Ein Schalke-Fan mit Bier in der Hand

Alkoholwerbung in Deutschland Fußball und Bier - Perfekte Partner

Stand: 17.11.2022 12:15 Uhr

Alkoholwerbung ist in Deutschland praktisch kaum reguliert, im Fußball ist Bier auch deshalb omnipräsent. Der Grund dafür ist eine einflussreiche Lobby, zu der Brauereiverbände gehören – und auch Fußballvereine.

Von Shea Westhoff, Paul J. Hildebrandt

Als das zweite Tor fällt, lassen die Zuschauer im Stadion von Rot-Weiss Essen ihre Zurückhaltung fallen. Sie brüllen, tanzen, liegen sich in den Armen – und inmitten der Menge steht der Wissenschaftler Daniel Deimel und sagt: "Alkohol ist ein Katalysator, verstärkt die Stimmungen in beide Richtungen. Gerade ist Euphorie zu spüren, es kann aber auch kippen."

Deimel ist nicht ins Stadion gekommen, um ein packendes Spiel zu sehen – er ist Suchtforscher, arbeitet für die Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen. Ihn interessiert: Welche Drogen konsumieren die Fans und in welchen Mengen? Dafür mischt er sich unter die Anhänger.

Kinder und Jugendliche werden an Alkohol herangeführt

Er sagt, die wichtigste Droge sei natürlich Alkohol, immer verfügbar, praktisch nicht reguliert und sehr günstig. Als Deimel am Morgen vor dem Spiel am Essener Hauptbahnhof ankommt, stehen dort schon die ersten Fans mit Bierflaschen in der Hand.

Eine Stunde später am Stadion sind viele der wartenden Fans offensichtlich bereits stark alkoholisiert: rote Gesichter, Alkoholfahne, Bier in der Hand. Der Betonboden vor der Arena ist überzogen mit zerbrochenen Bierflaschen und zerknickten Plastikbecher.

Deimel sagt: "Dadurch, dass Alkohol absolut normalisiert gehandhabt wird, werden Kinder und Jugendliche, die zum Fußball gehen, an dieses Erlebnis herangeführt." Es gebe wenige Länder auf der Welt, in denen Alkohol so eine wichtige Rolle spiele wie in Deutschland. Die Folgen: Rund 1,6 Millionen Abhängige, 14.000 Alkoholtote jedes Jahr, Gewalttaten unter Alkoholeinfluss, Verkehrstote, gesundheitliche Schäden.

Bier ist omnipräsent

Das Spiel in Essen ist keine Ausnahme – es ist die Regel. Jedes Wochenende, überall in Deutschland. Alleine in der Bundesliga feiern jedes Jahr rund 13 Millionen Fans im Stadion. Der Fußball ist für die Bierindustrie eine ultimative Werbeplattform.

Und sowohl die Brauereien als auch die Vereine füttern das Image: Bier und Fußball, das perfekte Match. Aber ist eine krankmachende Droge tatsächlich der geeignete Werbepartner für einen Sport, der damit wirbt, für einen gesunden Lebensstil zu stehen?

Tatsächlich ist der Fußball massiv abhängig vom Geld der Brauereien. Jeder Profiverein der ersten und zweiten Liga wird von einer Brauerei gesponsert, in den Amateurligen findet man fast überall Bierwerbung auf Trikots oder Bannern.

Der Umsatz von Bier in den Stadien generiert für Brauereien und Vereine einen gewaltigen Umsatz. Ein Beispiel: Bei einem Heimspiel des FC Schalke 04 werden im Stadion im Schnitt 30.000 Liter Bier konsumiert, das ist ein halber Liter pro Zuschauer. Minderjährige und Nichttrinker mitgezählt.

Werbung ist kaum reguliert

Anders als beim Tabak ist Alkoholwerbung in Deutschland rechtlich kaum reguliert, es gibt nur eine sogenannte Selbstverpflichtung der Werbewirtschaft. Und Fußball und Brauereien wehren sich gemeinsam gegen strengere alkoholpolitische Maßnahmen. Wie effektiv sie sind, war Anfang des Jahres in Brüssel zu beobachten.

Ein Sonderausschuss zur Krebsbekämpfung stellte seinen Abschlussbericht im EU-Parlament vor. Die teilnehmenden Politikerinnen und Politiker hatten sich ein Jahr lang wissenschaftlich zur Frage beraten lassen: Wie lassen sich die hohen Krebsraten in Europa senken? Aus den Empfehlungen erarbeiteten sie den Abschlussbericht. Alkohol gilt als sehr krebserregend, deshalb war eine der vorgeschlagenen Maßnahmen, Alkoholwerbung im Sport zu verbieten.

Die Lobby gewinnt

Doch noch vor der Abstimmung begann eine massive Kampagne gemeinsam von Brauereien und Fußballvereinen aus ganz Europa. Sie schrieben E-Mails und Briefe an Abgeordnete, in denen sie davor warnten, ein Alkoholwerbeverbot würde den Fußball zerstören; eine Website ging online, die sich explizit an die Politik richtete, mitsamt einem Hochglanzwerbespot.

Die EU-Abgeordnete Manuela Ripa (ÖDP), die mit am Bericht gearbeitet hatte, sagt: "Es wurden Ängste geschürt." Mit Erfolg: Als der Bericht zur Abstimmung kam, wurden sämtliche alkoholpolitischen Maßnahmen im Sinne der Brauereien abgeschwächt. Von einem Alkoholwerbeverbot war nach der Abstimmung keine Rede mehr. Ein Triumph der Lobby.