Stefano Pioli (l.), Trainer der AC Mailand, und Luciano Spalletti, Trainer der SSC Neapel

CL-Viertelfinal-Rückspiel Neapels Spalletti und Milans Pioli träumen von der Premiere

Stand: 18.04.2023 10:39 Uhr

Das knappe Ergebnis im Hinspiel zwischen Milan und Neapel verspricht einen spannenden Fight um den Einzug ins Halbfinale der Champions League. Für beide Trainer wäre das ein Meilenstein.

Das Versteckspiel ist zu Ende. Die Champions League sei lediglich Zusatzspiel, hatte Neapels Trainer Luciano Spalletti bislang tiefgestapelt. Was für ihn wirklich zähle, sei die Meisterschaft in der Serie A. Jetzt, vor dem Rückspiel gegen AC Mailand, lässt der Erfolgscoach der Neapolitaner die Maske fallen. "Ich werde nur zufrieden sein", so die Kampfansage Spallettis in der Pre-match-Pressekonferenz, "wenn wir es schaffen, in die nächste Runde einzuziehen." Um mit Spalletti-typischem Pathos hinterherzuschieben: Mit der Königsklasse sei kein Risiko für die Meisterschaft verbunden, in der Champions League "riskieren wir nur unendliche Glückseligkeit".

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Das Viertelfinale gegen Milan ist ein Schaufenster des Besten, was der italienische Fußball seit einem Jahr zu bieten hat. Der angehende Meister (Neapel hat in der Liga 14 Punkte Vorsprung) trifft auf den aktuellen Titelträger. Beide Teams stehen für eine neue Zeit im Calcio: Defensives Denken war gestern, Spalletti und Mailands Trainer Stefano Pioli lehren eine neue Lust am Fußballspielen. Die Begegnung vor einer Woche im San Siro, die Milan mit 1:0 gewann, war beste Unterhaltung. Für die Partie im Stadio Maradona verspricht Pioli ein "weiteres großes Spiel. Auf hohem Niveau, mit hohem Tempo, hoher Intensität."

Eine Begegnung, in die die Mailänder mit einem Tick mehr Selbstbewusstsein starten. Denn sie wissen, wie es geht, Neapel zu besiegen. Unmittelbar vor dem Erfolg im Champions League Hinspiel hat Milan den Überfliegern vom Vesuv in der Liga ihre höchste Saisonniederlage zugefügt. Mit 4:0 gewann Piolis Team in Neapel, vor allem der derzeit überragende Brahim Díaz und Jungstar Rafael Leao spielten wie im Rausch und ließen dem SSC nicht den Hauch einer Chance. Wohlgemerkt dem Team, das der große Pep Guardiola vor vier Wochen als "vielleicht bestes Team Europas" gewürdigt hatte. Ähnlich lobend äußerte sich zuvor Jürgen Klopp.

Brahim Diaz von der AC Mailand

Brahim Diaz von der AC Mailand besticht derzeit mit sehr guter Form.

Der AC Mailand aber genießt seine Rolle als Napoli-Schreck. "Wir haben einen klitzekleinen Vorsprung aus dem Hinspiel", sagte Pioli bei der Ankunft in Neapel. Jetzt, so der Milan-Trainer, "müssen wir das Werk vollenden". Ein kleines Psychospielchen gönnten sich die Mailänder. Sie verzichteten auf den bei Champions-League-Auswärtsspielen traditionellen "walk around" im Stadion des Gegners. Nach dem Motto: Brauchen wir nicht, wir kennen uns hier mit dem Gewinnen aus.

Napolis Topstürmer zurück, aber zwei Leistungsträger gesperrt

Einen Unterschied zu den beiden jüngsten Milan-Siegen aber wird es diesmal geben. Der Unterschied heißt Victor Osimhen. Neapels zuletzt fehlender Toptorjäger ist von seiner Adduktorenverletzung genesen. Am Samstag gegen Hellas Verona gab der Nigerianer in der 73. Minute sein Comeback und setzte beim ansonsten müden 0:0 mit einem Lattenknaller ein Ausrufezeichen. Der 24-Jährige, wünschen sich die Napoli-Fans, soll gegen Milan der Gamechanger sein. Osimhen sei unvergleichlich, huldigte auch Trainer Spalletti seinem Mittelstürmer. Und fügte hinzu: "Milan dürfte besorgt sein."

Neapels Stürmer Victor Osimhen

Neapels Topstürmer Victor Osimhen soll den Unterschied im Rückspiel machen.

Während die AC Mailand in Bestbesetzung antreten kann (auch der zuletzt angeschlagene Olivier Giroud steht bereit), fehlen Spalletti in Abwehr und Mittelfeld zwei wichtige Spieler. Defensivorganisator Min-Jae Kim und Antreiber André Anguissa sind Opfer von Istvan Kovacs. Der rumänische Schiedsrichter bestrafte im Hinspiel die beiden Napoli-Spieler mit fragwürdigen Karten, durch die sie für das Rückspiel gesperrt sind.

Wieder dabei in Neapel ist dagegen - das Publikum. Bei der 0:4-Niederlage vor zweieinhalb Wochen gegen Milan verweigerten die Napoli-Fans dem Team zeitweise die Unterstützung, prügelten sich untereinander und wetterten gemeinsam gegen Neapels Präsidenten Aurelio De Laurentiis. Dessen Vergehen aus Sicht der organisierten Tifosi: De Laurentiis hatte von der Regierung härtere Maßnahmen gegen gewalttätige Ultras gefordert. Aufgrund der Anfeindungen der Fans wurde Neapels Vereinschef sogar unter Polizeischutz gestellt. Vor dem Milan-Spiel aber gibt es Friedenssignale der Napoli-Tifosi.

Welcher Trainer spielt sein erstes CL-Halbfinale?

Auf dem Rasen rechnen beide Trainer mit einem engen Match und haben ihr Trainingsprogramm in den vergangenen Tagen entsprechend angepasst. Spalletti und Pioli räumten auf Nachfrage ein, sie hätten Elfmeterschießen üben lassen. Für beide Trainer wäre der Einzug in ein Champions-League-Halbfinale eine Premiere.

Dass auch der bisherigen Königsklassen-Verächter Spalletti auf den Geschmack gekommen ist, hatte sich angedeutet. Im Rahmen eines Streits auf Distanz mit Pep Guardiola. Spalletti hatte dessen Huldigung auf sein Team als vergiftetes Lob kritisiert, Guardiola daraufhin gespöttelt, in Neapel sei man sehr sensibel. Neapels Coach beendete den Ferndisput am Wochenende mit einer Entschuldigung, die er ("aus Respekt vor Guardiola") stehend vortrug - und mit dem Hinweis abschloss, er würde mit dem Kollegen aus Manchester gerne "einen schönen türkischen Kaffee" trinken. Das Champions-League-Finale findet in diesem Jahr in Istanbul statt.