Ilkay Gündogan

Nationalmannschaft und Champions League İlkay Gündoğan - dort ein Star, hier mehr Mitläufer

Stand: 09.06.2023 16:58 Uhr

Bei seinem Klub, vermutlich dem besten der Welt, sammelt İlkay Gündoğan Titel und Anerkennung. Bei der Nationalmannschaft ist er eher ein Mitläufer, sein Ansehen in Deutschland leidet darunter. Eine Erklärungssuche.

Jetzt, gut zehn Jahre nach dem ersten Versuch, sollte es im dritten so weit sein. İlkay Gündoğan ist mit Manchester City jedenfalls haushoher Favorit im Finale der Champions League gegen Inter Mailand.

Etwa 25 Leute, so schätzt Rainer Konietzka, werden dann im Vereinsheim des SV Gelsenkirchen-Hessler 06 rudelgucken, was "unser İlly" macht.

"Unser İlly" vergisst seine Heimat nie

Konietzka ist der Vorsitzende des Klubs, in dem Gündoğan seine Heimat hat. Bratwurst und Sucuk, Bier und Cola stehen am Samstag unter anderem auf dem Speiseplan. Die Rechnung geht auf İlkay Gündoğan, der schon eine viel höhere des Klubs mitbeglichen hat. Der Kunstrasenplatz im Jahnstadion kostete 640.000 Euro, die Stadt Gelsenkirchen steuerte 340.000 dabei, der Rest ging auf den Klub und Gündoğan.

"Unser İlly" vergisst seine Heimat nie. Sie werden daher umso heftiger mit ihm fiebern, dass er nun nach dem dritten Finale in der Champions League endlich den Pokal in die Höhe stemmen kann, und dann auch noch als Kapitän.

Gündoğan käme dann als Gewinner des Triples in seine Heimat zurück, denn er schoss City schon mit zwei Toren gegen Stadtrivale United zum Sieg im FA Cup, und die englische Meisterschaft holte er in dieser Saison bereits zum fünften Mal. Die deutsche Nationalmannschaft bestreitet ihr drittes Spiel aus der Dreierserie im Juni am Dienstag (20.06.2023) in Gelsenkirchen gegen Kolumbien.

Kaum Erfolge mit der Nationalmannschaft

Im Vereinsheim von Hessler 06 hängt ein signiertes Nationaltrikot von Gündoğan an der Wand. "Unser İlly" lief bislang 66-mal für Deutschland auf, aber noch nie in einem K.o.-Spiel bei einem großen Turnier. Bei der Europameisterschaft 2020 verzichtete der damalige Bundestrainer Joachim Löw im Achtelfinale gegen England auf Gündoğan, nachdem der zuvor die drei Gruppenspiele bestritten hatte.

Bei der EM 2012 war Gündoğan im Kader, spielte aber keine Minute. Die WM 2014 und EM 2016, die zum Titel und ins Halbfinale führten, verpasste Gündoğan wegen langwieriger Verletzungen. Die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 führten ins Fiasko, Gündoğan kam zusammen auf vier Einsätze.

İlkay Gündoğan müsste aufgrund seiner Vereinskarriere und der fußballerischen Fähigkeiten eine prägende Figur der deutschen Nationalmannschaft sein, vielleicht sogar die prägende. Aber die ist er nicht. Warum nicht?

Verzerrte Wahrnehmung

Eine der Antworten gab er schon 2019. Auf die Frage der "Süddeutschen Zeitung", ob er sich "zu wenig wertgeschätzt" fühle, sagte Gündoğan:

"Ja, ich fühle mich ein wenig unterschätzt, aber ich habe auch Verständnis dafür. Ich habe einfach zu viel verpasst. Bei der Nationalelf schauen die Leute vor allem die Turniere, und da war ich halt nur zweimal dabei, bei der EM 2012 und der WM 2018." Quantitativ ist die Bilanz besser geworden, aber der Eindruck, dass "unser İlly" verzerrt wahrgenommen wird, ist geblieben.

Das mag daran liegen, dass er nie für den FC Bayern München spielte, von dem er mal geholt werden sollte, aber es gab keine Einigung.

Das mag auch daran liegen, dass er nie für alle "unser İlly" war und sein wird. Genauso wenig wie Mesut Özil, ebenfalls in Gelsenkirchen geboren, nie "unser Mesut" war.

Pfiffe nach dem Foto mit Erdoğan

Das berühmte Foto, das kurz vor der WM 2018 mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan entstand, zeigte auch Gündoğan. Bei einem Testspiel in Leverkusen wurde er daher von einem Teil des Publikums bei jeder Ballberührung ausgepfiffen. Der Deutsche Fußball-Bund versuchte, die Diskussion, in der es auch um Xenophobie und Rassismus hätte gehen müssen, im Keim zu ersticken. Der Schaden wurde dadurch größer, im Gegensatz zu Özil spielte Gündoğan trotzdem weiter für Deutschland, und das hat er auch weiter vor.

İlkay Gündoğan ist 32 Jahre alt. Er wird Ende Oktober 33, und das zeigt schon ein bisschen, wie gut er ist. Nur ganz selten schaffen es Fußballer, die im letzten Quartal geboren sind, nach ganz oben. Sie müssen sich in der Jugend gegen Konkurrenz durchsetzen, die teilweise deutlich älter und dementsprechend körperlich weiter ist. Vermutlich spielte İlkay Gündoğan daher auch nur eine Saison in der Jugend des FC Schalke 04, bevor er zu Hessler 06 zurückkehrte.

2016 mit Guardiola zu Manchester City

Im Seniorenbereich nahm Gündoğan beim 1. FC Nürnberg Anlauf, um dann bei Borussia Dortmund unter Trainer Jürgen Klopp zum Deutschen Meister und Nationalspieler zu werden. Das erste Jahr von Thomas Tuchel beim BVB nahm er auch noch mit, bevor er 2016 zusammen mit Pep Guardiola bei Manchester City anfing.

"Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gut der Junge ist. İlkay war eine der besten Verpflichtungen von City jemals", sagte Guardiola, der Dinge ernst meint, wenn er nicht mindestens drei "top" in den Satz einbaut.

Taktischer Alleskönner

Klopp, Tuchel, Guardiola - Gündoğan kennt und trainierte alle Facetten des modernen Fußballs. Kaum einer dürfte taktisch besser ausgebildet sein, sich bei den relativ wenigen Übungseinheiten bei der Nationalmannschaft besser auf Taktik- und Systemwechsel einstellen können.

Vielleicht ist die Zeit für die Mitspieler zu kurz, um sich auf İlkay Gündoğan einzustellen, auf dessen Ideen, auf dessen schnelle Weiterleitungen, auf dessen Positionsspiel, das ein Spieler mit so langer Erfahrung unter Guardiola perfekt beherrscht.

İlkay Gündoğan und Manchester City - das passt und passte so gut, dass der FC Barcelona nun bereit sein soll, dem Jungen aus dem Ruhrpott einen drei Jahre gültigen Vertrag anzubieten. Trainer Xavi scheint Gündoğan die Anerkennung zu schenken die ihm in Deutschland ansonsten nur im Vereinsheim des SV Gelsenkirchen-Hessler 06 gewiss ist.