Die zerstörten Stühle auf der Tribüne im Chernihiv Olympic Sports Training Centre

Trotz russischem Angriff Ukraines Fußball-Liga startet

Stand: 23.08.2022 14:16 Uhr

Im Süden und Osten des Landes wird die Ukraine weiter vom russischen Militär angegriffen - wo möglich, soll nun der Profifußball wieder starten.

Am Dienstag (23.08.2022) ist die Saison 2022/23 der Premjer-Liha eröffnet worden. Um 12 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit wurde in Kiew die Partie zwischen Schachtar Donezk und dem FC Metalist aus der aktuell stark umkämpften Stadt Charkiw angepfiffen - Endstand 0:0-Unentschieden. Der Folgetag, der 24. August, ist ein symbolträchtiger Tag, er markiert die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjet-Union vor 31 Jahren.

Andriy Pavelko, Präsident des ukrainischen Fußballverbandes UAF, sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Saison ein "einzigartiger Wettbewerb wird". Davon ist auszugehen, denn in der Ukraine gibt es kaum einen Ort, der von Russlands Angriff verschont geblieben ist.

Die Teams: Mehrere ohne Stadion

16 Klubs treten in der Liga an. Einige davon müssen sich davon Stadien teilen. Die Klubs Zorya Luhansk und Schachtar Donezk, die aus seit 2014 von pro-russischen Separatisten gehaltenen Städten stammen, spielen in den Stadien anderer Klubs. Donezk trägt seine Heimspiele in Lwiw aus, Luhansk spielt im Stadion von Dynamo Kiew. Tschornomorez Odessa wird das Aufsteigerduell mit Zweitligameister Veres Rivne im Bannikov-Stadion in Kiew austragen.

Einige der ukrainischen Stadien waren vor nicht allzu langer Zeit noch Bühne für Europas Glitzerwelt. Bei der EM 2012 gewann Spanien im eigentlichen Heimstadion von Donezk ein Viertelfinale gegen Frankreich mit 2:0 und ein Halbfinale gegen Portugal im Elfmeterschießen. Derzeit ist die Donbas-Arena ungenutzt, mehrfach wurde sie im Krieg beschädigt.

Manche Klubs können gar nicht dabei sein. Desna Tschernihiw und der FC Mariupol lassen die Saison aus, weil ihre Städte und Stadien vom russischen Militär schwer beschädigt worden sind. Die Zukunft des FC Mariupol ist nicht nur wegen des zerstörten Stadions fraglich. Rund 20.000 Menschen wurden nach ukrainischen Angaben bei der Belagerung durch die russische Armee getötet. Das US-Außenministerium äußerte die Befürchtung, dass Russland eine Annexion des Gebiets plant.

Bombenkrater auf dem Platz des Stadions von

Bombenkrater auf dem Platz des Stadions von Desna Tschernihiw

1. Spieltag Premjer-Liha
Heim Gast Termin
Schachtar Donezk Metalist 1925 Charkiw 23.08.22, 12 Uhr
Zorya Luhansk Vorskla Poltava 23.08.22, 14 Uhr
Tschornomorez Odessa Veres Rivne 23.08.22, 14 Uhr
Kolos Kowaliwka FC Kryvbas Krywyj Rih 23.08.22, 16 Uhr
Rukh Lwiw Metalist Charkiw 24.08.22, 14 Uhr
Inhulets Petrove Dynamo Kiew noch ohne Termin*
SK Dnipro-1 FK Oleksandrija noch ohne Termin*
FC Minaj FC Lwiw verlegt

*Dynamo Kiew und SK Dnipro-1 bestreiten in dieser Woche Europapokalspiele.

Die Fans: Nicht zugelassen

"Die Spiele finden in der Ukraine unter den Vorschriften des Kriegsrechts ohne Zuschauer und unter Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen statt", sagte Sportminister Vadim Guzait im Juli zu den Planungen der Saison.

Leere Tribüne im Olympiastadion in Kiew

Leere Tribüne im Olympiastadion in Kiew

Oleg Soldatenko, der für die Fan-Organisation "Football Supporters Europe" (FSE) in der Ukraine die Fanbotschaft unterhält, reiste Ende Juli nach Frankfurt am Main. "Fußball hilft, gerade in schweren Zeiten. Wir vergessen für 90 Minuten und versuchen ein normales Leben zu leben", sagte er bei einer Rede vor dem FSE-Kongress in Frankfurt. Im Fernsehen zeigt der irische Sender "Setanta Sport" die Spiele.

Die Sicherheit: Luftschutzbunker in allen Stadien

Zu Beginn wird die Liga nur im Westen des Landes und in Kiew ausgetragen. Laut Reuters plant die Liga in jedem Stadion mit Luftschutzbunkern, da fortwährend das Risiko russischer Raketenangriffe besteht. Ertönt eine Luftschutzsirene, wird das Spiel logischerweise unterbrochen.

Fast wie Satire wirken die Sorgen mancher Akteure. Schachtar Donezks Mittelfeldspieler Taras Stepanenko sagte zu Reuters, dass er sich Sorgen mache, wie er sich bei längeren Unterbrechungen bei Angriffen warm halten soll. "Es wird schwer, wenn es länger als eine Stunde dauert. Vielleicht sollten sie ein paar Trainingsfahrräder für uns aufstellen", sagte Stepanenko.

Die Spieler: Ausverkauf durch FIFA-Regularien

Schachtar Donezk befindet sich derzeit im Rechtsstreit mit dem Weltverband FIFA und fordert Schadenersatz. Nach Russlands Angriff veranlasste die FIFA, dass Spieler in der Ukraine ihre Verträge einseitig ohne Folgen aussetzen können. Gerade ausländischen Spielern sollte es ermöglicht werden, nicht in ein Kriegsgebiet zurückkehren zu müssen, um ihrem Beruf nachzugehen. Der Klub verlor seiner Ansicht nach aber dadurch viel Geld.

Einnahmequellen gab es für die Klubs durch den Krieg kaum noch, die Ablösesummen aus Transfers dieser Spieler wären eine der wenigen Möglichkeiten gewesen, Geld zu generieren. Die Regelung der FIFA bedeutete aber eine Schwächung der Verhandlungsposition für den Klub bei Transfers. Berater und potenzielle neue Klubs konnten seit dem 21. Juni darauf setzen, dass sich die gewünschten Spieler einseitig als vertragslos erklären durften, die Transferfenster der großen Ligen in Europa sind weitgehend bis zum 1. September geöffnet.

Der israelische Spieler Manor Salomon ist ein Teil des Streits. Salomon war 2019 aus Israel in die Ukraine gewechselt. Donezks Geschäftsführer Sergei Palkin behauptet im Gespräch mit "The Athletic", dass er mit dem Premier-League-Aufsteiger FC Fulham über einen Transfer Salomons im Wert von 7,5 Millionen Euro einig gewesen sei. Dann wurde die FIFA-Regelung erneuert, der Spieler wechselt Palkin zufolge nun ablösefrei. Weitere Transfers sind laut Palkin in Gefahr.

Manor Solomon im Trikot von Shakhtar Donezk

Manor Solomon im Trikot von Shakhtar Donezk

Der Titelverteidiger: Nicht vorhanden

Die Premjer-Liha musste wegen des russischen Angriffskriegs die Saison 2021/22 abbrechen. Die Liga beschloss am 26. April, keinen Meister festzulegen, der ukrainische Verband bestätigte die Entscheidung.

Die Tabelle vom 24. Februar wurde als Abschlusstabelle beschlossen, ganz oben stand Schachtar Donezk. Meister ist der Klub nicht - aber er vertritt die Ukraine als erstes Team in den Europapokal-Wettbewerben.

Die Europapokal-Teilnehmer: Unverhofft in der Champions League

In der Ukraine kann man in Sachen Fußball auch auf den kommenden Donnerstag (18 Uhr) blicken: Dann steht die Auslosung der Gruppenphase der Champions League in Istanbul an. Mit Schachtar Donezk liegt ein Team aus der Ukraine im Lostopf.

Die UEFA hatte Russland aus allen Klubwettbewerben der Saison 2022/23 ausgeschlossen, weil die Regierung in Moskau den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. In der Champions League ist damit der schottische Meister einen Platz höher gerutscht und direkt in der Gruppenphase dabei statt nur in den Playoffs.

Ukrainische Teams im Europapokal 2022/23 (Stand: 22.08.2022)
Team Wettbewerb Runde
Schachtar Donezk CL Gruppenphase
Dynamo Kiew CL Playoffs
SK Dnipro-1 EL Playoffs
Worskla Poltawa ECL ausgeschieden
Zorya Luhansk ECL ausgeschieden

Aber auch der Vertreter aus der Ukraine rutschte aus den Playoffs in die Gruppenphase. Da der Champions-League-Sieger Real Madrid bereits über seine nationale Liga für die Gruppenphase qualifiziert ist, geht der Platz an den nächstbesten "Meister".

Die Auswirkungen auf andere Sportarten

Die festgeschriebenen Regularien besagen nach Angaben der Liga, dass die Spiele unter "Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen und unter strenger Aufsicht des Militärs, der Strafverfolgungsbeamten, des Ministeriums für Jugend und Sport und der örtlichen Behörden" abgehalten werden sollen.

Laut UAF-Präsident Andriy Pavelko soll das Dokument die Grundlage für die Organisation von Wettkämpfen in anderen Sportarten in der Ukraine werden. "Daher wird die Durchführung von Fußballwettbewerben eine starke Botschaft aussenden, eine starke soziale Mission haben und auch als geistiger Trost für unser Volk dienen", teilte die Liga mit.