Vor Achtelfinale gegen Österreich EURO - Italiens Gipfelsturm

Stand: 25.06.2021 20:00 Uhr

Italien ist bei der EURO 2020 plötzlich Topfavorit. Das hat viel mit dem Trainer Roberto Mancini zu tun. Die Geschichte seiner dreijährigen Amtszeit ist eine, die vom Suchen erzählt und vom Finden.

Wer einen Berg besteigen will, fängt im Normalfall von ganz unten an. Ungefähr da lag Italiens Fußball nach der verpassten Weltmeisterschaft 2018 - zumindest gemessen an den eigenen Maßstäben. Um zurück auf den Weg zur Weltspitze zu gelangen, die zwar kein Berg in den Alpen, aber doch ein nur für wenige zu erklimmendes Gebiet ist, verpflichteten die Italiener einen neuen Bergführer: Roberto Mancini.

Das erste Tor, das ein Spieler im italienischen Nationaltrikot für den neuen Trainer Mancini schoss, gelang Mario Balotelli. Es war im Frühsommer 2018 eine der ersten Amtshandlungen von Mancini, der nach der verpassten Weltmeisterschaft von Gian Piero Ventura übernahm, den Skandalstürmer zurück in die Nationalmannschaft zu holen. Mancini hatte schon lange als Förderer von Balotelli gegolten, zusammen waren sie bei Manchester City und Inter Mailand jeweils einmal Meister geworden.

Holpriger Start

Das Spiel gegen Saudi-Arabien endete 2:1 für die Italiener. Aus dem 26 Spieler umfassenden Aufgebot von damals sind heute noch genau zehn bei der EURO 2020 in Mancinis Kader. Mancini probierte aus, nominierte schnelllebig, gab immer wieder anderen Spielern eine Chance, die in der Liga ein paar gute Spiele hintereinander gemacht hatten.

Das ging gerade in der Anfangszeit auch auf Kosten des Erfolgs. In den folgenden fünf Spielen gelang kein einziger Dreier mehr, im September verlor man in der Nations League 0:1 gegen Portugal. Erst gegen Polen im Oktober fuhr die Mancini-Elf wieder einen Erfolg ein, und der Weg führte nach einigen Irrungen wieder nach oben. Cristiano Biraghi traf, Kevin Lasagna bereitete vor. Beide mussten beim folgenden Aufstieg allerdings schon im oberen Bereich des Tals die Gruppe wieder verlassen. Balotelli war da längst im Basislager zurückgeblieben.

Achse findet sich

Aber nach und nach fand sich dann doch eine Achse, die den Aufstieg vorantreiben sollte. Torhüter Gianluigi Donnarumma, die Abwehr-Oldies Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci, die Mittelfeldstrategen Jorginho und Marco Verratti und auf den Flügeln Lorenzo Insigne und Federico Chiesa standen gegen die Polen in der Startformation. Drumherum wurde das Personal allerdings bis heute munter immer wieder ausgetauscht. Ohne, dass es an Erfolg mangelte.

Rekordjagd

Seit 30 Länderspielen sind die Italiener inzwischen unbesiegt. Gewinnt man das Achtelfinale gegen Österreich, wäre das Verbandsrekord, und eine fast 100 Jahre alte Bestmarke fiele. Ein Sieg würde auch bedeuten, dass Chiellini und Co. zwölf Partien hintereinander sogar gewonnen hätten - auch das wäre Verbandsrekord.

Schafft Italien es ohne Gegentor sogar bis ins Halbfinale, würde eine weitere Bestmarke fallen - nie gelang es einer italienischen Auswahl bisher, 13 mal in Serie zu Null zu spielen. Und das, obwohl Fußball-Feingeist Mancini durchaus Wert auf ein druckvolles Offensivspiel mit Überzahl im gegnerischen Drittel liegt.

Kleiner Fleck auf der Weste

Durch die Qualifikation zur Euro marschierten die Italiener dementsprechend entspannt. Die Gruppe war mit Finnland, Griechenland, Bosnien-Herzegowina, Armenien, gegen das es ein 9:1 gab, und Liechtenstein nicht gerade mit Hochkarätern besetzt. Tatsächlich gab es in dieser nun 30 Spiele andauernden Erfolgsperiode nur einen einzigen Gegner aus den Top sechs der aktuellen FIFA-Weltrangliste: Gegen Portugal spielte man 0:0.

Zum Vergleich: Die DFB-Elf bekam es in diesem Zeitraum gleich sechsmal mit Gegnern aus den aktuellen Top sechs zu tun. Die wenigen Vergleiche auf allerhöchstem Niveau sind das mehr oder weniger einzige verbleibende sportliche Fragezeichen, das bei diesem ansonsten sehr überzeugenden Turnier noch bleibt.

Es gibt aber auch einen kleinen Fleck auf der Weste, des modebewussten Mancini, der übrigens auch als charismatischer Gegenspieler von James Bond wohl eine gute Figur machen würde: Nämlich den Moment, als der Nationaltrainer des gerade zu Beginn von Covid-19 besonders getroffenen Italien einen Cartoon in den sozialen Medien verbreitete, in dem die Gefährlichkeit des Virus zumindest in Zweifel gezogen wurde. Mancini entschuldigte sich prompt, fing sich kurz darauf selbst das Virus ein und verpasste deshalb sogar zwei der 30 ungeschlagenen Spiele und den Auftakt der Siegesserie, die bis heute anhält.

Wie sieht's gegen die "Großen" aus?

Sollten die Italiener das Viertelfinale erreichen, könnte der Gegner dort Portugal heißen. Alternativ Belgien. Da wäre er dann, der Vergleich mit einem der Großen, einem "Achttausender" des Fußballs.

Die Österreicher, Gegner im Achtelfinale am Samstag (26.06.2021), gehören zwar nicht in diese Kategorie, sind aber als Gruppenzweiter mit sechs Punkten ganz sicher auch keine Laufkundschaft. Und vielleicht hat man nach diesem Spiel schon eine Ahnung, ob der Bergführer Mancini mit seinen Italienern wirklich den Gipfel erklimmen kann.