Eine Mauer des FC Bayern Campus

Zweifel an internen Ermittlungen Rassismus am FC Bayern Campus: Unvollständige Aufarbeitung

Stand: 20.11.2020 08:00 Uhr

Der FC Bayern hält den Rassismus-Skandal an seinem Campus, dem Nachwuchsleistungszentrum, für umfassend aufgearbeitet. Daran jedoch gibt es Zweifel. Manchen Vorwürfen ist der Klub bei seinen internen Ermittlungen offenbar gar nicht nachgegangen.

Von Matthias Wolf

Der Rassismus-Skandal auf dem FC Bayern Campus. Konsequent aufgearbeitet nach internen Ermittlungen durch die Rechtsabteilung des FC Bayern. Drei Mitarbeiter wurden wegen rassistischen Äußerungen entlassen. Fall erledigt. So zumindest stellt es der Klub öffentlich da. Doch an dieser Darstellung bestehen mittlerweile erhebliche Zweifel.

Fanvereinigung kritisiert Intransparenz

Die Vereinigung der aktiven Bayern-Fans, der Club Nummer 12, erklärt, der FC Bayern "behandelt das Thema - nicht überraschend - absolut intransparent". Das gelte auch für die internen Ermittlungen in Folge der Erstberichterstattung des WDR-Hintergrundmagazins Sport inside am 11. August. Es stellt sich die Frage, ob es dem FC Bayern bei diesen Ermittlungen tatsächlich um die komplette Aufarbeitung der Zustände an seinem Nachwuchsleistungszentrum ging.

In dieser Woche erhielt der nächste Jugendtrainer des FC Bayern seine Kündigung. Es ist die vierte Trennung, die in Zusammenhang mit dem Rassismus-Skandal am Nachwuchsleistungszentrum steht. Doch anders als die drei zuvor entlassenen Mitarbeiter war dieser weder an den Chats mit teilweise rassistischen Inhalten beteiligt, noch hat er sich anderweitig rassistisch geäußert. In der Kündigung steht kein Grund für die Trennung. Der Trainer glaubt, der Klub habe ihn entlassen, weil man ihn offenbar verdächtigt, Interna zu den Vorfällen an die Öffentlichkeit gegeben zu haben. Der Klub äußert sich dazu nicht.

Hilferufe an Uli Hoeneß

Der nun entlassene Trainer hatte sich intern bereits lange bevor die Vorgänge am FC Bayern Campus öffentlich wurden mehrfach an den Campus-Leiter Jochen Sauer und schriftlich auch an den ehemaligen Vereinspräsidenten Uli Hoeneß gewandt. Sein Mandant habe sich von dem wegen der Rassismus-Vorwürfe bereits im August entlassenen Jugendtrainer und sportlichen Leiter "gemobbt gefühlt", sagt Christian Quirling, der Anwalt des nun ebenfalls gekündigten Trainers. "Und fühlt sich jetzt als Bauernopfer."

An einem regnerischen Tag im Februar war dieser Trainer gemeinsam mit einem Kollegen an den Tegernsee gefahren. Sie hätten wörtlich nehmen wollen, was Uli Hoeneß zuvor bei der Weihnachtsfeier gesagt hatte: Bei Sorgen, kommt zu mir. Beide Trainer: hochqualifiziert, aber auch langjährige, glühende Bayern-Fans. Hoeneß: ihr Idol. Sie trafen nur dessen Frau an; der Uli sei krank. Sie übergaben zwei Briefe.

Darin sehr viel Inbrunst, Liebe zu ihrem Verein - und Sätze wie diese: "Nach langen Überlegungen" sähen sie "keinen anderen Ausweg". Er, Hoeneß, müsse "als Macher dieses wunderbaren Vereins wissen, was in der Jugendabteilung abläuft". Man spreche für einige ehemalige und aktuelle Mitarbeiter, denen es so schlecht gehe am Campus, dass man "am Ende der Saison schlichtweg wieder nur Fan, aber nicht mehr Mitarbeiter vom FC Bayern sein möchte". Eine direkte Reaktion von Hoeneß kam nie, aber die Briefe sind angekommen am Campus. Wo sie im Rahmen der internen Ermittlungen mindestens einem Trainer vorgehalten wurden.

Mobbing kein Thema der Ermittlungen

Um das Thema Mobbing scheint es dem FC Bayern bei diesen Ermittlungen aber gar nicht gegangen zu sein, obwohl auch dies ein Problem gewesen sein soll, wie schon im August zahlreiche Eltern und Trainer gegenüber Sport inside erzählten. "Unser Fall zeigt auch", sagt Anwalt Quirling, "dass der FC Bayern nur in Sachen Rassismus ermittelt hat, nicht in Richtung von Mobbing".

Ob das so ist - diese Frage lässt der FC Bayern wie so viele andere unbeantwortet. Nicht wenige, die im Rahmen der internen Ermittlungen befragt wurden, sehen es aber so. Und in einer Mail des Klubs an die Eltern der Nachwuchskicker auf dem Campus vom 12. August ist ebenfalls nur von "Diskriminierung und Rassismus" die Rede. Dazu möge man sich melden bei der Campus-Leitung. Kein Wort von Mobbing.

Wegen Rassismus entlassener Trainer "außerordentlich qualifiziert"

Mit dem Hauptbeschuldigten des Rassismus-Skandals hat sich der Klub nach dessen Klage vor dem Arbeitsgericht München inzwischen außergerichtlich geeinigt. Die Klage wurde zurückgezogen. Campus-Leiter Jochen Sauer nannte die Vorgänge jetzt in einem Interview mit dem Münchner Merkur/tz "einen Schock". Man habe davon nichts gewusst. "Für uns war sofort klar, dass wir diese Vorwürfe sofort untersuchen und aufklären müssen", so Sauer.

Und Mobbing-Vorwürfe, wie sie auch in den anonymen Briefen von Eltern an die Campus-Leitung seit 2018 drastisch formuliert wurden? "Man muss klar feststellen, dass sie sich nach den Untersuchungen nicht bestätigt haben, mehr noch: Sie haben sich als falsch erwiesen", erklärte Sauer. Betroffene zeigen sich über diese Wortwahl empört. Zumal der Campus-Leiter den im Zentrum der Affäre stehenden Trainer in dem Interview auch noch als "außerordentlich qualifiziert" bezeichnete.

Bekannt aber sind zwei Fälle am Campus, in denen die Eltern wegen mutmaßlichen Mobbings durch den Trainer bei Sauer persönlich vorstellig wurden. Ein Kind durfte danach sogar die Mannschaft wechseln, um seinem mutmaßlichen Peiniger entfliehen zu können. Der andere Spieler ist zu einem anderen Bundesliga-Verein gewechselt. Konkrete Fragen dazu lässt Sauer unbeantwortet.

Entlassener Trainer: "Chateinträge waren schwere Fehler"

Erstmals nach seiner Entlassung äußert sich dagegen der entlassene hauptbeschuldigte Trainer nun gegenüber Sport inside. Der Vater des Jungen habe "Hänseleien, offenbar von Mitspielern an seinem Sohn, anscheinend in Wut auf mich übertragen", schreibt er auf Anfrage. Am Telefon hatte er zuvor einen härteren Umgangston insgesamt als normal an einem Nachwuchsleistungszentrum bezeichnet. Schriftlich bestreitet er aber, dass er Kinder als "Schwuchtel", "fette Sau" und "Hosenscheißer" bezeichnet habe, so wie es ihm Eltern vorwerfen.

Die Chateinträge mit rassistischem Inhalt nennt er im Nachhinein "schwere Fehler, die ich sehr bereue. Diese internen Wortmeldungen entsprangen jeweils einer spontanen Verärgerung". Er sei aber kein Rassist, betont er. Vielmehr sei er "Opfer einer Intrige". Und zwar von Eltern und jenen zahlreichen Trainern, die ihm auch schweres Mobbing am Arbeitsplatz vorwerfen.

"Es war für viele Trainer sehr schlimm, unter diesem Mann zu arbeiten. Er hat über alle gelästert und hergezogen, die ihm nicht nach dem Mund geredet haben", sagt einer dieser Trainer. Ein anderer beklagt: "Er hat dich konsequent ignoriert. Sein Umgang mit Mitarbeitern, aber auch Spielern - für mich Ausdruck der Führungslosigkeit am Campus. Er durfte machen, was er will. Keiner hat ihn gestoppt." Mobbing und Alltagsrassismus, von denen Sauer nichts gewusst haben will.

Rassistische Äußerungen nicht nur im Chat

Schon im August berichteten Trainer gegenüber Sport inside jedoch von Trainersitzungen, in denen sich besagter Mitarbeiter rassistisch geäußert habe. "Den Spieler holen wir nicht wegen seinem scheiß türkischen Nachnamen", soll er unter anderem gesagt haben. "Wenn es in Trainerbesprechungen um Nachnamen ging, zum Beispiel eines türkischen, war dies natürlich nicht rassistisch gemeint", behauptet der entlassene Trainer. Vielmehr sei erwiesen, dass "Entwicklungsschübe für Jugendliche mit türkischen Wurzeln häufig früher einsetzen, aber dann auch früher enden. Beispielsweise macht erfahrungsgemäß in einer Mehrzahl von Fällen ein sehr guter 14jähriger türkisch-stämmiger Spieler häufiger keine weiteren Entwicklungssprünge mehr als ein guter 14-jähriger Spieler mit deutschen Wurzeln". Andere Vorfälle, wie etwa jenen, bei dem er einen Mitarbeiter in der Campus-Mensa einen "Drecks-Türken" genannt haben soll, bezeichnet er als Lügen.

Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft jedoch weiter gegen den Trainer. Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung seien "bereits weit vorangeschritten sind, derzeit steht aber noch die Auswertung von umfangreichen, von den Anwälten angekündigten Unterlagen aus", teilt die Staatsanwaltschaft mit. Auf Nachfrage heißt es ferner, Volksverhetzung sei schwer zu beweisen, aber man nehme den Fall nach wie vor sehr ernst, weshalb dieser bei der Abteilung politische Straftaten angesiedelt sei.

Der Fall des in dieser Woche entlassenen Jugendtrainers liegt derweil bereits zur Schlichtung beim Bayerischen Fußballverband. Das ist ein üblicher Vorgang, wenn sich Verein und Trainer nicht einigen. Der Trainer hatte vor der Kündigung zwei Abfindungsangebote des FC Bayern abgelehnt – und ist auch entschlossen, im Zweifel auf Wiedereinstellung vor dem Arbeitsgericht zu klagen. Er sagt, es gehe ihm darum, ein Zeichen zu setzen: Es sei nicht rechtens, dass ein Verein einen Trainer wie ihn kündige, der sich gegen das Mobbing durch einen Vorgesetzten wehre, dies bei der Klubführung anprangere – und dann gehen müsse.