Karim Adeyemi (l.) wird im Spiel gegen VfL Bochum im Strafraum gefoult

Fehlentscheidungen, Helden und Versager Kutzop, Berg, Stegemann - Momente, die Meister machen

Stand: 05.05.2023 12:23 Uhr

Es kann gut sein, dass die Fehlentscheidung von Sascha Stegemann Borussia Dortmund die Meisterschaft kostet. Solche entscheidenden Momente gab es in der Bundesliga-Historie mehrfach - die Sportschau blickt zurück.

Dass Stegemann und natürlich auch der durch Passivität glänzende Video-Assistent Robert Hartmann beim Bundesligaspiel zwischen dem VfL Bochum und Borussia Dortmund vollkommen danebengelegen haben, als sie das Foul von Danilo Soares an Karim Adeyemi in der 65. Minute nicht ahndeten, hat Stegemann inzwischen zugegeben. Unmittelbar hatte dieser katastrophale Patzer zur Folge, dass der BVB durch das 1:1 die Tabellenführung wieder an Bayern München verloren hat.

Ob dieser Moment wie eine Reihe anderer in die Historie der Fußball-Bundesliga eingehen wird, entscheidet sich in den verbleibenden vier Partien: Wenn Dortmund am 27. Mai so knapp hinter den Bayern ins Ziel kommt, dass ein Sieg gegen Bochum zum Titel gereicht hätte, wird die Meisterschaft 2022/23 immer mit dem Namen "Stegemann" verbunden bleiben. Er käme damit auf eine Stufe mit Alfons Berg aus Konz.

Berg aus Konz: "Eine fatale Fehlentscheidung von mir"

Alfons Berg hatte allerdings keinen VAR an seiner Seite, als er sich am 16. Mai 1992 seinen Platz im Bundesliga-Geschichtsbuch sicherte. Eine allzugroße Entschuldigung für diesen Nicht-Pfiff ist das allerdings nicht: Für das Foul von Rostocks Stefan Böger an Frankfurts Ralf Weber könnte der Begriff "glasklar" erfunden worden sein.

Ein Sieg hätte damals den zweiten Titel für die Frankfurter seit 1959 bedeutet. Beim Stand von 1:1 verweigerte Berg der Eintracht den Strafstoß, die Partie ging dann noch mit 1:2 verloren, der VfB Stuttgart feierte dank eines Treffers von Guido Buchwald fünf Minuten vor Schluss die Meisterschaft.

Elfmeter-Aufreger im Meisterschaftsduell 1992

Sportschau, 04.05.2023 12:52 Uhr

Charly Körbel, damals Co-Trainer von Dragan Stepanovic in Frankfurt, redete anschließend Klartext: "Da arbeitet man ein ganzes Jahr auf das eine Ziel hin, und dann wirst du so beschissen. Hätte der Referee korrekt gepfiffen, dann wären wir Meister, jetzt sind wir deutscher Bademeister."

Es gab nach dem Schlusspfiff Tumulte, Weber ging mit erhobenen Fäusten auf Berg zu, Teamkameraden bremsten ihn. "Ich habe danach hemmungslos geweint. Ich bin froh, dass mich meine Mitspieler zurückgehalten haben. Wer weiß, was sonst passiert wäre", meinte Weber später. Berg gab immerhin nach Ansicht der Szene am Fernseher zu: "Eine fatale Entscheidung von mir."

Auch Roth lag daneben - aber Kutzop rettet ihn

Dass mit Volker Roth nicht noch eine andere Schiedsrichter-Legende auf der gleichen Stufe steht wie Berg aus Konz, das hat er Michael Kutzop zu verdanken. Roth traf am 22. April 1986 ebenfalls eine Fehlentscheidung, die am vorletzten Bundesliga-Spieltag beinahe Werder Bremen zum Meister gemacht hätte. Werder hatte zwei Punkte Vorsprung auf die Bayern, es kam praktisch zu einem Endspiel um den Titel - wenn Bremen gewonnen hätte. In der 89. Minute beim Stand von 0:0 klärte Bayerns Sören Lerby eine Strafraumszene per Kopf, Roth wollte aber - übrigens auch noch nach Ansicht der Bilder - ein Handspiel erkannt haben.

Den Rest der Geschichte kennt bis heute jeder Fußball-Fan: Kutzop, der zuvor 17 seiner 17 Bundesliga-Elfmeter verwandelt hatte, trat an, schickte Jean-Marie Pfaff in die linke Ecke und ballerte an den rechten Außenpfosten. "Dieses Scheiß-Geräusch vergesse ich nie", sagte Kutzop Jahre danach. Elf Flaschen Champagner blieben in der Bremer Kabine ungeköpft, am letzten Spieltag vermasselte Werder dann den Titel endgültig durch eine 1:2-Niederlage in Stuttgart, die Bayern mit Trainer Udo Lattek feierten völlig unverhofft doch noch.

Merk-würdig - Rückpass, Freistoß, Meister der Herzen

Ein Bayern-Titel auf der Zielgeraden - absolut kein Einzelfall. Auch 2001/02 gab es diese Konstellation, auch damals war einer der berühmtesten Unparteiischen der DFB-Geschichte maßgeblich beteiligt: Dr. Markus Merk.

Auch dieser Spieltag, der letzte der Saison, mit dieser ganz speziellen Konstellation, den irren Wendungen, den unfassbaren Emotionen bis tief in die Nachspielzeit, hat sich in die Köpfe der Fußball-Fans eingebrannt: Erst jubelt Schalke, aber verfrüht. Dann jubeln die Bayern - Schalke ist nur "Meister der Herzen". Am Ende ausschlaggebend war ein indirekter Freistoß.

Marc Eschweiler, Sportschau, 04.05.2023 13:10 Uhr

Die Lage zuvor: Bayern brauchte ein Remis zur Meisterschaft, geriet aber in Hamburg durch Sergej Barbarez in der 89. Minute 0:1 in Rückstand. Schalke führte zeitgleich 5:3 gegen Unterhaching, als das Spiel abgepfiffen war, wähnte sich "Königsblau" am Ziel aller Träume. Doch in Hamburg wurde noch gespielt, dann nahm Torhüter Mathias Schober ein Zuspiel auf, das Merk als "Rückpass" wertete - bis heute umstritten. Bayern-Innenverteidiger Patrik Andersson jagte den Ball Vollspann in die Maschen, 1:1, Abpfiff - Schalke versank in einem Tränenmeer.

Ballack-Eigentor kostet "Vizekusen" den Titel

Auf der letzten Rille war den Münchenern auch der erste Titel im neuen Jahrtausend gelungen. Dabei war der Teppich für Bayer Leverkusen schon ausgerollt, die Original-Schale am 34. Spieltag natürlich im kleinen Stadion von Unterhaching - denn dort war Tabellenführer Leverkusen mit drei Punkten Vorsprung angereist. Ein Bayer-Fan hatte schon das Konterfei von Christoph Daum mit Krone gebastelt, dazu der Schriftzug "Millenium-Meister".

Das war nachvollziehbar, denn Daum hatte vor dem Spieltag schließlich versprochen: "Letztes Spiel Unterhaching, die letzte Hürde und die nehmen wir auch noch. Samstag, 17.15 Uhr, sind wir Meister. Basta!" Und Daum tönte damals munter weiter: "Wir sind auf Sieg programmiert, da hält uns keiner mehr auf." Außer Michael Ballack.

Der traf zur Hachinger Führung ins eigene Tor - und das Unheil nahm seinen Lauf. Es brach kollektive Versagensangst aus, auf der Tribüne wurde Reiner Calmund blasser und blasser. Aber im benachbarten München wollte man trotz klarer Führung gegen Werder Bremen noch nicht an dieses Wunder glauben - schließlich waren in Haching noch 70 Minuten zu spielen. Erst als in der 72. Minute Markus Oberleitner das 2:0 nachlegte, brach im Olympiastadion Jubel aus, der bis zum Schlusspfiff anhielt: Bayern war wieder Meister, Bayer war nur noch "Vizekusen".

2007 - "Hitz" hämmert Stuttgart zur Meisterschaft

Sieben Jahre später war es wie bei Ballack wieder ein einziger Treffer, der rückblickend als meisterschafts-entscheidend eingeordnet wurde. Pavel Pardo hatte damals den Blick für den freien Raum, aber so viel Mut muss man auch erstmal aufbringen. Er schlug seinen Eckball von rechts in die Zentrale, aber weit außerhalb des Cottbuser Strafraums - und fand den Vollspann von Thomas Hitzlsperger.

"Hitz, the hammer", hieß der Stuttgarter Mittelfeldspieler damals noch nicht, diese Auszeichnung verlieh ihm erst später der englische Boulevard. Aber "hämmern" konnte er auch schon am 19. Mai 2007, es war dieses genial-krachende Volley-Tor aus gut 20 Metern, mit dem bis heute der Titelgewinn des VfB in der Saison 2006/07 identifiziert wird.

Als Hitzlsperger abzog, lag Stuttgart überraschend 0:1 hinten und drohte, die Meisterschaft trotz einer grandiosen Aufholjagd mit zuvor sechs Siegen in Serie doch noch auf der Zielgeraden zu verspielen. Konkurrent Schalke war von der 19. Minute (der VfB geriet durch Cottbus-Stürmer Sergui Radu in Rückstand) bis zum Hitzlsperger-Hammer für acht Minuten zurück auf Platz eins, ehe dieses 1:1 und später noch das Siegtor von Sami Khedira (63.) die Wende brachten.

Hitzlsperger erinnerte sich später: "Nach diesem Tor war das Vertrauen bei uns allen wieder da, dass wir das Spiel drehen und die Sache zu Ende bringen würden. Es war eine Befreiung."

Meister-Momente auch im Abstiegskampf

Eine unvergessliche Befreiung, eine Erlösung, eine Auferstehung - die gab es anno 1999. Damals ging es in den Momenten, die bis heute andauern, mal nicht um eine Meisterschaft, sondern um eine Rettung vor dem Abstieg, parallel dazu also auch um einen Untergang.

Es war ein Drama in so vielen Akten, dass die ARD-Radiokonferenz mit den drei Hauptdarstellern Günther Koch in Nürnberg (gegen Freiburg), Manni Breuckmann in Bochum (gegen Rostock) und Dirk Schmitt in Frankfurt (gegen Kaiserslautern) in die Fußball-Geschichte einging: Fünf Teams konnten vor dem 34. Spieltag noch absteigen.

"Wir melden uns vom Abgrund" beim "FC Wackelknie"

Einer der berühmtesten Funk-Sprüche aller Fußball-Radiozeiten lautete damals "Wir melden uns vom Abgrund", gesprochen von Günther Koch, der "seine" Nürnberger in "FC Wackelknie" umtaufte, so unfassbar nervös tölpelte der vor dem Spieltag auf Rang zwölf (!) liegende "Club" über den Rasen.

Nürnberg konnte trotz des kollektiven Wackelns aber nur absteigen, wenn Frankfurt zeitgleich nach dem 4:1 noch das 5:1 nachlegen würde. O-Ton Dirk Schmitt: "Dann ist es Fjörtoft, der ist im Strafraum. Und er trifft! Toooooooor, Tooooooor, für die Frankfurter Eintracht, 5:1. Herrjeh! Welche Leistung! Und damit ist wieder der 1. FC Nürnberg in der zweiten Liga!“ Fjörtoft hatte nach einem sensationellen Übersteiger getroffen.

Ulli Schäfer, Sportschau, 04.05.2023 10:53 Uhr

Zwischenzeitlich waren auch mal Bochum und Rostock am Abgrund gewesen. Und am Ende dann eben wieder Nürnberg, weil Frank Baumann aus fünf Metern das leere Tor nicht traf und ein Marek-Nikl-Kopfball vom Innenpfosten zurück ins Feld titschte. Manni Breuckmann sagte schließlich mitfühlend über den Sender zum Kollegen Koch: "Und Günther, du tust mir auch leid. Erlaube mir dieses persönliche Wort an dieser Stelle."