Sara Björk Gunnarsdottir mit ihrem Sohn bei der EM

Fußballprofi und Mutter Team Mama bei der EM in England so stark wie nie

Stand: 16.07.2022 10:24 Uhr

Immer mehr Mütter setzen ihre Fußball-Karrieren nach der Geburt ihrer Kinder fort - bei der EM könnte Team Mama inklusive einiger Auswechselspielerinnen auch allein antreten. Die Herausforderung für die Frauen bleibt groß - doch die Vereine und Verbände werden ihrer Verantwortung langsam gerecht.

Von Florian Neuhauss (London)

Der erste Weg führte Irene Paredes direkt auf die Tribüne. Die Kapitänin der spanischen Nationalmannschaft ging zu ihrer Frau Lucia Ybarra und ihrem gemeinsamen Sohn. Und nach einer innigen Umarmung und einem Kuss für Mateo schien Paredes den Frust der vorangegangenen 90 Minuten - Spanien hatte 0:2 gegen Deutschland verloren - schon fast vergessen zu haben. Der gerade einmal zehn Monate alte Junge zauberte der beinharten Verteidigerin ein herzliches Lächeln auf die Lippen.

Paredes und Ybarra sind in Spanien in aller Munde. Die eine führt die Fußballerinnen an, die andere ist Hockey-Nationalspielerin - und nahm schon vier Monate, nachdem sie Mateo zur Welt gebracht hatte, und noch in der Stillzeit an der EuroHockey Indoor Championship II teil.

Allein im Kader Islands stehen fünf Mütter

So wie Ybarra den Weg zurück in die Hockey-Nationalmannschaft geschafft hat, gelingt es auch immer mehr Fußballerinnen. So viele Mütter wie jetzt bei der EM gab es noch nie - eine ganze Mannschaft inklusive einiger Auswechselspielerinnen könnte das Team Mama auf die Beine stellen. Allein im Kader Islands stehen, angeführt von der Ex-Wolfsburgerin Sara Björk Gunnarsdottir, fünf Mütter.

Mutter und Profifußballerin zu sein, ist - ehrlich gesagt - der beste Job überhaupt.
Islands Sara Björk Gunnarsdottir

"Mutter und Profifußballerin zu sein, ist - ehrlich gesagt - der beste Job überhaupt", sagte Gunnarsdottir der Sportschau. Die 31-jährige ist mit einem isländischen Fußballprofi zusammen, der wie sie in Frankreich kickte. Um das Thema fußballspielende Mütter mehr in den Fokus zu rücken, stimmte die Mittelfeldspielerin, die nach dem Turnier von Olympique Lyon zu Juventus Turin wechselt, einem Vorschlag ihres Ausrüsters zu, eine Dokumentation zu drehen. Denn bei ihrem Satz gibt es ein Aber: "Es ist alles machbar. Aber die Spielerinnen brauchen die Unterstützung ihrer Clubs und auch der Nationalteams."

Ihre Familie ist mit der isländischen Rekordnationalspielerin nach England gereist - und ihr Sohn Ragnar dürfe auch ins Hotel kommen, wenn sie das für nötig hält: "Das gibt mir viel Energie."

FIFA gewährt Mutterschaftsurlaub

Im vergangenen Jahr hat die FIFA neue Regeln erlassen: Nun gibt es 14 Wochen lang bezahlten Mutterschaftsurlaub mit zwei Dritteln des Gehalts. Dazu das Recht, nach der Schwangerschaft zurückzukehren, zu stillen und Zugang zu unabhängiger medizinischer Beratung zu bekommen. Ein Anfang ist also gemacht.

"Ich freue mich, dass Mütter mittlerweile gesetzlich und vertraglich besser geschützt sind, dass sich dank dieser Sicherheit mehr Frauen zutrauen, ihre Karriere fortzusetzen", sagte die ehemalige deutsche Nationalspielerin Babett Peter. "Ich finde allerdings, dass das noch immer ein mutiger Schritt ist. Ohne Hilfe, besonders von der Familie, ist es sehr schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen."

Babett Peter: "Wir wollten unbedingt Kinder"

Wie Paredes und Ybarra haben auch Peter und ihre Lebensgefährtin Ella Masar, die das Kind zur Welt gebracht hat, einen Sohn zusammen. "Wir wollten unbedingt Kinder - wir waren in dem richtigen Alter und sind auch die Typen dafür", erzählte Peter. "Bei uns als Familie war irgendwie klar, dass Ella das Kind bekommt - und auch, dass sie ihre Karriere nicht fortsetzen würde. Unsere Familienplanung ist noch nicht abgeschlossen."

Die 118-malige Nationalspielerin war in der vergangenen Saison noch Kapitänin von Real Madrid, nun hat sie ihre Schuhe an den Nagel gehängt. Ella Masar, als Fußball-Profi unter anderem in Wolfsburg am Ball, hat einen Job als Co-Trainerin beim US-amerikanischen Erstligisten Kansas City angenommen - ihr Vertrag läuft noch bis zum Jahresende. Dann will Peter auch ihr Master-Studium im Sport-Business abgeschlossen haben. Wie es danach weitergeht, ist noch offen.

Voss-Tecklenburg als kickende Mutter angefeindet

Dass eine deutsche Nationalspielerin selbst ein Kind bekommt und danach ihre Karriere fortsetzt, ist eigentlich ein alter Hut. Keine Geringere als Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat es Anfang der 1990er-Jahre vorgemacht. Aber die Zeit war definitiv eine andere.

"Ich war schon in der Trennung mit dem Vater meiner Tochter Dina. Ich habe noch in Siegen gespielt, in Lüdenscheid gearbeitet. Ich habe Dina permanent mitgenommen, habe sie auf der Autobahn gefüttert. Sie ist halt mitgelaufen", erinnerte sich die 54-Jährige in der Dokumentation "Born for this". Wenn sie dann bei großen Turnieren war, "wusste ich, mein Kind ist zu Hause und weint auch, vermisst die Mama".

Martina Voss-Tecklenburg mit ihrer Tochter Dina (2014)

Die heutige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg mit ihrer Tochter Dina im Jahr 2014.

Doch als wäre das nicht schon hart genug, musste sie sich auch noch Vorwürfe anhören: "Wie kannst du das machen? Du bist eine schlechte Mutter. Du hast das Kind allein gelassen." Dass die Kleine bei ihrer Tante und ihren beiden Cousinen war, zählte nicht. Mütter hatten damals der vorherrschenden Meinung folgend noch eine andere Rolle zu erfüllen.

DFB hilft Zwillingsmutter und Nationaltorhüterin Schult

Babett Peter erinnert sich noch genau an die Anfänge der eigenen Karriere in den 2000er-Jahren: "Damals ging es in der Gesellschaft viel weniger um Frauenrechte und Gleichheit. Mittlerweile sind diese Themen viel präsenter. Ich finde es gut, dass der Sport seiner Verantwortung besser gerecht wird. Aber es bleibt eine super Herausforderung."

Eine, die aber immer mehr Frauen annehmen. Almuth Schult ist nach Geburt ihrer Zwillinge wieder zu einer herausragenden Torhüterin geworden. In Melanie Leupolz fehlt in England eine Spielerin schwanger - laut Voss-Tecklenburg der schönste Grund, für das Turnier abzusagen.

Schult berichtete über die Fortschritte auch in Deutschland: "Der DFB hat sich mit dem Thema beschäftigt. Sie haben im Februar das Signal gegeben, dass sie mir einen Zuschuss geben für eine Kinderbetreuung. Und sie haben es auch zum ersten Mal ermöglicht, dass die Kinder ein paar Tage mit meinem Mann zusammen kommen konnten." Voss-Tecklenburg findet es nach eigener Aussage schön, "dass der DFB jetzt dieses Thema angeht und dass wir da Wege gefunden haben, auch wenn die noch nicht optimal sind".

Schult: "Kannst doch keinen so bescheuerten Beruf haben"

Doch wie beschwerlich der Weg zurück trotz der gestiegenen Unterstützung ist, musste Schult im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leib erfahren. Dass sie sich derart stark zurückmelden konnte, war nämlich sehr harte Arbeit. "Wenn du mal lachen konntest, herzhaft lachen konntest, dann war es schon ein guter Tag", blickte sie zurück. An die Belastung im Torwarttraining mit dem häufigen Aufprallen auf dem Boden musste sich ihr Körper nach der Pause erst wieder gewöhnen.

Almuth Schult im Training bei Nationalmannschaft

Almuth Schult im Training bei der deutschen Nationalmannschaft.

An manchen Tagen habe sie schon gedacht: "Du kannst doch nicht so einen bescheuerten Beruf haben." Den Comeback-Versuch abbrechen - das kam für Schult allerdings nicht infrage.

Schult-Zwillinge beim Nationalteam gern gesehene Gäste

Selbst Stimmen in der eigenen Familie ("Die hört sowieso auf."), die sie emotional sehr getroffen haben, stellte sie sich entgegen - und kehrte nicht nur ins Tor des VfL Wolfsburg zurück, sondern auch in den Kreis der Nationalmannschaft. Ihren Stammplatz hat sie allerdings verloren. Zu stark hatte sich Merle Frohms in der Zwischenzeit präsentiert.

Doch auch die Bundestrainerin, die mittlerweile Oma ist, nimmt Schults Kinder als Bereicherung wahr. "Martina kommt gar nicht mehr, ohne anzuhalten und mit den Kindern zu spielen, an diesem Tisch vorbei", berichtete Nationalmannschaftskollegin Lena Oberdorf.

Auch die 20-Jährige wird sich freuen, wenn die Zwillinge an diesem Wochenende nach England kommen: "Sobald Kinder da sind, gehen bei allen die Mutterinstinkte hoch."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:15 Uhr