England - Deutschland 2:0 Achtelfinal-Aus - Sterling und Kane beenden die Ära Löw

Stand: 29.06.2021 19:55 Uhr

Die 15 Jahre dauernde Ära von Joachim Löw als Bundestrainer ist im Achtelfinale der EURO 2020 zu Ende gegangen. Obwohl sich Löw taktisch etwas Neues überlegt hatte, setzte sich England mit eiskalter Effizienz im Abschluss durch.

Für die Engländer traf wie schon in der Vorrunde auch diesmal wieder Raheem Sterling eine Viertelstunde vor Schluss für die Gastgeber in London. Vier Minuten vor dem Ende machte dann der bisher im Turnier noch torlose Harry Kane den Deckel zum 2:0-Endstand drauf.

Löw hatte es vor der Partie noch extra betont: "Was kann es Schöneres geben, als dass 95 Prozent im Stadion gegen einen sind?" Wie richtig er damit lag, wurde schon vor dem Anpfiff klar: Viele englische Fans unter den 45.000 im Wembley buhten lautstark die deutsche Nationalhymne aus - ein trauriges Verhalten, das aber irgendwie auch die Angst vor der Mannschaft widerspiegelte, die unter Löw bisher alle drei Partien in diesem Stadion gewonnen hatte.

Southgate stellt auf Dreierkette um

Möglicherweise Angst, zumindest aber enorm großen Respekt konnte man auch aus der Formation der Engländer ablesen. Obwohl die "Three Lions" in der Vorrunde in allen drei Partien ohne Gegentor geblieben waren, hatte Englands umstrittener Coach Gareth Southgate gegen das DFB-Team von Vierer- auf Dreierkette umgestellt.

Die etwas überraschende Startelf, die Löw gewählt hatte, deutete dagegen Entschlossenheit an: Dass Thomas Müller Leroy Sané ersetzen würde, war zwar klar, aber Timo Werner und Leon Goretzka anstelle von Serge Gnabry und Ilkay Gündogan sprachen für "mehr Tiefe", die der Bundestrainer unbedingt von seiner Mannschaft sehen wollte.

Walker rettet Rice vor dem Platzverweis

Diese Tiefe suchten die Deutschen sofort und mit Konsequenz: Müller spielte nach sieben Minuten einen brillanten Steilpass in den Lauf von Goretzka, der kurz vor dem Strafraum von Declan Rice per Foul gestoppt wurde. Nur weil Kyle Walker mitgelaufen war und auch noch hätte eingreifen können, blieb Rice der Platzverweis wegen Notbremse erspart.

England fand eine Viertelstunde lang überhaupt nicht statt, ehe Raheem Sterling mit einem kernigen Distanzschuss an Manuel Neuer scheiterte. Die Partie kippte anschließend ein wenig. Den Deutschen gelang es zwar, Harry Kane aus der Partie zu nehmen - nach einer halben Stunde lag er bei zwei (!) Ballkontakten - doch die schnellen Sterling und Bukayo Saka zogen immer wieder Fouls, die gefährliche Standards der Engländer heraufbeschworen.

Werner scheitert, Müller patzt

Gefährlicher im Abschluss blieb aber Deutschland, und zwar erneut mit dem Spielzug, der beim 2:2 gegen die Ungarn komplett im Repertoire gefehlt hatte: Nach einem Steilpass hinter die Abwehrkette von Kai Havertz in den Lauf von Werner verhinderte Jordan Pickford per Glanzparade das 0:1 (32. Minute).

Die Engländer wurden erst in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs noch einmal gefährlich - auf Einladung von Müller. Nach dessen Harakiri-Fehlpass im Aufbau konnten Matthias Ginter und Mats Hummels gegen Sterling und Kane nur mit zwei hochriskanten Grätschen am Fünfmeterraum so gerade noch das Gegentor verhindern.

Pickford überragend gegen Havertz

In der Pause dürfte Löw neben der Konzentration im Spielaufbau auch mehr Entschlossenheit im Abschluss von seinen Schützlingen gefordert haben, die Deutschen suchten jedenfalls sofort den Weg nach vorn. Nach einem der bis dahin ganz seltenen Vorstöße von Robin Gosens traute sich Havertz aus 20 Metern einen Volleykracher, traf den Ball sensationell - aber genauso überragend lenkte Pickford die Kugel noch über die Latte.

Es war die spektakulärste Szene der Partie - und blieb es für lange Zeit. In der Folge dominierte das Bemühen, hier bloß nicht den entscheidenden Fehler zu begehen eindeutig die Bereitschaft, auch mal ins Risiko zu gehen.

Sterling trifft, Müller versagen die Nerven

Die Engländer zelebrierten dieses Sicherheitsdenken so sehr, dass sie 30 Minuten lang keinen einzigen Torschuss hatten. Doch mit dem ersten im zweiten Durchgang trafen sie. Der eingewechselte Jack Grealish bediente auf der linken Seite Luke Shaw, der scharf in die Mitte passte - Sterling stahl sich im Rücken von Hummels davon und schob ein.

Es war die Taktik von Southgate, die sich damit ausgezahlt hatte: hinten noch sicherer zu stehen und vorne auf den Lucky Punch zu warten. Doch auch Löws Idee mit dem Pass in die Tiefe wäre beinahe noch zum Tragen gekommen, als Müller nach Havertz-Steilpass völlig allein auf Pickford zulief. Der spekulierte dann bereits auf die falsche Ecke - doch Löws zurückgeholtem Leitwolf versagten die Nerven.

Kane schafft sein Happy End

Als sich danach Frust breitmachte und die Defensive Auflösungserscheinungen zeigte, beendete Kane fünf Minuten vor dem Ende seinen Torlos-Albtraum - auf dieses 2:0 hatten weder Löw noch seine Spieler eine Antwort. Für die Engländer geht es nun am 3. Juli im Viertelfinale in Rom gegen den Gewinner des Duells zwischen Schweden und der Ukraine weiter. Was Löw nach seiner Ablösung durch Hansi Flick machen wird, ist noch völlig offen.