Jurij Wernydub
interview

Interview mit Jurij Wernydub Ukrainischer Trainer und Soldat - "Zeigen, dass wir noch leben"

Stand: 25.08.2022 17:18 Uhr

Jurij Wernydub trainiert einen ukrainischen Erstligisten und verteidigt seine Heimat in den Streitkräften. Dass während des Krieges Fußball gespielt wird, hält er für richtig: "Wir zeigen, dass wir noch leben."

Es ist der Abend des ukrainischen Unabhängigkeitstages, an dem der Pressesprecher des FC Krywbas die Antworten von Cheftrainer Jurij Wernydub schickt. Am Tag zuvor hatte der Aufsteiger in die erste ukrainische Liga, der Premjer-Liha, beim FK Kolos Kowaliwka mit 0:1 verloren. Symbolträchtig, eben am Vortag der Unabhängigkeitsfeier und ein halbes Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges, war die Meisterschaft gestartet.

"Das Leben muss weitergehen", sagt Jurij Wernydub, der Cheftrainer beim FC Krywbas, dem Klub aus Krywyj Rih, einer Großstadt im Süden der Ukraine. Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine, wurde dort geboren. Jeden Tag ermuntert Selenskyij seine Landsleute in einer Videobotschaft, durchzuhalten. Im Besonderen gilt die Ermunterung Männern wie Wernydub, der nicht nur Fußballtrainer ist, sondern in den ukrainischen Streitkräften kämpft und seine Heimat verteidigt.

Er fand trotzdem noch Zeit, der Sportschau Fragen zu beantworten, die einige Tage vor dem Saisonstart schriftlich eingereicht worden waren. Nachfragen waren daher nicht möglich.

Herr Wernydub, Sie haben mit Ihrer Mannschaft Sheriff Tiraspol bei Real Madrid in der Champions League gewonnen, ein paar Monate später verließen Sie den moldauischen Klub dann, um in der Ukraine für Ihre Heimat zu kämpfen. Schildern Sie bitte, wie das genau damals ablief.

Jurij Wernydub: Ich habe ja schon mehrmals erzählt, dass ich am Tag des Spiels bei Sporting Braga vom Krieg erfahren habe. (Anmerkung der Redaktion: Das Spiel der Europa League in Portugal wurde am 24. Februar 2022, dem Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine, ausgetragen.) Unmittelbar nach dem Spiel flogen wir zurück, konnten aber nicht mehr nach Moldau fliegen. Wir flogen also nach Rumänien. Von da sind wir mit dem Bus weiter nach Moldau, letztlich bis nach Tiraspol. Dort kamen wir am 25. Februar an. Am Morgen des 26. fuhr ich dann mit dem Auto zur Grenze, überquerte sie. In der Ukraine wartete schon ein Auto auf mich, ich hatte mich bereits mit einem Taxifahrer verabredet und fuhr nach Saporischja. Angekommen bin ich dort am Abend des 26., und am 27. ging ich zum Militärregistrierungs- und Einberufungsamt und trat den Streikräften der Ukraine bei.

Was ist seitdem passiert?

Wernydub: Ich wünsche niemandem ein solches Leben, weil alles sehr schwierig ist. Gestern war ich noch in Portugal beim Sechzehntelfinale der Europa League, und zwei Tage später war ich schon bei den Streitkräften der Ukraine. Die Bedingungen sind nicht die besten, aber trotzdem wussten alle Jungs, mich eingeschlossen, warum wir dort waren und was wir wollten. Wir sind dorthin gegangen, um zu verhindern, dass die Russen uns übernehmen.

Wir haben für die Freiheit unseres Landes Ukraine gekämpft, damit unsere Kinder, Ehefrauen und Eltern so leben, wie wir es wollen, und nicht nach einigen Prinzipien eines anderen Landes, nämlich Russlands. Ich möchte überall Frieden, einen friedlichen Himmel und Menschen, die so leben können, wie sie es wünschen.

Wie kamen Sie dann wieder zu einem Job als Fußballtrainer?

Wernydub: Ich kannte den Präsidenten des Klubs FC Krywbas, Konstantin Karamanits. Wir trafen uns Ende 2021, im Dezember. Wir haben uns unterhalten, wir haben uns kennengelernt. Dann begann im Februar der Krieg, ich hatte Dienst in der Nähe von Krywyj Rih, der Stadt, in der der FC Krywbas zu Hause ist. Ich beschloss, den Präsidenten anzurufen, weil wir Unterstützung für unsere Einheit brauchten. Er weigerte sich nicht, im Gegenteil, er half uns ernsthaft, so gut er konnte.

So blieben wir in Kontakt. Als dann bereits vier Monate des Krieges vergangen waren, wahrscheinlich irgendwann Anfang Juni, rief der Präsident an und fragte, ob ich nicht zu meiner eigentlichen Arbeit zurückkehren will,. Es bestehe eine Chance, dass die Meisterschaft der Ukraine fortgesetzt wird. Also fragte er: Willst du arbeiten?

Was war Ihre Antwort?

Wernydub: Ich sagte, natürlich würde ich das tun. Als Trainer zu arbeiten ist mein Lieblingsjob. Ich habe damals nicht richtig verstanden, wie das möglich ist. Aber die Teile fügten sich zusammen, sodass ich die Möglichkeit bekam, die Arbeit als Trainer und den Dienst bei den Streitkräften zu verbinden. Ich habe es kombiniert - und Gott sei Dank klappt alles.

Was bedeutet es, während des Krieges Fußball zu spielen?

Wernydub: Es ist nicht ganz einfach. Ich danke daher allen Jungs, nicht nur denen beim FC Krywbas, sondern denen in allen Klubs. Es ist ein großes Risiko, Fußball zu spielen. Trotzdem müssen wir bedenken, dass das Leben in der Ukraine nicht aufhört. Man muss leben. Man muss genießen.

Man muss sich mit der Lieblingssache beschäftigen. Darüber hinaus geben unsere Streitkräfte der Ukraine eine solche Gelegenheit, schützen uns und geben Sportlern die Möglichkeit, das zu tun, was sie lieben. Es ist klar, dass wir gerne Frieden hätten, aber was wir haben, ist das, was wir heute haben.

Wie lief denn die Vorbereitung auf die Saison ab?

Wernydub: Normal. Wir hatten gute Bedingungen. Wir waren im Trainingslager im Westen der Ukraine in Uschgorod. Es gab genügend Trainingsplätze. In der Stadt war es ruhig, Gott sei Dank. Also arbeiteten wir ruhig.

Was denken Sie über den Beginn der neuen Meisterschaft während des Krieges?

Wernydub: Diese Entscheidung haben andere Leute getroffen, Führungskräfte, etwa aus dem ukrainischen Fußballverband und der Premjer-Liha. Wenn sie sich so entschieden haben und bereit sind, und auch der Präsident unseres Landes, Wolodymyr Selenskyj, ja gesagt hat, warum nicht? Was ich vorhin gesagt habe: Das Leben muss weitergehen, und so werden wir im Gegenteil auch im Kriegsstadium zeigen, dass wir noch leben, machen, was wir wollen - wir machen wieder unsere Lieblingsbeschäftigung dank unserer Streitkräfte der Ukraine, unserer Armee, unserer Kämpfer, die uns diese Gelegenheit geben.

Twitter-Beitrag von ZoryaLondonsk: "Sheriff Tiraspol manager Yuriy Vernydub is primed and ready!

He defeated Real Madrid in the autumn

Now he’s joined the territorial defence effort too 🇺🇦🇺🇦🇺🇦 https://t.co/8OsY7kOHST"

Ellina Samovilova übersetzte das Interview aus dem Russischen.