Beth Mead aus England jubelt über das 4. Tor gegen Norwegen
analyse

Gruppe A Englands EM-Gala raubt den Atem - Norwegen brutal geerdet

Stand: 12.07.2022 12:52 Uhr

Nach dem Durchmarsch ins Viertelfinale berauscht sich England an einem spektakulären Auftritt seiner Fußballerinnen. Norwegen liegt nach dem 0:8 am Boden und muss gegen Österreich alles auf eine Karte setzen.

Von Ines Bellinger

Spätestens als Ellen White die "Brille" auspackte, werden die deutschen Fußballerinnen in ihren Fernsehsesseln einigermaßen unruhig geworden sein. Die englische Rekord-Torschützin besorgte beim atemraubenden 8:0-Sieg der Engländerinnen gegen Norwegen das 3:0 und das 6:0 und zeigte ihren typischen Jubel mit zu Kreisen geformten Daumen und Zeigefingern vor beiden Augen.

Abgeschaut hat sie sich ihren Torjubel einst bei einem Besuch in Köln von FC-Stürmer Anthony Modeste. "Ich liebe deutschen Fußball", sagt die Star-Stürmerin von Manchester City. Nun, nicht nur das DFB-Team würde ein Aufeinandertreffen mit den "Lionesses" nach der Gala-Nacht von Brighton gern so lange wie möglich vermeiden.

England feiert eine "Gr-eight Night"

"Was geht denn hier ab?" Das sei ihr durch den Kopf gegangen, als die Dinge in Brighton Hove & Albion ihren Lauf nahmen, erzählte Englands Teammanagerin Sarina Wiegman nach dem Spiel. Die englischen Medien feierten wie üblich bei solchen Gelegenheiten mit Übertreibungen und Wortschöpfungen.

Die BBC adelte den Auftritt der Turnierfavoritinnen als "sensationell", "Metro" fabulierte von einer "Gr-eight Night", der "Daily Star" von der "Greightest Show". Der "Independent" berichtete von einer "wilden, weißen Angriffswelle". Der "Daily Telegraph" schrieb: "England hat Norwegen nicht nur geschlagen, sondern verprügelt, vernichtet, auseinandergenommen."

Bilanz unter Wiegman: 93:3 Tore in 16 Spielen

Deutschland (4:0 gegen Dänemark) und Frankreich (5:1 gegen Italien) hatten bei ihren Auftaktspielen bereits Ausrufezeichen gesetzt. England lieferte nach dem knappen 1:0 im ersten Spiel gegen Österreich nun mehr als ein Statement ab. Das 8:0 war der höchste Sieg der EM-Geschichte. Von 16 Spielen unter der Regie der Erfolgstrainerin Wiegman ging nicht eines verloren, die sagenhafte Torbilanz unter ihrer Ägide steht jetzt bei 93:3. England scheint auf den Punkt ein komplettes Team beisammen zu haben, das die Qualität besitzt, Europas Thron zu besteigen.

Gegen Norwegen waren von 15 Schüssen aufs Tor stattliche acht drin, die Engländerinnen hatten 64 Prozent Ballbesitz. Beth Mead fühlt sich nach vier EM-Toren "in der Form meines Lebens", Ellen White nannte den Sieg eine "große Botschaft" an die versammelte Konkurrenz.

Nach dem Spiel sang und tanzte das Team ausgelassen mit den Fans, die einfach nicht nach Hause gehen wollten. Arsenal-Legende Ian Wright war schwer beeindruckt: "Es war brillant. Eine fantastische Leistung von England. Ich wusste, dass das kommen würde, und es kam auch."

Wir bleiben auf dem Boden der Tatsachen. Wir haben noch nichts gewonnen.
Englands Trainerin Sarina Wiegman

Wiegman, die nach dem EM-Sieg 2017 mit den Niederlanden vom englischen Verband engagiert wurde, um den ersten großen Titel auf die Insel zu holen, hatte denn auch alle Mühe, die Euphorie zu bremsen. "Es ist auch nur ein Spiel", sagte sie. "Wir werden den Moment genießen, aber wir bleiben auf dem Boden der Tatsachen. Wir haben noch nichts gewonnen."

Gegen Nordirland geht es ums Prestige

Am Freitag (15.07.2022) steht in Southampton das letzte Gruppenspiel an. Weil England als Gruppensieger feststeht und Nordirland bereits ausgeschieden ist, ist der Ausgang der Partie sportlich unerheblich für beide Teams. Allein fürs Prestige werden die Engländerinnen gegen den EM-Debütanten aus der britischen Provinz aber ein weiteres Mal ihre Visitenkarte abgeben wollen. Im Viertelfinale geht es dann gegen den Zweiten der deutschen Gruppe B

Norwegen "peinlich" und "erbärmlich"

Für Norwegen indes zählt gegen die punktgleichen Österreicherinnen am Freitag (21 Uhr MESZ / live im Ersten und bei sportschau.de) nur ein Sieg, weil das 0:8 ihnen nach dem 4:1 zum Auftakt gegen Nordirland die Tordifferenz demoliert hat. Der albtraumhafte Abend wurde in Norwegen mit Erschütterung zur Kenntnis genommen. "Erbärmlicher geht es nicht", urteilte "Aftenposten". Das "Dagbladet" sah ein "totales Gemetzel. Norwegen lieferte eine der peinlichsten Leistungen der Geschichte ab."

In der Tat wirkten die Norwegerinnen wie paralysiert. Der Weltklasse-Sturm mit Ada Hegerberg, Guro Reiten und Caroline Graham Hansen hing total in der Luft, die Abwehr um Kapitänin Maren Mjelde und Maria Thorisdottir, beide bei englischen Clubs unter Vertrag, lag in Trümmern. Und Trainer Martin Sjøberg fand von außen kein Mittel, um das Unheil, das über sein Team hinwegrollte, noch abzuwenden.

Hegerberg: Norwegen muss seinen Stolz wiederfinden

"Es ist brutal,", sagte Hegerberg nach dem Debakel - Norwegens höchster Niederlage bei einem großen Turnier. Wie 2017 droht dem Weltmeister von 1995 und zweimaligen Europameister das Aus nach der Vorrunde. Das wollen die Weltfußballerin von 2018 und ihre Teamkolleginnen unter allen Umständen verhindern. "Es gibt keine Entschuldigung für das, was passiert ist", sagte Hegerberg. "Aber nun gilt es, unseren Stolz wiederzufinden und weiterzukommen. Das ist immer noch drin."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.07.2022 | 17:45 Uhr