Ein Spielball liegt auf dem Rasen.

Antisemitismus im Fußball Berliner Politik mit harten Sanktionen gegen CFC Hertha 06

Stand: 09.06.2023 16:02 Uhr

Der defensive Umgang mit einem schweren Fall von Antisemitismus hat nun gravierende Folgen für den Verein CFC Hertha 06. Die Berliner Politik geht mit voller Härte gegen den Oberligisten vor, der nun um seine Existenz fürchtet.

"In einigen Wochen werden wir wissen, ob es den Verein überhaupt noch gibt." Das sagt Karl-Heinz Wagener. Der 79-Jährige ist Präsident des CFC Hertha 06 in Berlin. Da der Verein, auch Wagener selbst, sich nach Ansicht mehrerer Behörden und Verbände bisher zu wenig von den antisemitischen Vorgängen im November 2022 distanziert haben, nehmen diese nun den Verein ins Visier.

"Dort sind ganz offensichtlich über Jahre antisemitische Strukturen gewachsen", sagte die stellvertretende Bürgermeisterin in Charlottenburg, Heike Schmitt-Schmelz. "Wir sehen da nicht tatenlos zu, wie nicht gegengesteuert wird."

Nachdem das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) den Vizepräsidenten des Gesamtvereins und Vorsitzenden der Fußballabteilung Ergün Çakır zwei Jahre für alle Ämter gesperrt hat, drohen dem Klub nun selbst harte Sanktionen.

Erste Maßnahme der Bezirksverwaltung: Schmitt-Schmelz ließ bei einer Begehung am Donnerstag das Schloss zum Vereinscasino auf dem Sportplatz an der Brahestraße austauschen. Dem Verein ist der Betrieb, der Verkauf sämtlicher Speisen und Getränke, fortan untersagt. "Wenn endlich präventive Maßnahmen gegen Antisemitismus eingeleitet werden, sind wir wieder gesprächsbereit", so die SPD-Politikerin.

Im Kern geht es darum, dass sie den Eindruck habe, dass der Verein sich nicht von Çakır distanziert. Schmitt-Schmelz hatte seine Abberufung gefordert. Çakırs Sohn war, gemeinsam mit einem weiteren Spieler, wegen antisemitischer Aussagen beim A-Jugendspiel Hertha 06 gegen TuS Makkabi im November 2022 vom Sportgericht für zwei Jahre gesperrt worden. Danach hatte Çakır im Interview mit der Sportschau und Sport inside gesagt: "Mein Sohn wird in seinem ganzen Leben die Juden hassen."

Keine demokratischen Strukturen? Aberkennung der Sportförderungswürdigkeit droht

Hertha 06 droht nun der Verlust seiner sportliche Heimat an der Brahestraße. Die Senatssportverwaltung in Berlin bestätigte Recherchen von Sport inside, wonach ein Verfahren zur Überprüfung der sportlichen Förderungswürdigkeit eingeleitet wurde. Gemäß Paragraph 3, Absatz 2 des Sport-Förderungsgesetzes ist eine Voraussetzung der Förderungswürdigkeit, "dass die Sportorganisation Gewähr für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung bietet, und dass der innere Aufbau und die Tätigkeit der Sportorganisation demokratischen Grundsätzen entsprechen."

Das Prüfungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, der Verein mehrfach zur Stellungnahme aufgefordert worden, teilte die Pressesprecherin der Senatssportverwaltung, Sabine Beikler, mit. "Die bisherige Einlassung ist in der Sache nicht aussagekräftig", so Beikler.

Aktuell hat der Verein um eine weitere Fristverlängerung gebeten, die am Wochenende abläuft. Danach werde eine Entscheidung nach Aktenlage getroffen. "Im Falle eines Widerrufs der sportlichen Förderungswürdigkeit ist dem Verein die Teilnahme am System der Sportförderung des Landes Berlin verwehrt, insbesondere kann er die öffentlichen Sportanlagen des Landes Berlin nur noch als sonstiger Nutzer – und damit nur noch nachrangig und gebührenpflichtig – in Anspruch nehmen", heißt es aus der Senatsverwaltung. Das bedeutet, der CFC Hertha 06 müsste für Trainings- und auch Spielflächen, von der Jugend bis zu den ersten Herren in der Oberliga, bezahlen. Wenn er denn überhaupt welche bekommt.

Antisemitischen Strukturen? Hertha-06-Präsident: "Eine Kampagne!"

Heike Schmitt-Schmelz, auch Sportstadträtin in Charlottenburg, begrüßte den harten Kurs des Senats: "Wir haben mal genauer hingeschaut. Dieser Verein hat in weiten Teilen eine merkwürdige Struktur, die man sehr kritisch sehen muss", sagte sie Sport inside. Ergün Çakır, seit zwölf Jahren an der Spitze der Fußballabteilung, habe sich sogar geweigert, mit ihr ein Gespräch zu führen: "Ich sollte zu ihm kommen, wenn ich was will." Statt seiner seien immerhin zwei andere Vereinsvertreter erschienen, darunter Wagener. Der Verein habe sich zwar offiziell reumütig gegeben, dann aber sei über Monate nichts passiert.

Auch vor dem BFV-Sportgericht hatte Vereinspräsident Wagener noch vor zwei Wochen betont, präventive Maßnahmen gegen Antisemitismus seien nicht nötig – weil es keinen Antisemitismus bei Hertha 06 gäbe. Nun wirkte er auch gegenüber Sport inside nur bedingt einsichtig: "Natürlich hat sich Ergün Çakır unglücklich ausgedrückt und verhalten, aber er ist kein Rassist oder Antisemit."

Wagener sprach von einer "Kampagne gegen den Verein, die mittlerweile überspitzt" sei. Çakır hat inzwischen Einspruch gegen das BFV-Urteil eingelegt, er wolle deutlich machen, dass es ihm leid tue. Zuletzt hatte er allerdings die BFV-Sportgerichtsverhandlung verlassen, weil dort auch Vertreter des TuS Makkabi geladen waren. Er habe sich von diesen provoziert und bedroht gefühlt.

Über 700 Mitglieder betroffen: "Dann müssen wir aufgeben"

Nun gehe es für den Verein mit über 700 Mitgliedern ums Überleben, sagte Wagener. In sechs Wochen sind Neuwahlen anberaumt. Er selbst, seit 15 Jahren im Vorstand, will nicht mehr als Präsident kandidieren: "Ich tue mir das nicht mehr an, dass ich hier den Kopf für andere hinhalte." Çakır hatte angekündigt, einen seiner Söhne in sein Amt zu hieven. Er ist mit seiner Baufirma auch der Hauptsponsor des Vereins, der die Oberliga-Mannschaft finanziert.

"Wenn er ganz geht, war es das mit höherklassigem Fußball", so Wagener. "Dann müssen wir aufgeben." Zumal schon jetzt der Breitensport-Bereich extrem leide. Hertha 06 hat ein "falsches Image" bekommen, so Wagener. "Man deutet jetzt überall mit Fingern auf uns." Dass Çakır im Interview mit dem WDR davon gesprochen hatte, dass der Anteil an Judenhassern im Verein bei der Hälfte liege, sei "wieder so eine unglückliche Aussage. Das stimmt so nicht."

Bezirk und Senat sind mit ihrem konsequenten Kurs indes nicht allein. Der Landessportbund (LSB) Berlin bestätigte über seinen Sprecher Oliver Weiß, dass man Hertha 06 "mit dem Entzug von Fördermitteln aus dem Übungsleitungsprogramm gedroht" hat. "Wir haben die Förderung noch nicht gestrichen, beobachten das Verhalten des Vereins weiter und behalten uns entsprechende Sanktionen vor", so Weiß. Wagener hingegen behauptet, der LSB habe schon jetzt mehrere tausend Euro an Fördergeldern eingefroren.

Makkabi Deutschland: "Da ist keine Einsicht vorhanden."

Auch der Präsident von Makkabi Deutschland, Alon Meyer, äußerte sich noch einmal zum Fall Hertha 06. Er begrüße das Urteil des Berliner Fußballverbandes gegen Çakır, ebenso wie das Vorgehen des LSB und des Senats. Er selbst hatte Çakır einen Brief geschrieben und dem Verein Hilfe angeboten: "Aber da ist überhaupt keine Einsicht vorhanden. Wir haben uns auch einer gemeinsamen Presseerklärung verweigert, als klar wurde: Çakır bereut ganz offensichtlich nicht wirklich, was auf seinem Sportplatz passiert ist – und was er gesagt hat."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.06.2023 | 15:48 Uhr