Gladbach-Trainer Daniel Farke steht ratlos am Spielfeldrand

Nach Farke-Kritik Was in Gladbach wirklich besser wurde

Stand: 27.10.2022 23:55 Uhr

Daniel Farke hat zuletzt 16 Minuten am Stück dafür geworben, Borussia Mönchengladbach positiver zu bewerten. Was nur ein bisschen stört, ist die Realität.

Vor dem vergangenen Bundesliga-Spiel gegen Eintracht Frankfurt hielt Borussia Mönchengladbachs Cheftrainer Daniel Farke einen Monolog und kritisierte die in seinen Augen zu negative Berichterstattung. Diese in den Sozialen Netzwerken teilweise von sehr großer Begeisterung begleiteten 16 Minuten hätten auf jeden Fall eine Reaktion seiner Mannschaft verdient gehabt.

Wenn der Trainer schon so sehr in Vorleistung geht, um die Messlatte von Medien und Umfeld mal ein wenig abzusenken und den Fokus viel mehr auf die schönen Dinge im bisherigen Saisonverlauf zu richten, dann ist es wirklich keine gute Antwort, zur Halbzeit schon wieder 0:3 hinten zu liegen.

Immerhin, die zweite Halbzeit hat Gladbach dann zu Null gewonnen. Und durchaus den Willen gezeigt, das Ding irgendwie nochmal spannend zu machen. Gefühlt war aus Sicht der sportlich Verantwortlichen also wieder mal einiges positiv an diesem Samstagabend.

Blöd nur: Für das 1:3 gibt es trotz des 1:0-Erfolges im zweiten Durchgang keinen Punkt, die Tabelle kennt auch keine B-Note und weist Gladbach nach elf Spielen auf Platz neun aus.

Auch im Pokal schon ausgeschieden

Im DFB-Pokal, der bei der Elf vom Niederrhein traditionell ganz hoch im Kurs steht, weil er den kürzesten Weg zu einer Titelchance verspricht, ist auch schon Feierabend: 1:2 bei Zweitligist Darmstadt 98 in Runde zwei, auch wieder nach einer rätselhaft verschlafenen ersten Halbzeit.

Daniel Farke warb in seinem Monolog, der kurz nach dem Pokal-Aus stattfand, trotzdem mit großer Leidenschaft und Eloquenz für eine andere Sicht der Dinge. "Wenn wir das, was wir hier leisten, bei einem Verein in England leisten würden, würden sie uns auf Händen durchs Stadion tragen", behauptete der Ex-Coach von Norwich City.

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Farke: "Leipzig mal so richtig weggeschraubt"

Farke sagte weiter: "Das ist jetzt keine Medienschelte, sondern als Selbstreflexion über unsere deutsche Mentalität gedacht. Wir versuchen, überall Gefahren zu sehen und an vielen Dingen herumzunörgeln, wo es eigentlich relativ wenig zu nörgeln gibt. Wir schrauben hier RB Leipzig aber mal so richtig weg, Köln kriegt hier fünf Stück, da sagt der Trainer, seine Mannschaft habe den Arsch voll bekommen. Wir haben einen Punkt gegen Bayern geholt. Wir haben alles erfüllt, was den Fans wichtig ist. Wir spielen eine unfassbar stabile Saison."

Farke - "Wir versuchen an Dingen rumzunörgeln, wo es wenig zu nörgeln gibt"

Sportschau

Unfassbar stabil. Das ist eine Frage der Definition. Unfassbar stabil verwehrt sich diese Mannschaft beispielsweise bislang dagegen, ein Auswärtsspiel zu gewinnen. Nicht mal auf Schalke hat das geklappt, da verschleppten die Gladbacher zunächst lange das Tempo, führten dann aber 2:1, um in der Nachspielzeit noch den Ausgleich zu kassieren.

Unfassbar stabil sind auch die Formschwankungen im wöchentlichen Wechsel: Auf das tatsächlich grandiose 3:0 gegen RB Leipzig folgte ein 1:5 bei Werder Bremen. Auf den vor allem dank Yann Sommer bravourös erkämpften Punkt bei den Bayern folgte ein Heim-0:1 gegen Mainz.

"Wissen, wo wir herkommen"

Was also ist unter Farke wirklich besser geworden? Auf jeden Fall die Spielanlage in den Partien, in denen die Gladbacher nicht die erste Halbzeit verschliefen (wie gegen Mainz, Schalke, Bremen, Darmstadt, und Frankfurt). Der neue Trainer hat es geschafft, aus einer von Adi Hütters Dauerpressing-Idee total überforderten und verunsicherten Truppe wieder ein Team zu formen, das wirklich den Ball haben will.

Ein Team, das die Fans total mitreißen kann, so wie gegen Leipzig und Köln. Dass dann aber einfach nicht stabil nachlegt, wenn die Chance besteht, sich oben festzusetzen, sich krasse Schnitzer im Aufbauspiel und im individuellen Abwehrverhalten erlaubt und zu viele klare Torchancen vergibt.

Farke weiß das alles natürlich auch und begründet es aus seiner Sicht vollkommen nachvollziehbar damit, dass man ja wisse, "wo man in den vergangenen 18 bis 24 Monaten" herkomme. Gemeint ist zum einen das vergangene Jahr unter Hütter, unter dem diese Mannschaft aber auch in der Lage war, Bayern München mal eben mit 5:0 aus dem Pokal zu schrauben.

Gemeint ist auch die Spätphase unter Marco Rose, der den VfL nach einem beeindruckenden Jahr in der Champions League mit seiner Abschiedsankündigung gen Dortmund den Boden unter den Füßen wegzog. Zuvor hatte diese gegenüber heute gar nicht mal so krass veränderte Mannschaft in der Königsklasse Inter Mailand und Real Madrid die Stirn geboten und Schachtjor Donezk zweimal lächerlich gemacht.

Es wäre mehr möglich

Unter Rose wurden die Gladbacher am Ende Achter, unter Hütter Zehnter, unter Farke liegen sie jetzt dazwischen. Das ist unfassbar stabiles Mittelmaß. Dass der Kader zu so viel mehr in der Lage ist, hat er beim 3:0 gegen Leipzig selbst bewiesen, und das macht Farkes Argumentation schwierig.

Es ist sportlich möglich, mit diesem Team um einen europäischen Wettbewerb zu kämpfen, und der wäre extrem wichtig, um beispielsweise Yann Sommer von einer Vertragsverlängerung zu überzeugen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass derzeit Leistungsträger wie Ko Itakura, Florian Neuhaus, Yann Sommer und Jonas Hofmann verletzt ausfallen.

Und dennoch: Gemessen am Potenzial und am Marktwert des Kaders, den Manager Roland Virkus gern ins Rennen wirft, um Kritik entgegenzuwirken, ist graues Mittelmaß zu wenig. Die Borussen sind in der Marktwerttabelle Siebter, was mit deutlich weniger Geld möglich ist, zeigen aktuell der SC Freiburg und Union Berlin.

Jetzt zum Tabellenführer

Zu den Eisernen, die an der Tabellenspitze stehen, muss Gladbach am kommenden Sonntag (30.10.2022, Live-Ticker bei sportschau.de). Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Farke-Elf am Ende der 90 Minuten wieder mal mehr Ballbesitz gehabt haben wird als der Gegner. Ob das zu mehr als einer guten B-Note reicht, ist auf jeden Fall auch eine Frage von unfassbarer Stabilität.