FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht auf dem Fan-Fest zur WM in Katar 2022

FIFA WM 2022 Reaktionen auf Infantino-Rede - von Verwunderung bis Fremdschämen

Stand: 20.11.2022 14:12 Uhr

Für seine aufsehenerregende Verteidigungsrede im Sinne des umstrittenen WM-Gastgebers Katar erntet FIFA-Präsident Gianni Infantino harsche Kritik.

Bei seiner denkwürdigen Pressekonferenz vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar hatte sich Gianni Infantino noch in Schlips und Kragen zum Chefankläger gegen die "Doppelmoral" der westlichen Welt aufgeschwungen. Am Samstagabend (19.11.2022) gab sich der FIFA-Präsident hemdsärmelig als Einpeitscher der Stimmung auf dem Fanfest von Doha - wirkte dabei aber kaum weniger entrückt als noch wenige Stunden zuvor.

Der bizarre Auftritt des Schweizers mit Nebenwohnsitz im Land des WM-Gastgebers löste weltweit Erstaunen, Unglauben, vor allem aber harsche Kritik aus. Nicht nur bei Medien und Menschenrechtsorganisationen, sondern auch bei Verbänden, die die Konfrontation mit dem mächtigen FIFA-Boss offenbar nicht scheuen.

Dänemarks Möller: Schockiert und beschämt

"Als ich den FIFA-Präsidenten gestern gesehen habe, war ich schockiert. Und ich habe mich in dem Moment auch geschämt, ein Teil dieser Veranstaltung zu sein", sagte Dänemarks Sportdirektor Peter Möller der Deutschen Presse-Agentur. "Ich fand es beschämend. Das ist der Mann, der das Bild des Fußballs prägt und der eigentlich zeigen könnte, was Fußball bewirken kann."

Klaveness: West-Ost-Polarisierung ist gefährlich

Auch die als Kritikerin des Weltfußballverbandes bekannte Präsidentin des norwegischen Verbandes nahm kein Blatt vor den Mund. "Ich denke, dass er zu weit gegangen ist, als er begründete Kritik auf westliche Doppelmoral reduziert hat", sagte Lise Klaveness bei "CNN": "Es ist ein bisschen gefährlich, den Westen gegen den Osten zu polarisieren." Infantinos Monolog habe gezeigt, wie sehr die FIFA unter Druck stehe. "Die Kritik ist berechtigt", sagte die Skandinavierin: "Nicht an Katar an sich, sondern an der FIFA und den internationalen Fußballverbänden."

Klaveness hatte bereits Ende März auf dem FIFA-Kongress in Doha für Aufsehen gesorgt, als sie mit auf solchen Veranstaltungen ungewohnt scharfen Worten den Weltverband zu einem anderen Umgang mit Menschenrechten und Diversität aufforderte. Die WM sei im Jahr 2010 unter "inakzeptablen Umständen und mit inakzeptablen Konsequenzen" an das Emirat vergeben worden.

Amnesty: Ruf nach Menschenrechten kein Kulturkampf

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte kurz nach Infantinos wie einstudiert wirkendem Monolog harsche Kritik an den Worten des Schweizers geübt. "Indem Gianni Infantino berechtigte Kritik an der Menschenrechtslage beiseiteschiebt, weist er den enormen Preis zurück, den Arbeitsmigranten zahlen mussten, um sein Flaggschiff-Turnier zu ermöglichen - sowie die Verantwortung der FIFA dafür", sagte Steve Cockburn, Leiter der Abteilung für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bei Amnesty International.

Forderungen nach Gleichheit, Würde und Entschädigung dürften nicht als eine Art Kulturkampf behandelt werden, sagte Cockburn: "Sie sind universelle Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich die FIFA in ihren eigenen Statuten verpflichtet hat." Als Hoffnungsschimmer bezeichnete er die Ankündigung von Infantino, den sogenannten Legacy Fund, in den WM-Einnahmen fließen, globaler anzulegen. "Wenn die FIFA etwas von diesem Turnier retten will, muss sie ankündigen, dass sie einen erheblichen Teil der sechs Milliarden US-Dollar investieren wird", sagte Cockburn. Es müsse sichergestellt werden, dass mit diesem Fonds Wanderarbeiter und deren Familien direkt entschädigt würden.

Human Rights Watch mahnt konkrete Aktionen an

Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, kommentierte Infantinos Auftritt mit mehreren Tweets, schwankte dabei zwischen Ratlosigkeit und Empörung. "Geht es Infantino gut?", twitterte er nach der Selbstinszenierung des FIFA-Präsidenten, bei der er behauptete, sich unter anderem wie ein Wanderarbeiter zu fühlen.

"Vielleicht sollte Infantino weniger über seine 'Gefühle' sprechen und mehr über konkrete Aktionen wie einen Hilfsfonds für die Familien von Wanderarbeitern, die beim Bau der Infrastruktur für die WM starben", schrieb Michalski. Sein Resümee: Infantino nennt die Kritik an Katar Heuchelei "und heuchelt dabei, dass sich die Balken biegen".

Für Nicholas McGeehan, Direktor von FairSquare, ließen Infantinos Aussagen darauf schließen, "dass der FIFA-Präsident seine Argumente direkt von den katarischen Behörden erhält".