Fußball | Belgien Union Saint-Gilloise - das belgische Fußball-Wunder ist nah

Stand: 25.01.2022 12:40 Uhr

In Belgien bahnt sich eine der größten Überraschungen im europäischen Fußball an. Aufsteiger Union Saint-Gilloise führt völlig überraschend mit großem Vorsprung die Tabelle der ersten Liga an und könnte sich für die Champions League qualifizieren.

Südwestlich vom Stadtzentrum Brüssels liegt der Ortsteil Saint-Gilles. Dort hat der Fußballklub Royale Union Saint-Gilloise sein Zuhause. Das Stadion Joseph Marien ist eine wunderschöne Fußballanlage im Duden Park, mit einer hundertjährigen Backsteinfassade und einer Haupttribüne mit Sitzen aus Holz. Gebaut wurde das Stadion im Jahr 1919.

Bei den Olympischen Sommerspielen 1920 in Antwerpen war das Stadion einer der Austragungsorte im Fußball, die spanische Nationalmannschaft absolvierte dort gegen Dänemark ihr allererstes Länderspiel überhaupt.

Erstmals seit 1973 wieder erstklassig

Zu Zeiten des Stadionbaus zählte Royale zu den besten Fußballmannschaften Belgiens. 1897 gegründet holte man bis 1935 elfmal den nationalen Titel - bis heute haben nur Anderlecht und Brügge mehr Meisterschaften eingefahren. Es ist ein bisschen wie mit Schalke 04, denn seither wartet man in Saint-Gilles auf die Meisterschaft. Im Gegensatz zu den aktuell zweitklassigen Schalkern könnte sich das bei St. Gilloise schnell ändern.

Im vergangenen Sommer stieg der Stadtteil-Klub wieder in die erste belgische Liga auf - nach einer langen Durstrecke von fast 50 Jahren, in der es zeitweise sogar bis in die Niederungen der 4. Liga hinunter ging. Nun aber steht der Aufsteiger völlig überraschend an der Tabellenspitze, mit einem satten Vorsprung von neun Punkten vor renommierten Klubs wie dem amtierenden Meister FC Brügge, dem FC Antwerpen und dem großen Nachbarn RSC Anderlecht.

Elf Spieltage sind noch zu absolvieren - dann wäre eine der größten Überraschungen im europäischen Fußball perfekt.

Keine teure Startruppe

Eine Überraschung auch deshalb, weil es sich bei den "Königlichen" nicht um eine zusammengekaufte Truppe handelt, sondern um ein Team, das mit Weitsicht und ohne Starspieler zusammengestellt worden ist.

Der märchenhafte Aufstieg des Traditionsklubs begann im Sommer 2018, als der Engländer Tony Bloom bei "RUSG" als Investor einstieg. Bloom, der seine Millionen mit Sportwetten und Pokerspielen macht, ist auch Besitzer des Premier-League-Klubs Brighton & Hove Albion. Auf der Suche nach einem zweiten Klub wurde er in Saint Gilles fündig, auch weil er sich in das historische Stadion verliebt hatte.

Aus dem Tagesgeschäft hält sich Tony Bloom weitestgehend heraus, das übernehmen Klubpräsident Alex Muzio und der irische Sportdirektor Chris O'Laughlin sowie der belgisch-italienische Trainer Felice Mazzu, der vor anderthalb Jahren den ehemaligen Bundesliga-Stürmer Thomas Christiansen (VfL Bochum, Hannover 96) ablöste.

Den Push aus der 2. Liga genutzt

Die drei schafften es, ohne viel Geld ein buntes Team aufzubauen. "Es hatte schon zu Zweitligazeiten alles Hand und Fuß, was bei der Kaderzusammenstellung gemacht worden ist", sagt Carsten Lübke, Redakteur beim deutschsprachigen "Grenzecho." Während sich die renommierte Konkurrenz aus Anderlecht, Brügge und Antwerpen zu Saisonbeginn noch finden musste, startete Royale Union bereits durch. "Mit dem Push aus der 2. Liga konnte Union ordentlich Druck machen", so Lübke.

Leistungsträger sind Kapitän Teddy Teuma aus Malta, der Däne Casper Nielsen sowie der torgefährliche Dante Vanzeir. Andere - vornehmlich Leihspieler und ablösefreie Profis - kommen aus Polen, Madagaskar und Luxemburg. Zudem gibt es eine Kooperation mit Brighton.

Vor allem kämpferisch überzeugt das Team von Trainer Mazzu. "Ich habe wirklich eine verrückte Mannschaft", sagte der Coach jüngst nach dem 2:1-Sieg gegen Genk, der erst in der zehnten Minute der Nachspielzeit sichergestellt wurde.

Große Entdeckung Deniz Undav

Eine der ganz großen Entdeckungen ist Deniz Undav, gebürtig aus Achim im Landkreis Verden. In der Jugend von Werder Bremen wurde der 25-jährige Stürmer angeblich mit dem Etikett "zu klein" fortgeschickt. Er spielte für den TSV Havelse, Eintracht Braunschweig II und SV Meppen in der 3. Liga, wo er in einer Saison immerhin 17 Tore schoss.

Jetzt führt Undav die Torschützenliste der belgischen Liga mit 18 Toren an und träumt vom großen Coup . "Als in Meppen mein Vertrag auslief, gab es Interesse aus der ersten und zweiten Liga in Deutschland, aber keiner wurde konkret", sagte er in einem Interview mit "Sport1". Royale Union hätte sich dagegen intensiv um ihn bemüht. 

Jetzt Topspiele gegen Brügge und Anderlecht

Wo soll der Weg von Deniz Undav und seinem Team hinführen? "Alle dachten doch vor der Saison 'Die werden eh viele Spiele verlieren', aber wir haben an uns geglaubt und gezeigt, wie stark wir sind", so der Stürmer. Jetzt ginge es noch darum, "das Märchen zu Ende zu schreiben".

Die nächsten Kapitel stehen am Donnerstag (26.1.2022) und Sonntag an. Dann geht es in die Topspiele gegen Brügge und den Ortsrivalen RSC Anderlecht. Sollte Royale Union auch da bestehen, darf man sich langsam mit dem Happy End dieses ungewöhnlichen Fußball-Märchens beschäftigen.