Beth Mead (l.) aus England und ihre Teamkollegin Ellen White zeigen sich Eulenaugen zum Jubel

Gruppe A Viertelfinale! England gegen Norwegen wie im Rausch

Stand: 12.07.2022 00:20 Uhr

Englands wie entfesselt aufspielende Fußballerinnen haben als erstes EM-Team ein Viertelfinal-Ticket gebucht - und wie! Mit dem höchsten Sieg der EM-Geschichte spielten die Gastgeberinnen der Euro das ebenfalls hoch gehandelte Norwegen beim 8:0 (6:0) regelrecht an die Wand.

Von Ines Bellinger

Die 28.847 Zuschauer im ausverkauften Brighton & Hove Community Stadium wurden am Montagabend (11.07.2022) Augenzeugen eines begeisternden Auftritts der "Lionesses", der die Euphorie um den großen Turnierfavoriten weiter anheizen dürfte. Die dreifache Torschützin Beth Mead sprudelte am BBC-Mikrofon über vor Glück: "Ich kann es nicht in Worte fassen", sagte die Arsenal-Stürmerin. "Ich liebe es, hier zu sein, ich liebe es, Teil dieses Teams zu sein und ich liebe jede Minute."

Mit sechs Punkten ist das Team von Trainerin Sarina Wiegman vor seinem letzten Spiel gegen Außenseiter Nordirland nicht mehr vom ersten Platz der Gruppe A zu verdrängen, weil England beide direkten Vergleiche gegen die punktgleichen Verfolger Norwegen und Österreich (je 3) gewonnen hat. Nordirland ist nach dem 0:2 gegen Österreich bereits ausgeschieden.

Für das deutsche Team bedeutet das, dass es nur einen Weg gibt, diesen starken Engländerinnen aus dem Weg zu gehen - nämlich selbst Gruppensieger zu werden.

Schiedsrichterin Hussein im Fokus: Elfer gegeben, Abseits revidiert

Nach dem mageren 1:0-Auftaktsieg gegen Österreich hatten sich die Engländerinnen die Kritik ihrer Trainerin, die mangelnde Entschlossenheit bei den finalen Pässen moniert hatte, wohl zu Herzen genommen. Das Wiegman-Team zog vom Anstoß weg ein Angriffspressing auf, von dem die Norwegerinnen überrollt wurden. Im Fokus stand auch gleich das deutsche Schiedsrichter-Gespann. Riem Hussein zeigte ohne zu zögern auf den Elfmeterpunkt, als Ellen White von Maria Thorsdottir festgehalten wurde. Georgia Stanway, die nach der EM von Manchester City zu Bayern München wechselt, verwandelte eiskalt (10.).

Es war, als ob diese Aktion bei den Turnierfavoritinnen die letzten Fesseln abgestreift hätte. Ein Angriff nach dem anderen rollte über Englands schnelle Flügelspielerinnen auf das norwegische Tor zu. Als Lauren Hemp auf Vorlage von Beth Mead das 2:0 erzielte (15.), verweigerte Schiedsrichterin Hussein dem Treffer wegen einer vermeintlichen Abseitsposition zunächst die Anerkennung, ließ sich von Videoschiedsrichter Christian Dingert aber korrigieren.

White findet Torriecher wieder

Bei Norwegen, das sich kaum aus dieser Umklammerung befreien konnte, lagen nun die Nerven blank. Thorisdottir, die Innenverteidigerin von Manchester United, die schon den Elfmeter verursacht hatte, vertändelte den Ball gegen Ellen White, die allein auf Torhüterin Guto Pettersen zulief und - endlich, endlich - ihre Vollstrecker-Qualitäten wieder zeigte. Seit Mai hatte Englands Rekord-Torschützin nicht mehr getroffen. Nun ließ sie ihrem 51. Länderspieltreffer zum 3:0 (29.) sogar noch den 52. zum 6:0 (41.) folgen. Für die beiden Treffer dazwischen zeichnete Beth Mead verantwortlich (34., 38.).

England schon vor der Pause auf Kurs EM-Rekord

Ein halbes Dutzend Tore bereits zur Pause - was für ein Statement der Gastgeberinnen! Und das gegen Norwegen, die in Ada Hegerberg (Olympique Lyon), Caroline Graham Hansen (FC Barcelona) oder Guro Reiten (FC Chelsea) immerhin Spielerinnen in ihren Reihen haben, die zum Spitzenpersonal bei europäischen Topclubs gehören. Nicht wenige hatten vor der Partie auf ein enges Spiel und ein Unentschieden getippt. Stattdessen steuerten die Engländerinnen schon zur Pause auf Kurs EM-Rekord: Den bis dato höchsten Sieg bei einer Euro hatten sie selbst eingefahren - beim 6:0 gegen Schottland vor fünf Jahren.

Joker Russo trifft - Mead mit viertem EM-Treffer

Nach der Pause ließen es White, Mead & Co. verständlicherweise etwas ruhiger angehen. Während La Ola durchs Stadion rollte und "Football's coming home"-Gesänge erklangen, machte sich Wiegman daran, die Kräfte ihrer Leistungsträgerinnen zu schonen. Sie wechselte unter anderen die vor der EM von Corona geschwächte White und Schlüsselspielerin Fran Kirby aus.

Aber auch die Joker wollten sich noch in die Torschützenliste eintragen. Die eingewechselte Alessia Russo köpfte eine Flanke von Lucy Bronze zum 7:0 ins Tor (66.). Alex Greenwood traf an die Querlatte (74.). Mead machte mit dem 8:0 (81.) ihr viertes Turniertor und setzte sich damit an die Spitze der Torjägerliste vor die Französin Grace Geyoro (3.).

Beth Mead (r.) aus England jubelt.

Erzielte ihre EM-Treffer zwei bis vier: Beth Mead.

Hegerberg & Co. vor Gruppenfinale frustriert

Hätte England seine Chancen in der zweiten Hälfte konsequenter genutzt, hätte die Partie auch zweistellig enden können. Aber die Demütigung für die Norwegerinnen war auch so groß genug. Wie in Schockstarre ließen sie alles über sich ergehen, niemand ging voran, keiner erhob das Wort. Hegerberg räumte einen Tag nach ihrem 27. Geburtstag eine Viertelstunde vor dem Ende frustriert das Feld, ebenso wie Graham Hansen. Trainer Martin Sjøgren wird ganze Arbeit leisten müssen, um die Kvinnerlandslag für das Gruppenfinale am Freitag (15.07.2022) gegen die punktgleichen Österreicherinnen so aufzurichten, dass sie doch noch die K.o.-Runde erreicht - wegen der weit schlechteren Tordifferenz brauchen die Norwegerinnen einen Sieg.

England - Norwegen 8:0 (6:0)

Tore: 1:0 Stanway (12./Foulelfmeter), 2:0 Hemp (15.), 3:0 White (29.), 4:0, 5:0 Mead (34., 38.), 6:0 White (41.), 7:0 Russo (66.), 8:0 Mead (81.)
Zuschauer: 28.847 (ausverkauft)
Schiedsrichterin: Riem Hussein (Deutschland / Bad Harzburg)

England: Earps - Bronze, Bright, Williamson, Daly (57. Greenwood) - Stanway (80. Stanway), Walsh - Mead, Kirby (58. Toone), Hemp (70. Kelly) - White (57. Russo)

Norwegen: Pettersen - T. Hansen, Mjelde, Thorisdottir, Blakstad - Sævik (46. Bergsvand), Bøe Risa (59. Maanum), Engen, Reiten (84. Terland) - Graham Hansen (76. Eikeland) - Hegerberg (75. Ildhusøy)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.07.2022 | 17:45 Uhr