Politik und Fußball EURO 2020 - das politisch aufgeladene Turnier

Stand: 12.07.2021 09:52 Uhr

Die EURO 2020 lieferte zahlreiche Diskussionen, längst nicht alle drehten sich um Fußball. Die Europameisterschaft war politisch aufgeladen - ein Rückblick.

Die UEFA und der Druck auf die Staatsregierungen

"Die Option, dass irgendein Spiel der EM ohne Fans ausgetragen wird, ist vom Tisch", sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin Mitte März. Damals gab es noch hohe Inzidenzen an vielen Austragungsorten, auch München. Aber die UEFA und ihr Präsident forderten zunächst die Zulassung von Fans in den Stadien - oder das Feld der Austragungsorte könnte verringert werden.

Zwar schwächte die UEFA die Forderung öffentlich später ab, die aber trotzdem zu jeder Zeit im Raum stand. Dublin verlor seine Spiele an London und Sankt Petersburg, Bilbao musste seine Partien an Sevilla abgeben. Der politische Druck der UEFA war groß - der politische Druck lastete aber fortan auf dem Turnier.

Mehr Fans, weniger Vorschriften

Im Laufe des Turniers entfielen manche Vorschriften, die nutzbaren Kapazitäten stiegen in Kopenhagen, vor allem aber in Großbritannien. Die britische Regierung soll laut der britischen Zeitung "Times" von der UEFA mit der Überlegung konfrontiert worden sein, die drei letzten Spiele des Turniers nach Budapest zu verlegen. Es folgte eine Erhöhung der Kapazität, eine Maskenpflicht am Platz entfiel ab dem Achtelfinale. Die UEFA widerspricht und sagt, dass allein die Behörden vor Ort die Entscheidungen träfen. "Und die UEFA befolgt diese strikt."

Englische Fans in Wembley nach Raheem Sterlings Tor gegen Deutschland

Die UEFA bekam noch mehr Zugeständnisse. Neben der Erhöhung der nutzbaren Kapazität räumten die britischen Behörden den wichtigen Gästen der UEFA beim Halbfinale und beim Endspiel Sonderrechte ein, indem diese Menschen die Quarantäne für die Spiele unterbrechen durften.

Die Bruchlandung von Greenpeace

Beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft krachte ein Gleitschirmflieger ins Stadion. Ein Greenpeace-Aktivist wollte für "mehr Tempo beim Ausstieg aus klimaschädlichen Verbrennungsmotoren beim EM-Sponsor Volkswagen demonstrieren". Er verletzte zwei Menschen leicht, als er fast in eine Tribüne krachte - ein schlimmerer Ablauf wäre durchaus möglich gewesen.

Der Mann habe ursprünglich nur einen großen Latexball mit einer Aufschrift abwerfen und weiterfliegen wollen, teilte Greenpeace später mit. Doch er verhedderte sich in der Dachkonstruktion und musste danach auf dem Spielfeld landen. Greenpeace teilte mit, dass die Aktion ganz anders geplant und die Landung im Stadion unabsichtlich gewesen sei. Die Konsequenz: "Wir werden nicht mehr über Menschenmassen fliegen", sagte Greenpeace-Sprecher Dietmar Kress in der "Süddeutschen Zeitung". 

Die "Überprüfung" der Regenbogenbinde von Manuel Neuer

Manuel Neuer spielte bei der EM mit einer Kapitänsbinde in Regenbogenfarben. Eine gegen Homophobie. Doch die UEFA leitete eine offizielle "Überprüfung der Binde" ein. Die Regenbogenbinde wurde später "als Zeichen für Vielfalt und damit für 'good cause' bewertet", teilte der DFB mit. Hintergrund: Die Regularien besagen eigentlich, dass die Spielführer die offiziell von der UEFA bereitgestellten Binde tragen müssen.

Der Regenbogen war damit erstmals Thema bei der EM - aber nicht zum letzten Mal.

Der Streit um die Regenbogenbeleuchtung

Kurz vor dem Spiel zwischen Deutschland und Ungarn in München wurde in Ungarn ein Gesetz verabschiedet, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität einschränkt. Der Münchner Stadtrat hatte die UEFA gebeten, aus diesem Anlass das Stadion in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen. Die UEFA hatte den Antrag als "politisch" abgelehnt, weil er sich gegen Ungarns Regierung richtete.

Das Stadion und die Umgebung strahlten trotzdem bunt. Der Dachverband des deutschen Christopher Street Days (CSD) hatte den Fans mit Partnern wie Amnesty International rund 11.000 Fahnen zur Verfügung gestellt. Ein Fan lief mit einer Regenbogenflagge bei den Hymnen auf das Spielfeld - ihm droht nun ein Stadionverbot.

Ceferin sagte in der Zeitung "Die Welt": "Sie wissen ganz genau, dass die UEFA keine homophobe Organisation ist. Und ich persönlich bin es natürlich auch nicht. Das haben wir oft genug gezeigt. Aber wir wollen bei populistischen Aktionen nicht benutzt werden." Am Tag des Spiels kleidete die UEFA ihr Logo in sozialen Netzwerken und auf ihrer Internetseite in Regenbogenfarben. Sie nannte das gerade in München aus politischen Gründen verbotene Symbol selbst ausdrücklich "nicht politisch" - alleine der Antrag aus dem Münchner Stadtrat sei es gewesen. Der Regenbogen prägte das Turnier von nun an.

Sicherheitskräfte konfiszieren Regenbogenflaggen in Budapester Fanzone

Vier Tage nach dem Spiel in München nahmen Sicherheitskräfte in Budapest Fans aus den Niederlanden vor dem Achtelfinalspiel gegen Tschechien beim Betreten der Fanzone die Regenbogenflaggen ab.

Niederländische Medien meldeten, dass dies im Auftrag der UEFA geschehen sei, was diese dementierte. Die Flaggen seien "nicht politisch" und daher zulässig. Die UEFA betonte, dass sie solche Symbole begrüße.

Regenbogenwerbung von VW verboten

Neben der UEFA hatten auch einige Sponsoren die Gelegenheit genutzt, ihr Image durch Regenbogenfarben aufzuwerten. Volkswagen wollte auch beim Viertelfinale in Baku und in Sankt Petersburg mit Regenbogenfarben werben - durfte aber nicht. Die UEFA berief sich auf die Gesetzeslagen in Aserbaidschan und Russland.

"Die UEFA fordert von ihren Sponsoren, dass die Gestaltung der Werbung den lokalen Gesetzen entsprechen", teilte die UEFA auf Anfrage der Sportschau mit. "Wir wissen, dass dies in Baku und Sankt Petersburg nicht der Fall ist."

Sicherheitskräfte konfiszieren Regenbogenflaggen in Bakus Stadion

Und wieder der Regenbogen: Während in Baku schon die Werbung von VW verboten war, kam es direkt zum nächsten Zwischenfall. Dänische Fans hatten beim Viertelfinale in Baku gegen Tschechien die Regenbogenflagge hochgehalten. Ordner schritten ein und nahmen den Fans die Flagge weg, die zumindest später wieder den Besitzern ausgehändigt worden sein soll.

Niederknien gegen Rassismus

Bei mehreren Spielen knieten sich einzelne Spieler oder ganze Mannschaften vor dem Anpfiff hin, um gegen Rassismus zu protestieren. Das Niederknien gilt als Solidarisierung mit der "Black Lives Matter"-Bewegung, die sich gegen rassistische Polizeigewalt und Rassismus im Allgemeinen wendet. In England musste der Verband seine Fans auffordern, die eigenen Spieler nicht auszubuhen. Als belgische Spieler in Sankt Petersburg gegen Russland knieten, pfiffen die russischen Fans die Geste lautstark aus. Das Argument der Gegner: Das Niederknien sei eine politische Geste, die im Fußball verboten ist. Die deutschen Spieler knieten im Spiel gegen England gemeinsam mit den englischen Spielern.

Die UEFA bestrafte das Hinknien nicht - sie fand stattdessen sogar ermutigende Worte. Für die UEFA als Ausrichterin der EURO 2020 fällt die Geste nicht in die politische Kategorie. "Die UEFA tritt mit null Toleranz gegen Rassismus ein", teilte der Verband auf Anfrage der Sportschau mit. "Jeder Spieler, der eine Gleichstellung von Menschen fordert, indem er sich niederkniet, hat die Erlaubnis dazu."

Die Sponsoren aus Katar, China und Russland

Zwölf Sponsoren hat die UEFA für die EURO 2020 gefunden. Einige rufen Kritik hervor: Aserbaidschans staatlicher Energiekonzern SOCAR stieg vor dem Turnier aus, Russlands staatlicher Energiekonzern Gazprom füllte die Lücke. Das von Wladimir Putin autoritär geführte Land durfte zahlreiche Spiele austragen, nach Wembley (8) hatte Sankt Petersburg die meisten Partien (7). Alexander Djukow ist nicht nur Chef des russischen Fußballverbandes und einer Gazprom-Tochterfirma, sondern auch Mitglied des UEFA-Exekutivkomitees.

Eine enge Bindung suchte die UEFA zuletzt auch zu Katar. Während Katar zu einer offiziellen Gastmannschaft der europäischen WM-Qualifikation ernannt wurde und nun gegen Portugal mit Cristiano Ronaldo spielen darf, wurde die staatliche Fluggesellschaft "Qatar Airways" zur offiziellen Fluglinie des Turniers ernannt. Bekannt sind zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Katar, dessen Staatsfonds übrigens 17 Prozent der Stimmrechte bei Volkswagen, dem einzigen deutschen UEFA-Sponsor besitzt.

Gleich vier Sponsoren kommen aus China, wo die Menschenrechtslage katastrophal ist. Zwei der Unternehmen, das Elektronikunternehmen Hisense und der Smartphone-Hersteller Vivo werden mit Zwangsarbeit der uigurischen Minderheit in China in Verbindung gebracht. China werden von Menschenrechtsorganisationen im Umgang mit den Uiguren Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Die Gastgeber aus Aserbaidschan, Ungarn und Russland

Die EURO sollte ein europäisches Fest sein, dabei sind aber auch einige Länder, die keine europäischen Werte haben oder sich immer weiter von ihnen entfernen. Beim Gruppenspiel der Türkei gegen Wales in Baku saß UEFA-Präsident Aleksander Ceferin zwischen Aserbaidschans Diktator Ilham Aliyev und dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Staatspräsident hatte zuvor die Stadt Schuscha besucht, die im Krieg um Berg-Karabach von Aserbaidschan zurückerobert worden war.

Ungarn werden diverse Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen - deshalb brachte das EU-Parlament 2018 ein Strafverfahren auf den Weg - vom Glanz der EM-Spiele profitiert hier aber auch Viktor Orban. Russland, das mit dem Unternehmen Gazprom einen der größten und einflusssreichsten Sponsoren der UEFA stellt, verweigerte dem ARD-Journalisten Robert Kempe zwischenzeitlich eine Akkreditierung für das Turnier. Die UEFA ist in allen drei Ländern immer wieder zu Gast gewesen, vor allem mit großen Spielen des Europapokals und nun mit der EURO 2020.

Die Krim auf dem Trikot der Ukraine

Die Krieg in der Ostukraine ist bei jeder Auslosung von UEFA-Wettbewerben präsent. Stets werden russische und ukrainische Mannschaften voneinander ferngehalten, so auch bei dieser Europameisterschaft. Ein Aufeinandertreffen wäre frühestens im Viertelfinale möglich gewesen. Im Vorfeld des Turniers kam es zu einer Diskussion um die Trikots der Ukraine.

Das EM-Trikot der Ukraine kann weitgehend so bleiben, wie es ist.

Die UEFA forderte die Ukraine auf, ihr Trikot zu verändern. Ein "politischer Slogan" an der Innenseite des Kragens solle entfernt werden, hieß es. Der Aufruf "Ruhm unseren Helden!" auf der Innenseite des Kragens der Trikots sei "eindeutig politischer Natur" - er musste entfernt werden. Der Spruch "Ruhm der Ukraine!" im Nacken durfte dagegen bleiben. Der Slogan, der vollständig "Ruhm der Ukraine! Ruhm unseren Helden!" lautet, ist ein patriotischer Ausruf und der offizielle militärische Gruß. Er war Leitmotiv der Demonstranten, die den vom Kreml unterstützten ehemaligen Machthaber der Ukraine, Viktor Janukowitsch, bei Protesten im Jahr 2014 gestürzt hatten.

Der Umriss der Ukraine - einschließlich der von Russland annektierten Krim - durfte dagegen bleiben. Ein russischer Politiker sagte wütend: "Dann sollen unsere Spieler in T-Shirts auf den Platz gehen, auf denen die Umrisse des russischen Reiches abgebildet sind, das Polen, die Ukraine und Finnland einschließt." Ein Spiel zwischen den beiden Teams in der K.o.-Runde blieb der UEFA erspart, Russland schied in der Gruppenphase aus.

Nächster Halt für den Spitzenfußball: Katar

Das nächste große Turnier steht im November und Dezember 2022 an: die WM in Katar. Vererbt die UEFA nun das Thema Regenbogenfarben an die FIFA? Katar hat bereits zugesichert, dass die Regenbogenflagge im Stadion erlaubt sein wird. Die Vielfalt, für die die Flagge steht, bleibt verboten. Homosexualität wird beim kommenden WM-Gastgeber mit Gefängnis und/oder Peitschenhieben bestraft.

Angesichts von weiteren Menschenrechtsverletzungen und der Ausbeutung von Gastarbeitern ist das wohl nur eines von vielen politischen Themen, das die WM begleiten wird.