Die deutsche Fußball-Nationalspielerin Tabea Waßmuth bei einem Torschuss.

Ausgezeichnete Nachwuchsarbeit Hoffenheimer Talentschmiede kommt dem DFB zugute

Stand: 14.07.2022 17:42 Uhr

Die TSG Hoffenheim bringt in schöner Regelmäßigkeit Nationalspielerinnen heraus, die dann zu Spitzenclubs weiterziehen. Drei ehemalige Hoffenheimerinnen könnten gegen Finnland ihr EM-Startelfdebüt feiern.

Von Florian Neuhauss (London)

Ein langer Pass und Tabea Waßmuth war durchgebrochen. Die deutsche Nationalstürmerin, die kurz zuvor eingewechselt worden war, sprintete auf das spanische Tor zu, umkurvte dann noch Keeperin Sandra Paños und versenkte den Ball sicher im Netz. Doch der Jubel über ihren vermeintlichen Treffer im ersten EM-Einsatz hielt sich in Grenzen. Abseits!

Dennoch: Die 25-Jährige hatte ihren ersten großen Moment in England. "Ich habe gedacht, dass ich noch viel deutlicher im Abseits stehe, als es im Endeffekt war. Aber ich hatte das im Training geübt, und deshalb habe ich mich trotzdem ein bisschen gefreut, dass der Ball reingegangen ist", sagte Waßmuth der Sportschau.

Weitere Momente könnten bereits im tabellarisch bedeutungslosen, abschließenden Gruppenspiel am Samstag (16.07.2022 / 21 Uhr MESZ) gegen Finnland folgen. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg muss womöglich auf angeschlagene und sicher auf zwei gesperrte Spielerinnen verzichten - und sprach bereits über Rotationsmöglichkeiten. Das Spiel brauche zwar eine Achse aus bestimmten Spielerinnen, aber drumherum dürfte es ein paar Wechsel geben.

Startelf-Chance für Waßmuth, Brand und Lattwein

Zu den ersten Startelfkandidatinnen gehören neben Waßmuth auch Jule Brand und Lena Lattwein. Die drei Frauen eint nicht nur, dass sie nach der EM gemeinsam beim VfL Wolfsburg kicken werden. Das Trio spielte vorher auch bei der TSG Hoffenheim.

Die deutschen Fußball-Nationalspielerinnen (v.l.n.r.) Lena Lattwein, Jule Brand, Tabea Wassmuth, Sophia Kleinherne.

Bisher kamen Lena Lattwein, Jule Brand und Tabea Waßmuth ebenso wie Sophia Kleinherne (v.l.) nicht von Beginn an zum Einsatz.

Und so täuscht der Blick auf den deutschen Kader ein wenig, wenn unter den aktuellen Clubs das Team aus dem Kraichgau nicht auftaucht. Die Hoffenheimer haben es in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderer Club verstanden, Talente zu finden, auszubilden und auf Bundesliga- oder sogar Nationalmannschaftsniveau zu trimmen.

Hoffenheim stolz auf seine ehemaligen Spielerinnen

"Wir freuen uns über jede unserer Spielerinnen, die es in den Kreis der A-Nationalmannschaft schafft. Das ist für uns eine schöne Anerkennung", sagt Ralf Zwanziger, der bei der TSG Leiter des Mädchen- und Frauenfußballförderzentrums ist. Bitter ist allerdings, dass Hoffenheim zuletzt viele Spielerinnen abgeben musste, ohne dafür eine (nennenswerte) Ablöse zu bekommen.

Deshalb verfolgt der Sohn des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger die Entwicklung der deutschen Talente mit einem lachenden und einem weinenden Auge. "Bei Lena Lattwein war klar, dass die TSG für sie nur ein Zwischenschritt ist. Tabea Waßmuth hat ewig bei uns gespielt. Da ist es verständlich, dass sie auch mal etwas anderes sehen will", sagt Zwanziger.

Jule Brand war im Kraichgau nicht zu halten

Der Abgang von Jule Brand - Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nennt sie einen "Shooting-Star" - schmerzt allerdings. Denn noch bevor der Stern der Offensivspielerin wirklich hell über Hoffenheim aufging, hatte sich Wolfsburg schon die Dienste der 19-Jährigen gesichert.

Jule Brand ist ein Ausnahmetalent. Sie hat einen raketenhaften Aufstieg hingelegt.
Ralf Zwanziger, TSG Hoffenheim

"Jule Brand ist ein Ausnahmetalent", sagte Zwanziger. "Sie hat einen raketenhaften Aufstieg hingelegt, ist bei uns durch die zweite Mannschaft geschossen und ganz schnell in der ersten Mannschaft Stammspielerin geworden." Da Brand in der Kürze der Zeit nicht mal einen Bundesliga-Vertrag in Hoffenheim unterschrieben hatte, war sie nicht zu halten.

"Es ist wirklich alles sehr schnell gegangen. Und bei Wolfsburg hat für mich einfach das Gesamtpaket gepasst", erklärte Brand während der EM. "Mich hat beeindruckt, was der VfL die ganze Saison über für eine Leistung gebracht hat. Das ist ein Weltklasse-Team, in dem ich mit Tabea und Lena auch schon zwei Spielerinnen ganz gut kannte."

Topspielerinnen aus dem Ausland unter Vertrag

Andere Topspielerinnen konnte die TSG aber an sich binden. Die EM-Teilnehmerinnen Tine De Caigny (Belgien) und Luana Bühler (Schweiz) spielen in der kommenden Saison weiter in Hoffenheim. Die österreichische Mittelstürmerin Nicole Billa, Fußballerin des Jahres 2021 in Deutschland und in ihrem Heimatland, hat ihren Vertrag sogar gerade bis 2025 verlängert.

Diese Meldung war nicht zuletzt ein Signal, dass künftig bei der TSG langfristiger gedacht wird: "Ablösesummen müssen ein größeres Gewicht bekommen, damit der Verein für die gute Ausbildung von Spielerinnen auch finanziell belohnt wird", unterstrich Zwanziger.

Großer TSG-Block im vorläufigen EM-Kader

Gleich fünf deutsche Spielerinnen aus der Hoffenheimer Mannschaft durften sich lange Zeit Hoffnungen auf die EM-Teilnahme machen. Chantal Hagel hatte als 24. Kaderspielerin bis zuletzt noch auf Abruf für das DFB-Team bereitgestanden. Mit Verteidigerin Jana Feldkamp, Torhüterin Martina Tufeković sowie TSG-Kapitänin Fabienne Dongus hatte Bundestrainerin Voss-Tecklenburg drei weitere Spielerinnen für den vorläufigen EM-Kader nominiert - dazu die Münchnerin Maximiliane Rall, die auch vier Jahre in Hoffenheim spielte.

TSG-Außenbahnspielerin Paulina Krumbiegel hatte sich im August 2021 einen Kreuzbandriss zugezogen, sie war danach nicht mehr rechtzeitig in Form gekommen.

Hoffenheim "wildert" bei der Konkurrenz

"Es gibt Abgänge, die wehtun. Aber es gehen ja nicht alle Spielerinnen weg. Ganz von vorn müssen wir nicht wieder anfangen. Mit uns ist zu rechnen im Kampf um Platz drei", betonte Zwanziger. "Wir dürfen nicht rumheulen, sondern müssen die Realität annehmen." Dazu gehört auch, dass die TSG durch die Unterstützung des eingetragenen Vereins und der Männer-Profiabteilung selbst bei anderen, vermeintlich kleineren Konkurrenz-Clubs "wildern" kann.

Ralf Zwanziger von der TSG Hoffenheim, Leiter des Mädchen- und Frauenfußballförderzentrums.

Ralf Zwanziger sieht die TSG weiter im Kampf um Rang drei in der Bundesliga.

In der neuen Saison werden etwa Melissa Kössler von Turbine Potsdam und Ereleta Memeti vom SC Freiburg das Hoffenheimer Trikot tragen.

Teamkollegin Huth schwärmt von Waßmuth

Tabea Waßmuth wird dieses so schnell nicht wieder überziehen. In dem einen Jahr in Wolfsburg hat sie noch mal einen großen Schritt gemacht. "Ich kann mir das selbst nicht so richtig erklären. Ich bin einfach in den Flow gekommen", sagt die Psychologie-Studentin, die an ihrer Doktorarbeit schreibt.

Ich war zwölf Jahre in Hoffenheim und bin dem Club sehr dankbar. Bei der TSG wird gute Arbeit geleistet - und es werden bestimmt neue Nationalspielerinnen aus Hoffenheim kommen.
Tabea Waßmuth

"Beim VfL muss man immer seine Leistung bringen, und dann entwickelt man sich auch weiter. Ich hatte natürlich gehofft, mit Wolfsburg um Titel mitspielen zu können. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich dabei so eine Rolle spielen würde", berichtete Waßmuth. Am Ende waren es in der ersten Saison Meisterschaft und Pokal, in der Champions League war erst im Halbfinale gegen den FC Barcelona Schluss.

Tabea Waßmuth und Svenja Huth jubeln im Trikot des VfL Wolfsburg.

Beim VfL Wolfsburg feiert Tabea Waßmuth (l.) die Erfolge unter anderem zusammen mit Svenja Huth.

Mit 13 Liga-Treffern und zehn Toren in der "Königsklasse" hatte sie für viel Furore gesorgt. Und Svenja Huth, ihre Mitspielerin in Wolfsburg und in der Nationalmannschaft, schwärmte im Gespräch mit der Sportschau: "Wir sind sehr froh, Tabbi im Team zu haben. Dass sie fast in der Champions League den Goldenen Schuh gewonnen hat, ist toll. Mit den zweitmeisten Treffern war sie sehr wichtig für uns."

Muskuläre Probleme bremsen Stürmerin vor EM aus

Waßmuths Pech war es allerdings, dass sie in der entscheidenden EM-Vorbereitungsphase mit muskulären Problemen zu kämpfen hatte. In ihrer "Abwesenheit" brillierte Klara Bühl mit drei Treffern bei der Generalprobe gegen die Schweiz - und sicherte sich damit das Startelf-Ticket für die ersten Spiele in England.

Gegen Finnland könnte nun aber auch Waßmuth von Beginn an auflaufen - ob auf der Außenbahn oder im Sturmzentrum, ist dabei egal. "Tabea hat ein brutales Tempo - und zuletzt hart an ihrem Torabschluss gearbeitet. Jede Gegnerin spielt ungern gegen sie. Auch weil sie 90 Minuten lang ackern kann. Das macht sie so wertvoll", lobt Zwanziger.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.07.2022 | 17:45 Uhr