Nadine Keßler im Interview.

Frauenchefin bei der UEFA Keßler - "Frauenfußball nicht zwischen EM und WM vergessen"

Stand: 18.07.2022 12:00 Uhr

Nadine Keßler ist mit dem bisherigen Verlauf der Frauen-EM sehr zufrieden. Die Chefin der Frauenfußball-Abteilung bei der UEFA will weiter auf Wachstum aus dem Sport heraus setzen. Aus ihrer Sicht muss vor dem viel diskutierten "Equal Pay" zunächst das "Equal Play" erreicht werden.

Von Florian Neuhauss (Milton Keynes)

"Wir sind überglücklich. Wir haben tolle Fußballspiele gesehen und auch sehr gute Stimmung in all den Stadien mit vielen Zuschauern. Ich glaube, es war wirklich ein Start, genauso wie wir ihn uns vorgestellt hatten", sagte die 34-Jährige im Sportschau-Interview vor den letzten Vorrundenduellen am Rande eines Sponsorentermins.

Die frühere Weltfußballerin des VfL Wolfsburg, die verletzungsbedingt ihre Karriere früh beenden musste, hatte kurz vor dem Start der EM in den Niederlanden 2017 bei der UEFA angefangen. Seitdem hat sich einiges verändert.

Das verdeutlicht eine Zahl besonders: Hatten vor fünf Jahren noch 240.045 Fans das gesamte Turnier in den Stadien verfolgt, knackte die Euro 2022 die alte Bestmarke mit 248.075 schon vor dem Ende der Vorrunde. Das teilte der Verband bereits am Donnerstagabend (14.07.2022) mit.

Erst "Equal Play", dann "Equal Pay"

"Diese Frauen-EM ist unser Aushängeschild. Aber wir haben auch die Champions League und die Jugendwettbewerbe verändert. Es wurden 50 Millionen Euro zusätzlich in die Entwicklung in Europa gesteckt. Wir haben einen Plan und an den halten wir uns", betonte Keßler und fügte hinzu: "Wir werden auch weiterhin strategisch daran arbeiten, all diese Wettbewerbe, aber auch das, was mit der Basis passiert, weiterzubringen. Nachhaltigkeit ist im Frauenfußball ein ganz wichtiges Thema."

Eng mit dem Thema Nachhaltigkeit ist für die europäische Frauenfußball-Chefin auch das viel diskutierte "Equal Pay" verbunden. In die Debatte hatte sich zuletzt sogar Bundeskanzler Olaf Scholz eingeschaltet. Doch aus Keßlers Sicht muss noch viel passieren, bevor darüber wirklich ernsthaft gesprochen werden kann. Zunächst gelte es für "Equal Play", also die gleichen Rahmenbedingungen, für die Frauen zu sorgen.

"Der Frauenfußball braucht Investitionen auf allen Ebenen. Diese Frauen-EM kostet die UEFA fünfmal mehr als die letzte. Und zusätzliche Gelder müssen in die Entwicklung gehen. Deshalb stelle ich die Gegenfrage: Ist es nachhaltig, all dieses Geld in Preisgeld für die 16 Nationen zu investieren? Oder müssen wir ein bisschen langfristiger denken?", sagte Keßler.

Regelmäßige Berichterstattung auch zwischen den Turnieren

Der Frauenfußball stehe "in Sachen Sichtbarkeit und auch Kommerzialisierung noch am Anfang". Bevor über das große Geld gesprochen wird, müsse man "das Produkt Frauenfußball auf eigene Beine stellen" und zunächst einmal selbst Einnahmen generieren. Davon, dass das möglich ist, ist Keßler überzeugt: Es gebe ein "unendliches Potenzial - auch kommerziell und ökonomisch".

Es ist auch für den Respekt vor dem Frauenfußball wichtig, ihn nachhaltig auf eigene Beine zu stellen.
UEFA-Frauenchefin Nadine Keßler

Doch dafür brauche es eine regelmäßige Berichterstattung. "Der Fußball muss gut sein und das Spiel muss übertragen werden. Die Leute dürfen das Thema Frauenfußball zwischen Europameisterschaften und Weltmeisterschaften nicht vergessen", betonte Keßler und sprach damit das zentrale Thema an. Solange sich abseits der großen Ereignisse nicht mehr Menschen für die Fußballerinnen in ihrem Land interessieren, wird es wohl keine Veränderungen geben.

In England, Spanien und auch Italien - wo es mittlerweile Profiligen gibt - ist zuletzt einiges unternommen worden, um die Frauen zu unterstützen. In Deutschland gibt es zwar immer mehr Profispielerinnen, vom kompletten Profitum ist die Bundesliga aber noch weit entfernt.

Umdenken bei den jüngeren Generationen?

Ihr Neffe, erzählte Keßler bei einer anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema Diversität und Gleichstellung der Geschlechter lachend, glaube noch immer, dass sie die beste Fußballerin überhaupt sei. Die Fußballfans von morgen will sie als Frauenfußball-Chefin der UEFA begeistern. Und auch dabei sieht sie sich nach den Erfahrungen bei der EM in England auf einem guten Weg: Die Atmosphäre in den Stadien, die vor allem Familien und Gruppen von Jugendlichen besuchen, tue jedem gut: "Das sind schöne Spiele, zu denen man auch die künftigen Generationen mitbringt. Und das finde ich wichtig."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:15 Uhr