Mit vereinten Kräften versuchen Kathrin Hendrich (am Boden), Lena Oberdorf (vorn) und Giulia Gwinn, die Spanierennen Claudia Pina (2.v.l.) und Athenea del Castillo vom Ball zu trennen.
analyse

Deutschland bezwingt Spanien Die beeindruckende Lust eines Teams, sich zu quälen

Stand: 13.07.2022 08:15 Uhr

Auf gerade einmal 30 Prozent Ballbesitz brachten es die deutschen Fußballerinnen in ihrem zweiten EM-Spiel gegen Spanien. Dennoch war der 2:0-Erfolg nicht unverdient. Sie widerstanden dem Druck des Gegners mit nimmermüdem Einsatz - und hatten sogar noch Spaß dabei.

Von Florian Neuhauss (London)

Als Alexandra Popp nach dem ersten schnellen TV-Interview nach dem Spiel zurück auf den Platz kam, war eigentlich schon alles vorbei. Doch das wollte die Kapitänin, die sich ein Trikot der positiv auf Corona getesteten Lea Schüller verkehrt herum übergezogen hatte, so nicht akzeptieren. "Noch mal", rief die 31-Jährige also ihren Mitspielerinnen zu - und die leisteten dem "Befehl" ihrer Anführerin Folge. Noch einmal nahmen alle Aufstellung für das obligatorische Siegerfoto und noch einmal schrien alle ihre Freude heraus.

Und das angesichts der optimalen Ausbeute vollkommen zu Recht: zwei Spiele, zwei Siege, Gruppensieg und Viertelfinalticket bereits gesichert. "Ich bin unfassbar stolz auf die Mannschaft", sagte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die nach dem Spiel wie ihre Spielerinnen total abgekämpft war. "Ich bin zwar nicht so viel gelaufen, habe aber mitgefightet und alles gegeben. Nach dem Abpfiff war ich dann auch wirklich erst mal down. Mein Kreislauf hat ein bisschen Zucker gebraucht", erklärte sie.

Wie schon gegen Dänemark (4:0) hatte MVT die Spielerinnen zusammen mit ihrem Trainerteam perfekt eingestellt. Ihre Viererkette hatte sie beim Aufwärmen noch mal extra um sich geschart. Zur Pause stellte sie vom 4-3-3 mit Pressing-Nadelstichen auf ein defensiveres 4-5-1 um und bremste so die spielstarken Spanierinnen endgültig aus. "Aber die Taktik muss man auch erst mal so umsetzen." Die Bundestrainerin lobte "Fight und Spirit" ihres Teams. "Wenn man 2:0 gegen Spanien gewinnt, kann man nicht so viel verkehrt gemacht haben."

DFB-Frauen mit Automatismen, Spaß und Kommunikation

Alles richtig gemacht hatte Klara Bühl bereits in der dritten Minute. Nach einem haarsträubenden Fehlpass der spanischen Torhüterin Sandra Paños reagierte die Linksaußen geistesgegenwärtig. "Ich war selbst überrascht, dass ich den Ball bekommen habe", sagte die 21-Jährige. "Ich bin froh, dass dann die Automatismen gegriffen haben." Heißt: Ball unter Kontrolle bringen, an Spaniens Kapitänin Irene Paredes vorbeiziehen und eiskalt ins Eck treffen.

"Wir haben die Tore zu sehr guten Zeitpunkten gemacht", freute sich Abwehrchefin Marina Hegering - das 2:0 von Alexandra Popp fiel wenige Minuten vor der Pause. Dazu zeigte Nationaltorhüterin Merle Frohms eine starke Leistung und hielt erneut die Null. Der Sieg war dann verdienter Lohn. Hegering nannte das Erfolgsgeheimnis: "Viel Training, Spaß und gute Kommunikation."

Aus dem 1:1 vor fünf Monaten viel gelernt

Voss-Tecklenburg hatte ihre Spielerinnen darauf vorbereitet, dass sie deutlich weniger Ballbesitz haben würden als beim Auftakt-Erfolg - und zog als Lehrfilm das bis dato letzte Duell mit den Spanierinnen (1:1) beim Arnold-Clark-Cup Anfang dieses Jahres heran. "Wir wussten, dass wir eine große Widerstandsfähigkeit brauchen würden", erklärte MVT.

Wir wussten, dass wir eine große Widerstandsfähigkeit brauchen würden.
Martina Voss-Tecklenburg

Man könnte auch von "Frustrationstoleranz" sprechen. Denn die Deutschen mussten gerade in der zweiten Hälfte sehr viel hinter dem Ball herlaufen und Lücken schließen, nur um von der einen Seite dann wieder auf die andere zu verschieben. "Für mich waren die vielen Läufe ohne den Ball zu bekommen beim Arnold-Clark-Cup noch wirklich schwer zu akzeptieren. Aber die Erfahrung hat mir heute sehr geholfen", beschrieb Bühl.

"Player of the match" - eigentlich die ganze Mannschaft

Obwohl sie praktisch fehlerfrei agiert und damit als Abwehrchefin einen riesengroßen Anteil am Erfolg gehabt hatte, wollte Hegering ihre Leistung nicht überbewertet wissen: "Das war sicher nicht mein bestes Spiel. Ich hatte so wenig Ballkontakte wie noch nie", betonte die 32-Jährige, die ihre Auszeichnung als "Spielerin des Spiels" erst in den Jubelkreis und bei der PK - genauso wie Tage zuvor Lina Magull - schnell unter den Tisch gestellt hatte. "Ich sehe die Auszeichnung als 'Player of the match' auch eher sinnbildlich für die Leistung der ganzen Mannschaft. Am Ende waren es alle."

"Wenn eine einen Schritt weniger macht, wird es nichts"

Alle zehn Feldspielerinnen in der Anfangsformation und auch die Joker zeigten eine beeindruckende Lust am Verteidigen. "Wir wussten, dass es nichts wird, wenn nur eine von uns einen Schritt weniger macht", erklärte Abräumerin Lena Oberdorf, die sich "unglücklicherweise" genauso wie Linksverteidigerin Felicitas Rauch ihre zweite Gelbe Karte abgeholt hatte und damit im bedeutungslosen dritten Gruppenspiel gegen Finnland fehlen wird.

Strengere Regeln beim Familientag

In der Kabine feierte das Team ausgiebig - mit Tanz und Schlagermusik. Am Mittwoch steht die Regeneration im Vordergrund. Oberdorf will ins Eisbad und Fahrrad fahren. Aber es dürfen auch wieder die Familien getroffen werden. Wenn auch unter verschärften Corona-Regeln: nur noch die engsten Familienmitglieder und nur im Freien. Torhüterin Frohms sprach zudem davon, dass sich alle vor den Treffen testen sollten. Denn beim nächsten Siegerfoto sollen am besten gleich alle Spielerinnen dabei sein.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 12.07.2022 | 20:15 Uhr