Türkei verliert auch gegen die Schweiz EM-Aus der Türkei - was folgt auf das Desaster?

Stand: 20.06.2021 21:57 Uhr

Als Favoritenschreck gehandelt, aber punktlos raus: Die Türkei hat bei der EURO auf ganzer Linie enttäuscht. Senol Günes muss sich vorwerfen lassen, an der Hauptaufgabe eines Nationaltrainers gescheitert zu sein.

Auch die Partie gegen die Schweiz brachte kaum Besserung. Die Türkei schoss zwar 21 Mal Richtung Tor, tat dies meist aus der Distanz und war nur einmal erfolgreich: Ein Weitschuss von Irfan Can Kahveci (62.) war beim 1:3 (0:2) gegen die Schweiz lediglich Ergebniskosmetik. Nach einer erneut schwachen Leistung verlässt die Türkei die EURO mit null Punkten und 1:8 Toren. Das ist die schlechteste Bilanz eines Teams bei einer EM seit Irland 2012 (0 Punkte, 1:9 Tore).

Dabei war die Türkei im Vorfeld hoch gehandelt worden, auch wegen ihrer jüngsten Resultate. In ihren zehn EM-Qualifikationsspielen fingen sich die Türken nur drei Gegentore, gewannen das Hinspiel gegen Frankreich und holten im Rückspiel einen Punkt. Im Jahr 2021 waren sie ungeschlagen, überrumpelten im Mai die Niederlande mit 4:2 in der WM-Qualifikation.

Passiv in den Zweikämpfen

Deshalb galt die Türkei im Auftaktspiel der EURO als möglicher Stolperstein für das starke Italien. Doch Türken agierten überraschend passiv, waren beim 0:3 chancenlos. Noch größer war die Enttäuschung nach der anschließenden 0:2-Niederlage gegen Wales. "Ich habe noch nie eine türkische Nationalelf gesehen, die so ohne Selbstbewusstsein und Gegenwehr gespielt hat", schrieb Türkei-Kenner Christoph Daum daraufhin in der "Welt am Sonntag".

Gegen die Schweiz setzte sich der Trend fort. In der Offensive fehlte das Vertrauen, Angriffe konsequent auszuspielen. Stattdessen versuchten die Spieler ihr Glück aus der Distanz und ermöglichten Torhüter Yann Sommer dadurch viele sehenswerte Paraden. In der Defensivarbeit blieben die Türken einmal mehr zu passiv, ließen die Schweizer zu oft kombinieren - zu sehen beispielsweise vor dem 1:3 durch Xherdan Shaqiri (68.).

Hamit Altintop: "Noch nie so viele begabte Fußballer"

Dabei war der EM-Kader namhaft besetzt. "Ich denke, die Türkei hatte noch nie so viele begabte Fußballer", sagte Ex-Nationalspieler Hamit Altintop, der mittlerweile für den türkischen Verband arbeitet, der "NZZ": "Die drei Innenverteidiger Merih Demiral, Caglar Söyüncü und Ozan Kabak sind bei Juventus, Leicester und Liverpool und zwischen 21 und 25 Jahre alt. Auch andere starke Fussballer wie Cengiz Ünder, Enes Ünal, Yusuf Yazici spielen in Topligen und sind nicht älter als 25, der Torhüter Ugurcan Cakir ist 25, der Spielmacher Hakan Calhanoglu 27, es drängen weitere Talente nach. Bei uns wächst eine richtig starke Generation heran."

Mittelklassige Testspiel-Gegner

So mag der Verband weiter optimistisch in die Zukunft blicken. Doch er muss jetzt auch die EM-Pleite analysieren - angefangen mit der Wahl der Testspielgegner vor dem Turnier. Sich mit Spielen gegen Aserbaidschan, Guinea und Moldawien auf Duelle mit Italien, Wales und der Schweiz vorzubereiten, war offensichtlich keine gute Idee.

Und wieso haben es die Spieler nicht geschafft, ihr Potenzial bei der EURO 2020 auszuschöpfen? Die große Kunst von Nationaltrainern ist es, pünktlich zum Start großer Turniere die Einzelspieler verschiedener Vereine zu einer schlagkräftigen Einheit zu formen. Und ein Spielsystem zu etablieren, das das Optimum aus dem Kader herausholt. Beides hat Günes bei diesem Turnier nicht geschafft.

Günes: "Wir haben nicht den nötigen Charakter gezeigt"

"Wir haben nicht den nötigen Charakter gezeigt und sind unter unseren Erwartungen geblieben", sagte Günes nach der Niederlage gegen die Schweiz. Er sei für die Leistungen seiner Mannschaft verantwortlich, denke momentan aber nicht an Rücktritt.

In seiner ersten Amtszeit als Nationaltrainer hatte er die Türkei 2002 zu WM-Bronze geführt - der Höhepunkt der türkischen Fußballgeschichte. Doch das ernüchternde Scheitern nun bei der EURO hat das Potenzial, diesen Erfolg genauso zu überlagern wie die starken Ergebnisse der vergangenen Monate.