Arsenals Martin Odegaard jubelt.

Premier League Martin Ödegaard - acht Jahre Anlauf an die Spitze

Stand: 21.01.2023 20:42 Uhr

Mit 16 Jahren galt Martin Ödegaard als künftiger Mix aus Messi und Ronaldo und ging zu Real Madrid. Es folgten harte Zeiten mit vielen Transfers - erst jetzt mit 24 beim FC Arsenal ist er oben angekommen.

Es war eine lange und harte Reise, mit Prunk und Provinz, wobei die Provinz lange die Oberhand behielt. Immer wieder hielt die Realität nicht mit den wahnwitzigen Versprechen stand, die auf den schmalen Schultern dieses jungen Norwegers lasteten, der schon vor seinem Wechsel zum Weltklub für die A-Nationalmannschaft debütiert hatte. Halb Europa riss sich um das vermeintliche Jahrhunderttalent, Real Madrid machte das Rennen.

Ronaldo raus, Ödegaard rein

Sein erster Chefcoach nach seinem Abgang von Strömsgodset IF, vielleicht war auch das ein Problem, war gleich ein Weltstar. Mit allerhöchsten Ansprüchen an Teamplay und allerhöchster Abneigung gegen Sonderbehandlungen. Ödegaard trainierte zwar fast immer mit der ersten Mannschaft von Real. Spielen durfte er aber zunächst nur in der Zweiten, Real Madrid Castilla. Da stand damals Zinédine Zidane für die zweite Mannschaft an der Seitenlinie. Dieses Wechselspiel zwischen "oben trainieren" und "unten spielen" beschrieb Ödegaard Jahre später mal als ein Konstrukt, das ihn "irgendwo in der Mitte gefangen" hielt.

Martin Oedegaard ist enttäuscht.

Harte Zeiten bei Real - Martin Ödegaard hat sie hinter sich

Erst im letzten Spiel der Saison 2014/15 durfte der Spielmacher seinen ersten Einsatz in der Primera División feiern: Bei einem 7:3 gegen den FC Getafe stand er mit 16 Jahren und 156 Tagen als damals jüngster Spieler der königlichen Geschichte 32 Minuten lang auf dem Platz. Er löste in der 58. Minute ausgrechnet Cristiano Ronaldo ab, der an diesem Tag dreimal getroffen hatte und als dessen Nachfolger ihn viele irgendwann einmal sahen.

Wieder Real, aber nicht Madrid

Dieser Druck war zu groß, zumal Ödegaards Konkurrenten Casemiro, Luka Modric und Toni Kroos hießen - dann noch Isco und Federico Valverde. Ödegaard wollte spielen und ließ sich ausleihen, erst zum SC Heerenveen, dann zu Vitesse Arnheim. Allzu viel sprach in dieser Zeit nicht für eine Rückkehr zu Real, in Heerenveen gelangen Ödegaard in 38 Eredivisie-Einsätzen zwei Tore und vier Assists. Etwas besser waren seine Werte in Arnheim: acht Treffer und elf Vorlagen in 31 Partien. Danach ging es wieder zu Real, aber nur zu Real Sociedad nach San Sebastián.

Ödegaards Rückkehr ins Bernabeu stieg am 23. November 2019, auf der Zehnerposition von Real Sociedad traf der Norweger auf Casemiro, und wenn er in die Spitze ging, standen ihm Sergio Ramos und Raphael Varane im Weg. Er spielte ordentlich, aber wirkungslos: 3:1 gewannen die "Königlichen". Auch das Rückspiel ging mit 2:1 an die inzwischen von Zidane trainierten Madrid-Profis, Ödegaard wurde nach 79 Minuten ausgewechselt. Am Saisonende standen vier La-Liga-Tore und sechs Assists auf seinem Konto.

Rückholaktion und Verkauf in die Premier League

Zidane, der als viermaliger Champions-League-Sieger-Trainer in die Real-Geschichte eingehen wird, aber nicht als größter Talente-Förderer, befürwortete nach dieser Saison dennoch Ödegaards Rückkehr ins "weiße Ballett". Es reichte aber wieder nicht zum Durchbruch. Nur drei Startelf- und fünf Joker-Einsätze gönnte Zidane dem schmächtigen Mittelfeldspieler. Dann erlöste ihn der FC Arsenal.

Es war ein Wechsel, bei dem die Vorzeichen auch nicht gerade brillant waren: Die körperlich robuste Premier League und der dürre Skandinavier, wie sollte das gutgehen? Doch in London glaubten sie an seine Qualität, zahlten umgerechnet 35 Millionen Euro Ablöse, nachdem sie Ödegaard zuvor ein halbes Jahr ausgeliehen hatten. Sein sehr umtriebiger Vater und Förderer Hans Erik Ödegaard hatte auch in dieser Phase wieder mal Kontakt mit allerlei Klubs gehabt, konkrete Angebote gab es außer dem von Arsenal unter anderem auch vom FC Liverpool und Ajax Amsterdam, aus der Bundesliga sollen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach Interesse gehabt haben, die sich aber nur eine Leihe leisten konnten - Real wollte aber nur verkaufen.

Glücksfall Mikel Arteta

Die Entscheidung fiel auf Arsenal und Coach Mikel Arteta erwies sich als Ödegaards Glücksfall. Unter ihm musste er nicht vom ersten Tag an beweisen, dass er ein verhinderter Weltstar war. Der Spanier integrierte Ödegaard in die Gruppe, gab ihm leichter lösbare Aufgaben. Zidane hatte nie einen wirklichen Zugang zu dem wohl auch nicht allzu nahbaren Norweger gefunden, auch in Arnheim bezeichnete sein damaliger Coach Leonid Slutski sein Verhalten "wie das von einem Roboter".

Arteta aber sprach viel mit ihm, band ihn in seine Überlegungen ein. Und schaffte es, mehr aus ihm herauszukitzeln als alle Vorgängertrainer. Wie Slutski Ödegaard bewertete, konnte der Spanier nicht verstehen: "Martin ist so ein netter, bescheidener Typ, alle lieben ihm hier", sagte er im Februar 2022. Er verstehe, dass der unfassbare Hype um sein Talent ihn lange "extrem belastet" habe, nun aber sei Ödegaard "Teil unseres Projekts, und das wollt er unbedingt sein. Jetzt hat er seinen Platz gefunden, er ist wirklich glücklich hier.  Er hat das Umfeld, die Leute und die Spielanteile, um es zu genießen."

Meistertitel greifbar

Arteta setzt trotz seines Starensembles voll auf Ödegaard, der in der laufenden Saison mit acht Toren und fünf Assist in 17 Partien maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die "Gunners" als Spitzenreiter nach der Meisterschaft greifen. Zuletzt traf Ödegaard auch beim 2:0-Sieg über die Tottenham Hotspurs, am Sonntag gegen Manchester United (22.01.2023, Highlights in der Sportschau ab 19.15 Uhr und Live-Ticker bei sportschau.de ab 17.30 Uhr) soll der nächste Schritt Richtung Titel folgen.

Ödegaards Ehrgeiz würde das eher noch beflügeln. Natürlich will er auch Real Madrid zeigen, dass man ihm dort nicht genug Vertrauen geschenkt hat - aus den sehr wenigen Statements, die von Ödegaard selbst veröffentlicht worden sind, ist das deutlich herauszuhören. Ob er seinen Abschied aus Madrid schonmal bereut hätte, fragte ihn "Viaplayfootball" und er antwortete: "Ich bin sehr glücklich, jetzt hier zu sein. Es war die richtige Entscheidung, wenn man bedenkt wie die Dinge in Madrid gelaufen sind. Ich habe viel durchgemacht, obwohl ich jung bin, und jetzt bin ich in dieser fantastischen Mannschaft voller junger Spieler."

"Er wird ganz oben sein"

Trotz Platz eins und Top-Statistiken sieht Arteta Ödegaard noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Der Coach lobt: "Alles was er tut, ist dafür da, um besser zu werden. Er will es wahrscheinlich mehr als jeder andere auf diesem Platz, jeden Tag. Er wird ganz oben sein." Dieses "ganz oben" wird aber wohl kaum noch einmal bei Real Madrid sein.