EURO 2020 Warum Italien jetzt ein ganz heißer Titelanwärter ist

Stand: 17.06.2021 09:35 Uhr

Italien musste man bei der EURO auf der Liste der Titelkandidaten nicht ganz oben auf dem Zettel haben. Sollte man nach zwei eindrucksvollen Siegen aber jetzt doch. Was macht die  "Squadra Azzurra" so stark?

Vor dem Start der EURO 2020 gehörte Italien allenfalls zum erweiterten Favoritenkreis. Die Weltmeisterschaft 2018 in Russland hatte das Team verpasst, beim EM-Tunier 2016 waren die "Azzurri" im Viertelfinale gescheitert. Jetzt hat Italien als erste Mannschaft das Achtelfinale erreicht. Und das in überaus eindrucksvoller Manier. Nach dem 3:0-Auftaktsieg gegen die Türkei gewann das Team von Trainer Roberto Mancini auch gegen die Schweiz klar und deutlich mit 3:0.

Nach der Partie überschlugen sich Experten und Beobachter in Superlativen.  Von einer "Fußball-Gala" war da die Rede, von einer "magischen Nacht" - und das gegen die Schweiz, ein seit Jahren eingespieltes Team, das eigentlich auch ein Wort mitreden wollte in der Gruppe A und vor dem Turnier mal wieder als Geheimfavorit galt.

Fest steht: Nach den beiden klaren Siegen gehört der viermalige Weltmeister Italien zum ganz engen Favoritenkreis. Sportschau-Experte Bastian Schweinsteiger bringt es auf den Punkt: "Italien ist da!" Doch was macht die "Squadra Azzurra" bei der EURO so stark?

Wille und Selbstbewusstsein

Vor 16.000 Zuschauern in Rom zeigte Italien von Beginn an, dass es gegen die Schweiz gewinnen will. Doch das Team wollte nicht einfach nur gewinnen. Es wollte eindrucksvoll gewinnen, souverän, überlegen und begeisternd. Diese unbändige Lust auf Fußball war jedem einzelnen Spieler auf dem Platz anzumerken. Italien überzeugte defensiv wie offensiv, sprühte vor Spielfreude. Die "Eidgenossen" hatten diesem Willen nichts entgegenzusetzen.

"Sie haben die Schweizer förmlich aufgefressen. Von der ersten bis zur letzten Minute haben sie Tempo gemacht, und das haben sie durchgezogen bis zum Schluss", sagt Schweinsteiger: "Da sieht man mal, was Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ausmachen. Die hatten alles im Griff, alles. Das ist ein Genuss, da zuzuschauen."

Lange Siegesserie

Das Selbstbewusstsein speist sich aus der aktuellen Siegesserie der Mannschaft. Italien erscheint derzeit nahezu unschlagbar. Durch den Erfolg gegen die Schweiz ist das Team nun seit 29 Spielen ohne Niederlage und holte dabei 24 Siege. Zuletzt gab es gar zehn Erfolge in Serie mit 31:0 Toren, seit 965 Minuten ist Italien ohne Gegentreffer. Die bisher letzte Pleite gab es am 10. September 2018 in der Nations League gegen Portugal.

Unitalienisch - dank Roberto Mancini

Vor allem das ältere Publikum dürfte sich in diesen Tagen fragen, ob Italien gerade wirklich Italien ist. Seit Trainer Roberto Mancini im Mai 2018 das Team übernahm, sind die Zeiten des Taktierens und des Abwartens vorbei. Vom berüchtigten "Catenaccio" ist längst nichts mehr zu sehen. Natürlich liegt das Erfolgsrezept des früheren Stürmers in der Verteidigung, doch Mancini hat diese Kunst des Verteidigens auf eine neue Ebene gehoben. Das zeigt das Torverhältnis bei der EM – 6:0. Da verwundert es nicht, dass der italienische Verband den Vertrag mit Mancini zuletzt bis 2026 verlängert hat.

Qualität und stark in der Breite

"Ich habe das Glück, fantastische Spieler zu haben, die Lust haben, die Spaß haben und die auch mal ins Risiko gehen", sagt Mancini. In der Tat: Die Italiener haben eine enorme Qualität auf dem Platz, sind technisch begabt und abgebrüht. "Die Mittelfeldspieler wie Barella und Jorginho wissen ganz genau, was zu tun ist mit dem Ball und wie sie sich zu verhalten haben", erklärt Schweinsteiger: "Sie bleiben ruhig, auch unter Druck, sind alle in Bewegung. Jeder bietet sich an, dann verlierst du keine Bälle." Auch in der Breite sei Italien bestens aufgestellt, sagt der Sportschau-Experte: "Sie haben neue Spieler gebracht, die haben genauso gespielt wie die Spieler der ersten Elf."

Nicht abgehoben

Mancini hingegen sieht seine Mannschaft noch lange nicht auf Augenhöhe mit den Top-Teams. "Bei dieser EM gibt es Mannschaften wie Frankreich, Portugal, Belgien, die sind Weltmeister, Europameister oder Weltranglisten-Erster", sagte der 56-Jährige: "Sie haben sich über die Jahre entwickelt und haben uns einiges voraus." Er glaubt, dass seine Mannschaft noch nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen ist: "Meiner Meinung nach hat die Mannschaft noch enormes Potenzial, sich zu verbessern."

Italien reif für den Titel?

Ob sie dieses Potenzial schon während der EURO ausschöpfen kann, wird sich zeigen. Im Viertelfinale bekäme es Italien wohl mit Belgien zu tun, ein Duell, auf das man sich schon jetzt freuen darf. Sorgen macht aber die Verletzung von Kapitän Giorgio Chiellini, der gegen die Schweiz schon nach 24 Minuten vom Platz musste, von Francesco Acerbi allerdings bestens vertreten wurde. Auch Bastian Schweinsteiger glaubt, dass Italien es weit bringen kann: "Ich sehe nichts, dass es da noch zu verbessern gibt. Sie müssen den Rhythmus halten."