Grafik Sport Inside - Katar - WM der Schande, Episode 4 - Der Schein

Doku-Serie "Katar - WM der Schande" FIFA und Katar - gemeinsam gegen die Kritik

Stand: 28.10.2022 11:41 Uhr

Die FIFA und Katar gehen gemeinsam auf vielen Ebenen gegen Kritik an der WM vor. Besonders in der sogenannten internationalen Fußball-Familie duldet man keine Quertreiber.

Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness gab öffentlich Widerworte - auf dem FIFA-Kongress in Doha 2022, als eine Ausnahme in der Funktionärswelt des Fußballs. Beim Kongress versammeln sich Vertreter aller 211 Mitgliedsverbände der FIFA. "Im Jahr 2010 wurde die Weltmeisterschaft von der FIFA auf inakzeptable Weise und mit inakzeptablen Folgen vergeben", sagte Klaveness vor dem Kongress. Im weiteren Verlauf ihrer Rede verwies sie auf Menschenrechtsverletzungen und auf fehlende Rechte von Frauen oder Homosexuellen.

In der WDR-Dokuserie "Katar - WM der Schande" berichtet Klaveness über ihre heutige Sicht auf ihre Rede. "Es fühlte sich nach einem hohen Risiko an. Wenn man zurückblickt, hört es sich ein bisschen seltsam an, das zu sagen, aber die Situation fühlte sich unsicher an." Die FIFA sei informiert gewesen, dass sie die Themen ansprechen wolle. "In den letzten Tagen vor der Rede kamen die Warnungen von überall her. Auch andere Verbandspräsidenten warnten mich. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich abgesprochen hatten."

Die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness spricht auf dem FIFA-Kongress in Doha.

Die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness spricht auf dem FIFA-Kongress in Doha.

Klaveness: "Mir wurde deutlich gesagt, dass es nicht erwünscht war"

"Als ich von der Bühne runter ging, hatte ich mit niemandem Augenkontakt", erzählt Klaveness. "Ich war darauf vorbereitet. Aber die meisten Dinge werden ohne Worte gesagt. Und es wurde mir sehr deutlich gesagt, dass es nicht erwünscht war, das dort zu sagen."

Ernesto Mejia, Generalsekretär des Verbandes von Honduras sprach als nächster und sagte: "Das ist nicht das richtige Forum, der richtige Moment, diese Fragen zu diskutieren. Das ist Fußball, hier sind wir als Fußballfamilie vereint."

Nicholas McGeehan von der Menschenrechtsorganisation FairSquare sagt, dass Klaveness sich sehr mutig verhalten habe. "Dort zu stehen und offen und ehrlich eine Reihe von Bedenken und ihre Hoffnungen zu erklären, hat viel Mut gekostet. Dass die FIFA am Ende einen Lakaien schickt, um das, was sie gesagt hat, anzuprangern, sagt viel über die Organisation aus."

Die Antwort auf Kritik? "Diskriminierung und Voreingenomenheit gegen Katar"

FIFA-Präsident Gianni Infantino verteidigt das Turnier. "Wir sind hier in Katar. Wir sind hier in der arabischen Welt. Einige Teile der westlichen Welt, wo ich herkomme, sind ein wenig voreingenommen gegenüber der arabischen Welt." Ähnlich äußert sich der Emir von Katar. "Seit Jahrzehnten leidet der Nahe Osten unter Diskriminierung. Es gibt Menschen, die es nicht akzeptieren können, dass ein arabisch-muslimisches Land eine Weltmeisterschaft ausrichten wird. Diese Personen, darunter viele in einflussreichen Positionen, haben uns in einer Art angegriffen, wie es noch kein Gastgeber einer Sportgroßveranstaltung auf anderen Kontinenten erlebt hat."

Voreingenommenheit, Attacken, Diskriminierung und Rassismus - das ist die Antwort auf Kritik. "Mit Rassismus hat das nichts zu tun", sagt der dänische Journalist Jan Jensen. "Die Gastarbeiter sind die Menschen, die Rassismus empfinden. Sie können nicht in die Einkaufszentren gehen. Sie können nicht zu allen Stränden gehen. Sie können in Katar nicht dorthin gehen, wo sie hinwollen. Wir haben Geschichten über Frauen gehört, die vergewaltigt und danach ausgewiesen wurden, weil sie Sex außerhalb der Ehe hatten. Ist es Rassismus, dass wir solche Geschichten erzählen? Nein, natürlich ist es nicht Rassismus."

Infantino: "Wir geben den Arbeitern Würde und Stolz"

Auf einer Konferenz sechs Monate vor WM-Beginn offenbarte Infantino sein Verständnis vom Sterben und der Ausbeutung von Gastarbeitern im WM-Land. "Wenn Sie jemandem Arbeit geben, auch wenn er in einer schwierigen Lage ist, verleihen Sie ihm Würde und Stolz", sagte Infantino. "Es geht nicht um Almosen. Dabei geht es um Stolz. Und dass wir die Bedingungen für diese 1,5 Millionen Menschen verändern konnten, macht uns ebenfalls stolz."

FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht bei der "Milken Institute Global Conference".

FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht bei der "Milken Institute Global Conference".

Minky Worden von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nennt Infantinos Aussagen "sehr aufschlussreich". Sie meint: "Es zeigt einen Mangel an Einfühlungsvermögen und Verständnis, selbst nach zwölf Jahren der WM-Vorbereitungen, dass Gastarbeiter diese Arbeit unter tödlichen Bedingungen verrichten, unsicheren Bedingungen, die ihnen das Leben kosten könnten. Es gibt also keine Würde und keinen Stolz, wenn Sie einen Job machen, der Sie töten könnte, und Sie werden ohne das Geld, das Ihnen geschuldet wird, oder in einem Sarg nach Hause zu Ihrer Familie gehen."

Noch deutlicher wurde Niederlandes Bondscoach Louis van Gaal. "Ich finde es lächerlich, dass man in einem Land spielen soll, um wie die FIFA sagt, da den Fußball weiterzuentwickeln", sagte der Trainer. "Und das tut man dann, in dem man in dem Land ein Riesenturnier veranstaltet. Das ist einfach Bullshit. Dafür tut man das nicht. Es geht ums Geld, um kommerzielle Belange. Nur darum geht es, bei der FIFA."

Debatte um Entschädigungen

Der DFB und andere Nationalverbände fordern nun Entschädigungen für die Arbeiter, "die im Zusammenhang mit dem Bau der Stadien und der Infrastruktur ums Leben gekommen sind, die sich vielleicht so schwer verletzt haben, die Unfälle erlebt haben, die am Ende des Tages dazu führen, dass sie ihre Familien dann in der Heimat auch nicht mehr ernähren können", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf.

Die Sportschau enthüllte vor wenigen Monaten Vorwürfe gegen den Besitzer des WM-Quartiers der deutschen Nationalmannschaft in Katar. Arbeiter, die auf anderen Liegenschaften der Firma beschäftigt waren, beschwerten sich über ausbeuterische Bedingungen. Die Firma soll die Informationen ignoriert haben. DFB-Präsident Neuendorf musste zugeben, von diesen Vorwürfen nichts gewusst zu haben. Die WM wird auch zur Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit der Fußballverbände.

"Es ist wichtig, dass die Fußballwelt anerkennt, dass wir eine Verantwortung haben", sagt Lise Klaveness. "Wir haben einen langen Weg vor uns, gemessen an der Weltmeisterschaft in Katar. Für den Fußball wird es sehr wichtig sein, dass Mannschaften und Persönlichkeiten ihren Einfluss nutzen. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, aber um die Richtung nach der WM vorzugeben. So dass doch eine Art Vermächtnis bleibt."

Vierteilige Dokuserie im WDR-Hintergrundmagazin "Sport inside"

Tausende tote Gastarbeiter, undurchsichtige Vergabeverfahren, Boykott-Diskussionen: Die Fußball-WM in Katar ist eines der kontroversesten Sportereignisse unserer Zeit. Das WDR-Investigativformat "Sport inside" recherchiert bereits seit 2010 zu den Hintergründen dieser WM. Die vierteilige Doku-Serie "Katar - WM der Schande" und der Podcast "Die WM-Sklaven - Katar und die Geschichte der Gastarbeiter" zeigen die Ergebnisse dieser langjährigen Recherchen. Die Serie ist ab dem 7. Oktober in der ARD Mediathek und der Podcast ab 4. November in der ARD Audiothek verfügbar.