Neapel-Trainer Luciano Spalletti

Trainer Luciano Spalletti Ein gestohlener Fiat Panda als Basis für Neapels Erfolg

Stand: 14.03.2023 14:19 Uhr

Die SSC Neapel hat die Serie A weiter fest im Griff. Und in der Champions League scheinen die Türen offen für einen Einzug ins Viertelfinale nach dem 2:0 im Hinspiel gegen Eintracht Frankfurt. Am Mittwoch steht das Rückspiel an (21 Uhr, live in der Audio-Vollreportage und im Ticker). Die Erfolgsstory am Fuße des Vesuv ist zu einem großen Teil das Verdienst Luciano Spallettis - der nur deswegen noch Trainer in Neapel ist, weil er auf einen Deal mit einem gestohlenen Fiat Panda nicht einsteigen wollte.

Von Jörg Seisselberg

Luciano Spalletti mag keine halben Sachen. Nach dem 2:0-Sieg am Wochenende über Atalanta Bergamo stellte sich der Trainer der SSC Neapel dem rituellen Fernsehinterview. Alle Spieler und Trainer der Serie A sollten sich an diesem Spieltag in einer Anti-Rassismus-Kampagne engagieren. Auf Spallettis Traineranzug aber war die Botschaft "Keep racism out" nicht richtig im Fernsehbild zu sehen und rutschte immer wieder runter. Der Neapel-Trainer pappte daraufhin den Anti-Rassismus-Aufkleber für alle unübersehbar ans Mikrofon des gastgebenden Fernsehsenders.

Ein Fiat Panda als "Geisel"

Auch für solche Aktionen lieben sie ihn in Neapel. Dies war nicht immer so. Dass der derzeitige Erfolgstrainer überhaupt noch bei der SSC arbeitet, ist im Grunde einem Fiat Panda und knauserigen Dieben geschuldet. Im vergangenen Frühjahr schien die Beziehung Spalletti-Neapel schon beendet. Denn die Mannschaft war aufgrund einer wochenlangen Leistungskrise von Platz eins auf Platz drei abgerutscht.

Für aufgebrachte Tifosi Grund genug, vor dem Stadion auf einem riesigen Transparent zu fordern, Spalletti solle aus Neapel verschwinden. Blau auf weiß stand da: "Spalletti, den Panda geben wir dir wieder – es reicht, dass du abhaust". Hintergrund: Ein paar Monate zuvor war Spalletti in Neapel sein Fiat Panda gestohlen worden.

Der Trainer reagierte auf die Anfeindungen in typischer Spalletti-Manier, mit spitzer Ironie und bühnenreifem Mienenspiel. In einer Pressekonferenz wenige Tage nach dem Vorfall wurde der gebürtige Toskaner gefragt, was er zu den verbalen Attacken der Fans und ihrem "Angebot" sage. Spalletti legte daraufhin die Stirn unter seiner stets gut gebräunten Glatze in Falten, fixierte mit seinem berüchtigten Blick den fragenden Reporter und sagte scheinbar kühl: "Ich bin bereit, auf das Angebot einzugehen". Um dann, nach einer Kunstpause, ein ausführliches "Aber" hinterher zu schieben.

Neapels Coach Luciano Spalletti

Neapels Coach Luciano Spalletti

Es käme darauf an, in welchem Zustand ihm sein Panda zurückgegeben werde. Beispielsweise müsse er schon wissen, wie viele Kilometer die Diebe mit dem Auto gefahren seien, ob die Reifen noch Profil hätten und vor allem müssten die CDs von Pino Daniele (einem neapolitanischen Liedermacher) noch im Auto sein. Großes Gelächter in der Pressekonferenz, die Diebe meldeten sich nie, Spalletti blieb Trainer in Neapel.

Leistungsträger abgegeben - historische Saison

Über den Rest staunt ganz Fußball-Europa. Obwohl Neapel vor Saisonbeginn drei Leistungsträger abgeben hat (Kapitän Lorenzo Insigne, Rekordtorschütze Dries Mertens und Abwehrchef Kalidou Koulibaly) und dafür vermeintliche "No-Names" wie Khvicha Kvaratskhelia oder Kim Min-Jae holte, spielen die Süditaliener die beste Saison seit den goldenen Jahren mit Diego Maradona.

Mehr noch, mit derzeit 68 Punkten nach 26 Spielen und 18 Zählern Vorsprung auf den Zweitplatzierten ist Spallettis Team auf dem Weg zu einem Allzeitrekord in der Serie A. Und beeindruckt nebenbei auch in der Champions League. Nebenbei, weil die Königsklasse für Spalletti im Moment nur zweirangig ist, aber dazu später mehr.

Erstaunlich an der richtungsweisenden "Panda-Episode" ist auch, dass ein hochbezahlter italienischer Fußballtrainer überhaupt ein solches Auto fährt. Für Spalletti ist es Teil des von ihm gepflegten Images. Für ihn als Bauernsohn zähle Arbeit und alles, was dem Erfolg dient, Statussymbole seien zweitranging. An der Seitenlinie reicht dem Neapel-Trainer in der Regel ein Trainingsanzug aus Mikrofaser, der an legendäre Ballonseide erinnert.

Voller Fokus auf die Meisterschaft

Sportlich ist Neapel für Spalletti seine persönliche Reifeprüfung. Noch immer hängt dem Mann aus Certaldo südlich von Florenz der Spott José Mourinhos nach. "Zero tituli", null Titel, hatte der Portugiese 2009 dem Toskaner vorgehalten, als Mourinhos Inter Mailand und Spallettis AS Rom sich einen Zweikampf um die Meisterschaft lieferten.

Eine Meisterschaft in Italien hat Spalletti bis heute nicht gewonnen. Mit dem Gewinn des Scudetto in dieser Saison könnte er diesen Makel ausräumen. Es ist auffällig, dass er – anders als viele Kollegen – vor Champions League Spielen in der Serie A nie in den Schongang schaltet, sondern trotz des gigantischen Vorsprungs in der Tabelle Woche für Woche sein bestes Team aufs Feld schickt. Und dies, ließ der Trainer nach dem Sieg gegen Bergamo durchblicken, werde auch so bleiben, bis die Meisterschaft in Italien mathematisch sicher ist.

Flexibler Fußball, charismatische Pressekonferenzen

Erreicht hat er seine Titel in Russland mit St. Petersburg und seine Pokalsiege mit der Roma mit vorwärtsorientiertem Fußball. Dabei hat Spalletti seinen Teams nie ein starres Spielmuster aufgedrückt. Sie zeichnen sich stattdessen seit jeher durch hohe taktische Flexibilität aus, sie sind in der Lage, Grundordnung und Spielausrichtung je nach Situation zu verändern. Er steht nicht für eine Taktik-Ideologie à la Pep Guardiola (Positionsspiel) oder Jürgen Klopp (Gegenpressing). Auch wenn die Dynamik des derzeit berauschenden Neapel-Fußballs mehr von Klopp als von Guardiola hat.

Wie bei den genannten Trainerikonen haben auch bei Spalletti Pressekonferenzen und Interviews hohen Unterhaltungswert, sind für jeden Journalisten allerdings eine Herausforderung. Mit seinem Witz und seiner Ironie kann Spalletti charmanter Gesprächspartner sein. Bei Kritik aber schaltet er schnell in den Konfrontationsmodus.

In der Öffentlichkeit verteidigt er jeden einzelnen seiner Spieler und hebt sie auf Nachfrage gerne in den Himmel. Kim Min-Jae adelte er am Wochenende nach dem Bergamo-Erfolg als "besten Innenverteidiger der Welt", das Tor Kvaratskhelias sei "wie von Maradona" gewesen.

Neapels Khvicha Kvaratskhelia jubelt mit eine Kussgeste nach seinem Treffer.

In Neapel wartet Spalletti nun auf seine Krönungsmesse, ungeachtet seines in der Vergangenheit nicht immer einfachen Verhältnis zur Stadt und den Fans. Bei der Meisterfeier in St. Petersburg 2010 löste er ein vorher gegebenes Versprechen ein und lief die Ehrenrunde im Stadion mit freiem Oberkörper. Bei minus 15 Grad. Für die Feier des Scudetto in Neapel ist noch kein Versprechen bekannt. Aber vielleicht denkt ja doch jemand darüber nach, ihm seinen Panda zurückzugeben. Und die Pino-Daniele-CDs.