC zehn Spielerinnen in der DFB-Auswahl abgestellt. Aber damals gab es auch weniger Vereine, die Nationalspielerinnen gestellt haben. Dass jetzt fünf Spielerinnen für Deutschland dabei sind, verstärkt unsere Vorfreude auf das Turnier immens.

In Merle Frohms verlässt die deutsche Nummer eins die Eintracht Richtung Wolfsburg. Zuletzt hat sich mit Sara Doorsoun aber auch eine Nationalspielerin für den umgekehrten Weg entschieden. Laut Tabelle ist Frankfurt die Nummer drei im deutschen Frauenfußball. Wie groß ist der Abstand zum VfL und dem FC Bayern?

Dietrich: Wolfsburg und Bayern haben einen gewachsenen Vorsprung. Wir haben in den direkten Duellen in der vergangenen Saison schon sehr gut mitgehalten und im Heimspiel gegen Bayern gewonnen. Und wir haben zumindest dabei mitgeholfen, dass es bis zum Schluss Spannung im Kampf um den dritten Champions-League-Platz gab. Ganz nach oben fehlt uns noch die Konstanz und die finale Qualität. Aber unser Ziel ist es natürlich, den Abstand kleiner werden zu lassen.

Die Fusion zwischen FFC und Eintracht Frankfurt ist zwei Jahre her: Was hat sich seitdem verändert?

Dietrich: Sehr viel! Die Grundlage ist die tolle Zusammenarbeit im Club und die maximale Unterstützung vom Vorstand. Es gibt drei Säulen. Erstens: die sportliche Entwicklung. Die Kurve zeigt kontinuierlich nach oben. Zweitens: die Infrastruktur. Wir sind auf allen Ebenen professioneller geworden. In der Sommervorbereitung, aber auch im Saisonendspurt konnten wir auf dem Gelände der Männer trainieren. Nun wird unser Stadion, das immerhin 5.800 Fans Platz bietet, weiter umgebaut - dazu das Trainingsgelände. Auch die Stadt ist hier sehr engagiert. Drittens: die Aufmerksamkeit, die wir bekommen. Mit 1.500 Fans hatten wir den besten Schnitt aller Clubs. Die 4.520 Zuschauer am letzten Spieltag bedeuten Ligarekord in dieser Saison.

Welchen Stellenwert haben die Frauen bei der Eintracht?

Dietrich: Die Wertschätzung ist riesig. Wir sind ein wichtiger Teil der vielseitigen Eintracht-Welt. Ich fand es toll, dass die Frauen beim Fanfest in Sevilla vor dem Europa-League-Finale der Männer auch eine Rolle gespielt haben. Und es war sensationell, wie danach beide Teams zusammen gefeiert haben. Wir sind einfach eine große Familie.

Wir hatten von Anfang an das Gefühl, nicht aus Mitleid von der Eintracht aufgenommen worden zu sein, sondern als wertschöpfender Teil integriert zu werden. Nach den Erfolgen im Mai leben wir nun gemeinsam den Traum von der europäischen Königsklasse.

Den Anschluss des FFC an die Eintracht haben Sie als "Konzept der Zukunft" bezeichnet. Was bedeutet das für den deutschen Frauenfußball?

Dietrich: Ich glaube, dass unsere Fusion auch international überall wahrgenommen worden ist. Zumal das nicht nur eine Fusion auf dem Papier war, sondern wir das Miteinander nachhaltig leben. Wir können in vielen Punkten profitieren - bei den Netzwerken, der Vermarktung und auch bei der Medienpräsenz. Aber wir bringen auch mit unserem Know-how viel für die Vielfalt in der Adler-Familie mit ein. Da gibt es für beide Seiten wertvolle Synergien.

Brauchen also auch die reinen Frauenfußball-Clubs wie Turbine Potsdam, der SC Sand oder die SGS Essen schleunigst starke Partner?

Dietrich: Das Ganze steht unter der Überschrift Wettbewerb. Ich habe großen Respekt davor, was an den drei genannten Standorten auf die Beine gestellt wird. Aber ich glaube, dass es künftig mehr braucht. Wir stehen erst am Anfang dieser Form der Professionalisierung. Reine Frauenfußball-Vereine werden es künftig extrem schwer haben. Ihnen fehlen in vielen Punkten schlichtweg die richtigen Werkzeuge.

Muss die Bundesliga erweitert werden, wenn sich nun immer mehr große Clubs mit Mannschaften in der Männer-Bundesliga ernsthaft bei den Fußballerinnen engagieren?

Dietrich: Die Überlegungen gibt es schon länger. Allerdings muss man bedenken, dass das Geld aus den TV-Verträgen und der Zentralvermarktung eben auch immer unter allen Clubs aufgeteilt wird. Und mehr Geld wird es dann geben, wenn die Qualität auf dem Rasen auch in der Breite weiter steigt. Dann hätten wir mehr Wettbewerb, mehr Präsenz in den Medien, mehr Erlöse und gute Voraussetzungen auf 14 oder mehr Bundesligisten zu erhöhen.

Ich freue mich, dass jetzt auch Clubs wie der VfB Stuttgart, der HSV und Union Berlin Gas geben wollen in Sachen Frauenfußball. Und auch ein Derby Dortmund - Schalke würde der Bundesliga auf jeden Fall sehr gut tun. Immer mehr Clubs merken, dass das Thema dauerhaft wichtiger wird - und dass die Fahrt losgegangen ist. Da will keiner zu spät kommen. Ich bin davon überzeugt, dass nach einigen Jahren gezielter Investitionen und fortschreitender Professionalisierung die Clubs mit dem Frauenfußball auch Geld verdienen können."

Die Bundesliga hat durch starke ausländische Ligen an Bedeutung verloren. Wo steht der deutsche Club-Fußball im Sommer 2022?

Dietrich: Der Wettbewerb hat auf jeden Fall stark zugenommen, ist auf europäischer Ebene noch spannender geworden. Dem müssen wir uns stellen. Ich finde es cool, dass überall mehr passiert. Über 90.000 Zuschauer in Barcelona sind schon eine richtungsweisende Hausnummer. Aber wir müssen uns nicht verstecken. In der Bundesliga war der Wettkampf oben und unten lange spannend - da ist viel Qualität in der Breite vorhanden. Und in der Champions League hatte sich nur Deutschland drei Plätze für die Gruppenphase gesichert.

Und wo steht die deutsche Nationalmannschaft?

Dietrich: Ich finde, dass Deutschland weiterhin zu den Top-Nationen in Europa gehört. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist der Umbruch gelungen. Im Kader stehen viele Talente. Viele Leistungsträgerinnen haben sich auch in den Vereinen noch einmal weiterentwickelt. Und wenn ich die Erfolge im Juniorinnen-Bereich sehe, mache ich mir auch keine Sorgen um die Zukunft.

Zuletzt war für das Nationalteam bei EM und WM jeweils im Viertelfinale Endstation. Angesichts der starken Gruppe erscheint nun sogar ein Aus nach der Vorrunde möglich. Wie beurteilen Sie die Situation?

Dietrich: 2017 und 2019 gab es natürlich bittere Niederlagen. Sie zeigen die wachsende Konkurrenz. Man darf das 7:0 im letzten EM-Test nicht überbewerten, aber es wird auf jeden Fall Selbstvertrauen für den Einstieg in die EM gebracht haben. Klar, dass die Erwartungshaltung ist, wieder ins Viertelfinale einzuziehen.

Sie haben vor einem Vierteljahr betont, dass der deutsche Frauenfußball im internationalen Vergleich keine Zeit zu verlieren habe. Welche Rolle kommt da der Nationalmannschaft zu und wann wäre die EM aus Ihrer Sicht eine erfolgreiche Endrunde?

Dietrich: Wenn Deutschland das Halbfinale erreicht! Für mich geht es aber nicht nur um das sportliche Abschneiden: Wir können viel davon lernen und vielleicht auch kopieren, wie selbstverständlich der Frauenfußball in England mit dazu gehört und gelebt wird. Es muss uns gelingen, den Hype rund um das Turnier auch in Deutschland sichtbar zu machen und den Schwung gleich zu Beginn der neuen Bundesliga-Saison mitzunehmen. Highlight-Spiele in den großen Stadien unserer Clubs wären mit fünfstelligen Zuschauerzahlen die richtige Antwort auf die Entwicklung in Europa.

Wir haben den Engländerinnen aber auch immer noch etwas voraus: Das Nationalteam hat noch keinen internationalen Titel gewonnen. Und wir werden versuchen, dass das auch so bleibt. Die deutsche Nationalmannschaft gehört zum Kreis der Teams, die sich die europäische Krone aufsetzen können. Und ich als Optimist glaube: Wenn wir uns in einen Flow spielen, können wir das am Ende auch schaffen.

Das Interview führte Florian Neuhauss

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 06.07.2022 | 15:47 Uhr