Ein Aufsteiger als Tabellenführer Viktoria Berlin - die Andersmacher in der 3. Liga

Stand: 20.08.2021 09:00 Uhr

Drei Spiele, drei Siege, 10:1 Tore. Aufsteiger Viktoria Berlin schwebt durch die 3. Fußball-Liga. Unterstützt von einem Investor, der zwischen Karate und Berginternat pendelt.

Von Ilja Behnisch

Für Menschen, die die Dinge überschaubar mögen, muss Drittliga-Aufsteiger und Tabellenführer Viktoria Berlin ein schreckliches Ärgernis sein. Das beginnt schon beim Blick auf die Historie. Denn auf der einen Seite ist der Klub in seiner heutigen Form und durch eine Fusion erst 2013 entstanden. Andererseits wurde der namensgebende Vorgängerklub, der BFC Viktoria, bereits 1889 gegründet. 1908 und 1911 holte er die deutsche Meisterschaft, 1907 und 1909 stand Viktoria zudem im Finale, 1955 und 1956 in der Endrunde.

In der Folge setzte allerdings eine Entwicklung ein, die es gut und gerne in ein Synonymwörterbuch schaffen würde unter "S" wie "Sturzflug". Eine Entwicklung, die 1983 bis hinunter in die Bezirksliga führte.

Doch auch das ist längst wieder Geschichte bei den "Himmelblauen". Elf Siege in elf Spielen der vergangenen, vorzeitig abgebrochenen Regionalliga-Saison, drei Siege nach drei Spielen in der aktuellen Spielzeit in der 3. Liga sprechen für sich. Kein Wunder, könnte man hastigen Blickes hinter die Kulissen meinen, schließlich steht dem Team von Trainer Benedetto Muzzicato ein Investor zur Seite, die Viktoria 1889 Berlin Shareholder GmbH. Eine Tochtergesellschaft der SEH Sports & Entertainment Holding mit Sitz in, na klar, Hamburg. Angeführt von den Brüdern Tomislav und Zeljko Karajica.

Zwei Brüder als Investoren

Der eine, Tomislav, ehemals mehrfacher deutscher Karatemeister, Diplomingenieur und zunächst mit einem Projekt- und Planungsbüro erfolgreich, ehe er ein Optikunternehmen gründete und bald darauf begann, auch in Sportunternehmungen zu investieren. So kamen die Basketballer der Hamburg Towers 2020 auch dank seiner Unterstützung in die Bundesliga. Zudem erwarb er Anfang 2019 die Mehrheitsanteile am österreichischen Zweitligisten Austria Klagenfurt, der es inzwischen ebenfalls in die erste Liga geschafft hat.

Im April 2019 schließlich folgte der Einstieg bei Viktoria Berlin. Oder besser: die Rettung. Der Verein hatte sich ein Jahr zuvor in die Abhängigkeit des chinesischen Investors Alex Cheng begeben und stand bald darauf vor der Insolvenz, da Chengs Zahlungen von einem Tag auf den anderen ausblieben. Tomislav Karajica also sprang ein, kümmerte sich und finanzierte anschließend die Ausgliederung der Frauen-, U17-, U19- und Herrenmannschaft Viktorias.

Der Leitsatz der Brüder Karajica: "Bitte kein Mäzenatentum"

Und macht dabei unter dem Dach der SEH Sports & Entertainment Holding GmbH gemeinsame Sache mit Bruder Zeljko. Der ehemalige Geschäftsführer der Pro7Sat.1 TV Deutschland GmbH ist dabei mindestens ebenso umtriebig. Er managt den kroatischen Schwergewichtsboxer Filip Hrgovic, einen Bronze-Medaillengewinner der Olympischen Spiele von Rio 2016. Er ist Geschäftsführer der European League of Football, er hielt und löste sich von den Rechten am Sportmagazin "Life After Football" und ist Gesellschafter sowie Geschäftsführer einer Filmproduktionsfirma, die für das ZDF unter anderem den "Taunuskrimi" und "Gipfelstürmer - Das Berginternat" produziert.

Das klingt weder nach einer jener Finanz-Heuschrecken, die auf schnelle Gewinnmitnahme aus sind, noch nach Mäzenatentum. "Die eine Hälfte war Ratio und die andere war tatsächlich Emotion. Und wir haben uns eigentlich, wenn man ehrlich ist, aus beiden Beweggründen für Viktoria entschieden", sagte Zeljko Karajica im Interview mit dem RBB, und: "Bitte kein Mäzenatentum. Das, was auf dem Spielfeld stattfindet, muss sich auch in der Organisation hinter der Mannschaft widerspiegeln."

Viktoria - plötzlich dritte Kraft in Berlin

Der Plan der Brüder setzt auf nachhaltig wirkende Strukturen, eine Etablierung Viktorias als dritte Kraft in Berlin und die strikte Einbeziehung des eigenen Nachwuchses. Statt mit Millionen-Transfers in den Kader zu investieren, zahlten Verein und Investor so lieber auf ein 75.000 Quadratmeter großes Trainingsgelände ein, in dem nun erstmals sowohl die in den Bundesligen spielenden U17- und U19-Mannschaften, als auch die Frauen- und Herrenteams ein gemeinsames Zuhause gefunden haben. Überhaupt, die U-Mannschaften.

Dass die es in die Bundesliga geschafft haben, als einziger Klub ohne Nachwuchsleistungszentrum, sei wichtiger als der Sprung in die 3. Liga gewesen, sagte Zeljko Karajica auf der jüngsten Mitgliederversammlung. Und weiter: "In unseren ungeschriebenen Regeln steht, dass wir jedes Jahr die drei Top-Spieler aus der Jugend in die erste Mannschaft bringen wollen."

Die Vorzeichen dafür sind günstig. So sagte Noah Funk, Assistent der sportlichen Leitung Viktorias, unlängst gegenüber "fussball.de": "Man muss nur die Zahlen vergleichen: Das Ruhrgebiet hat fünf Millionen Einwohner und sechs Nachwuchsleistungszentren. In Berlin gibt es zwei NLZs bei vier Millionen Einwohnern."

Offensiv aus Überzeugung

Viktoria will Anlaufstelle sein für jene, für die Hertha und Union noch eine Nummer zu groß sind, die es aber dennoch in den Profifußball drängt. Und stellt mit durchschnittlich 24,3 Jahren schon jetzt einen der jüngsten Kader der dritten Liga. Mithin ein Kader, der sich kaum vom Regionalliga-Kader der Vorsaison unterscheidet, mit dem Trainer Benedetto Muzzicato trotzdem aus voller Überzeugung offensiven Fußball spielen lässt.

Die Fans registrieren es mit Wohlwollen. Bei 2.667 Zuschauern liegt der aktuelle Schnitt. 5.000 Zuschauer wären im Jahnsportpark, der Spielstätte Viktorias, auch angesichts Corona dank einer Ausnahmeregelung für die kommenden Heimspiele zugelassen. Dennoch, seit 2013 waren es durchschnittlich immer unter 700 Zahlende. Für Menschen, die die Dinge überschaubar mögen, ist Viktoria vermutlich also auch in naher Zukunft kein sonderlich gutes Pflaster.