Gianni Infantino

FIFA-Präsident Infantino bei der WM 2022 Der Friedensengel von Katar

Stand: 20.11.2022 22:47 Uhr

FIFA-Präsident Gianni Infantino attackiert Europa und seine Kritiker. In einer bizarren Pressekonferenz stellt er seinen Verband als Lösung für die Probleme der Welt dar.

Von Marcus Bark, Doha

Am Ende waren es 99 Minuten statt der angekündigten "45 oder so". Das war nur fair, denn es war schließlich eine Pressekonferenz, in der es Fragen von Journalisten und Antworten geben sollte. Aber zunächst hielt der Mann für die Antworten einen 60 Minuten langen Monolog.

Dieser Mann war Gianni Infantino, 52 Jahre alter Schweizer, Präsident des Fußballweltverbandes FIFA. Kürzlich bat er darum, dass wegen der bevorstehenden WM über Fußball und nicht über Politik geredet werden solle. Dann reiste er zum G20-Gipfel der mächtigsten Politiker der Welt und forderte als Boss eines Sportverbandes einen Waffenstillstand in der Ukraine für die Zeit des Turniers ein.

"Dann wird es vielleicht besser"

Sein Monolog am Samstag (19.11.2022) und auch seine Antworten später gingen noch darüber hinaus. Infantino sendete die Botschaft in die Welt, dass die FIFA die Welt besser mache, sie brauche dafür nur Zeit.

Die Botschaft des Friedensengels gipfelte in einer Vermutung. Vielleicht, so sagte Infantino, ändere sich etwas im Iran, wenn die FIFA dort mal ein Turnier austrage: "Dann wird es vielleicht besser."

Im Iran werden derzeit Menschen mit dem Tod bestraft, die im Bewusstsein der Gefahr gegen das Regime protestieren, Reformen und Menschenrechte einfordern. Von "sehr, sehr mutigen Frauen im Iran" sprach Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), am Freitag und forderte die FIFA auf, "Position zu beziehen".

Das tat Infantino dann einen Tag später in einem sehr großen Saal des sehr großen Medienzentrums. Er tat dies, ohne das Regime zu verurteilen und den Frauen Mut zuzusprechen. Stattdessen bot er an, mit der FIFA ins Land zu kommen. Außerdem stellte er eine Gegenfrage an den Engländer, der ihn gefragt hatte. "In England leben etwa 60 Millionen Menschen. Glauben sie, dass die alle gut sind?"

Perfekt inszenierte PR-Show

Das war die Strategie des Präsidenten: Whataboutism in Reinkultur. Whataboutism bedeutet, jegliche Kritik zu relativieren, abzulenken, auf "Doppelmoral" und "Heuchelei" zu verweisen. Sein Ziel: Europa. Der Kontinent war das Ziel aller Attacken, die in einer perfekt inszenierten PR-Show vorgetragen wurden, inklusive Kunstpausen und reichlich Pathos.

"Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3.000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3.000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen", so Infantino.

Im Kern ein valider Punkt, aber auch eine Ablenkung, denn aufzuzeigen, unter welch katastrophalen Bedingungen Gastarbeiter in Katar die Stadien, die Metro, die Wolkenkratzer und die Prachtmeilen bauten, ist keine Belehrung.

"Heute", so begann Infantino, habe er "starke Gefühle". Heute fühle er "wie ein Katarer, wie ein Araber, wie ein Afrikaner, wie ein Homosexueller, wie ein Beeinträchtigter". Als er später darauf hingewiesen wurde, dass er nicht "wie eine Frau fühle", rief er mehrmals ins Mikrofon: "Ich fühle wie eine Frau." Er habe auch "vier Töchter". Whataboutism in Reinkultur.

Erst Russland, jetzt Katar

Infantino ist seit 2016 Präsident der FIFA, für ihn ist es die zweite Weltmeisterschaft im Amt. Seine erste war die in Russland. Die Bilder, wie er den Präsidenten Wladimir Putin umarmte, waren schon damals leicht verstörend, genau wie die in ähnlicher Pose mit Donald Trump. Einen "Freund" nannte Infantino den russischen Autokraten damals, und Freunde lässt er nicht fallen.

Russische Mannschaften sind zwar von Wettbewerben ausgeschlossen worden, aber der Verband ist noch immer Mitglied der FIFA. Den Angriffskrieg Putins nannte Infantino noch nie so, in Doha plädierte er für einen "Dialog" zwischen Russland und der Ukraine. Das sei "die Botschaft des Fußballs", die er auch beim G20-Gipfel schon überbracht habe.

"Joint Venture" zwischen FIFA und Katar

Die Geschichte von Großereignissen und deren Nachgang zeigt nicht erst seit der WM in Russland 2018, dass der positive Effekt, der vorher beschworen wird, in der Regel ausbleibt. Katar, davon ist Infantino überzeugt, wird die Ausnahme sein. Jede Entscheidung, die in den vergangenen Jahren, Monaten, Wochen und Tagen getroffen wurde, sei eng mit den Katarern abgesprochen gewesen.

Ein "Joint Venture" nannte Infantino die Verbindung zwischen dem Fußballverband und dem Emirat am Persischen Golf, das etwa homosexuelle Handlungen und außerehelichen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellt. In allen Ländern der Welt gebe es diskriminierende Gesetze, behauptete Infantino. Außerdem: Auch er, der Sohn von Gastarbeitern, sei als Kind gehänselt worden: "Wegen meiner roten Haare und der Sommersprossen."

Der FIFA sei Diskriminierung fremd, sagte Infantino. Zur Unterstützung dieser These ergriff Mediendirektor Bryan Swanson zum Ende der Pressekonferenz das Wort. Er sitze hier als schwuler Mann und könne versichern, dass nichts und niemand inklusiver sei als die FIFA. Dann nahm er den Präsidenten in den Arm, weil dafür sei vor allen Dingen Infantino verantwortlich.