Europameister vor dem Aus? Portugals Probleme nach der Niederlage gegen Deutschland

Stand: 19.06.2021 20:56 Uhr

Nach einem perfekten Start droht Portugal nach dem 2:4 gegen Deutschland plötzlich das EM-Aus. Trotz seiner Tore ist Cristiano Ronaldo Teil des Problems beim Europameister.

Was für ein Start für Portugal. Als Cristiano Ronaldo in der 15. Minute das 1:0 für die Selecao im Spiel gegen Deutschland erzielte, wähnte sich der Titelverteidiger schon wieder ganz oben auf der Liste der Favoriten. Sechs Punkte und 4:0 Tore war da der Zwischenstand, nur Italien (sechs Punkte, 6:0 Tore) und Belgien (sechs Punkte, 5:1 Tore) konnten da mithalten. Doch dann begann der Absturz - und Portugal droht nun tatsächlich das Aus in der Gruppenphase.

Nach dem 2:4 ist Portugal hinter Frankreich und Deutschland aktuell Dritter in der Gruppe F und muss im letzten Spiel gegen die Franzosen punkten, um das Ticket für das Achtelfinale zu buchen. Aber bei den Problemen, die die Portugiesen haben, ist die Gefahr des frühen Scheiterns vielleicht sogar größer als die Chance auf das Weiterkommen.

Treffsicherer Ronaldo ohne Bindung

Mit drei Toren steht Ronaldo mal wieder an der Spitze der Torschützenliste. Er ist seit seinem Doppelpack gegen Ungarn (3:0) der Rekordtorjäger der EM-Geschichte. Nach seinem Treffer gegen Deutschland hat er nun schon zwölfmal bei fünf Turnier-Teilnahmen getroffen. Aber: Ronaldo ist ein Teil des portugiesischen Problems.

Dass er nahezu komplett auf die defensive Mitarbeit verzichtet, machte sich vor allem gegen Deutschland bemerkbar. Zudem fehlt ihm in weiten Teilen die Bindung zum Spiel, seine Kollegen suchen ihn nicht in jeder Situation. Beispielhaft dafür war die erste Großchance des Spiels gegen das DFB-Team, als Diogo Jota selbst abschloss und den freistehenden Ronaldo übersah. Entsprechend verärgert war der Star.

Viele Künster, kein Team

Ronaldo, Diogo Jota, Bruno Fernandes, Bernardo Silva - die Liste der offensiven Ausnahmespieler ist lang. Das Star-Quartett harmoniert jedoch nicht. Alle vier haben den Anspruch, selbst zu glänzen. Sie sind in ihren Vereinen dominierende Spieler, vor allem Ronaldo bei Juventus Turin und Bruno Fernandes bei Manchester United.

Im portugiesischen Team müssten sich nun mindestens drei von ihnen unterordnen, das passt aber nicht zum Selbstbild der Solokünstler. Deswegen tat sich Portugal gegen Ungarn schon enorm schwer und konnte erst in der Schlussphase das Spiel entscheiden. Gegen Deutschland strahlte die Offensive dann ebenfalls nicht genügend Gefahr aus.

Löchrige Defensive

Gegen Frankreich wird es nicht weniger schwer. Paul Pogba, N'Golo Kanté sowie die Verteidiger Raphael Varane und Presnel Kimpembe, dazu die Außen Benjamin Pavard und Lucas Hernandez sind hohe Hürden.

Die portugiesische Defensive ist zugleich gespickt mit Spielern, die entweder vor allem offensiv denken oder nicht (mehr) die Klasse haben, um eine starke Offensive aufzuhalten.

Raphael Guerreiro und Nelson Semedo sind Außenverteidiger mit großem Drang nach vorne, dass sie Schwächen in der Defensive haben, ist bekannt. Joshua Kimmich und Robin Gosens nutzten das erfolgreich aus. Und dass Pepe mit seinen 38 Jahren im Zentrum über seinen Zenit hinaus ist, wurde ebenfalls sichtbar. Dazu hat Portugal mit William Carvalho und Danilo Perreira ein Mittelfeld-Zentrum, das nicht auf höchstem Niveau spielt. Und Rui Patricio gehört auch nicht zur "Creme de la Creme" der Torhüter.

Das große Aber

Bei all den Problemen sollte man jedoch nicht vergessen, dass die Portugiesen auch in der Vergangenheit schon erfolgreich waren, ohne groß zu glänzen. Bei ihrem EM-Titel 2016 zitterten sie sich als Gruppendritter ins Achtelfinale, Ungarn hätte ihnen beinahe das frühe Aus beschert. Und auch in der K.o.-Phase taten sich die Iberer extrem schwer.

Portugal würde ein solches Szenario erneut unterschreiben, Platz drei wäre angesichts der aktuellen Situation ein Erfolg. Aber dafür muss das Team von Trainer Fernando Santos gegen Frankreich punkten. Doch die Probleme, die Portugal im Moment hat, hatte die Mannschaft vor fünf Jahren noch nicht. Das ist der große Unterschied zu 2016.