Zwei Wochen Nations League am Stück - am Fußballsommer 2022 werden eine Überlastung der Spieler, eine Überbewertung der Spiele und eine Übersättigung der Fans kritisiert. Doch wie kam es zu diesem Spielplan? Von Chaled Nahar "Vier Spiele sind einfach zu viel nach so einer langen Saison", sagte Bundestrainer Hans Flick. "Man sollte sich dem Ganzen annehmen und hinterfragen: Wie kann man den Spielern eine Pause gönnen?" Mit seiner Kritik steht Flick nicht alleine da. De Bruyne: "Das sind nur hochgejubelte Freundschaftsspiele" "Die Nations League ist in meinen Augen unwichtig", sagte der belgische Nationalspieler Kevin De Bruyne. "Das sind nur hochgejubelte Freundschaftsspiele, ich freue mich nicht darauf." Der niederländische Verteidiger Virgil van Dijk sprach die Verletzungsgefahr nach der Saison an, den Spielplan der Nations League nannte er "seltsam". Und Frankreichs Verbandspräsident Noel Le Graet sagte: "Dieser Kalender ist der Wahnsinn. Es gibt zu viele Spiele." Der "Wahnsinn" ist vor allem eine Folge der Verlegung der WM in Katar ans Jahresende, das Turnier findet vom 21. November bis 18. Dezember statt. Die WM im Winter, die Nations League im Sommer Die beiden sonst üblichen Länderspielfenster im Oktober und November entfallen in diesem Jahr wegen der WM. Damit blieben der UEFA nur der Sommer und das Fenster im September, um die Gruppenspiele der Nations League auszutragen, die sonst im September, Oktober und November stattgefunden hätten. 14 Tage lang laufen nun jeden Tag die Spiele der Nations League, 103 Partien sind es. Sportlich ist der Wettbewerb keinewegs wertlos: Playoff-Plätze in der EM-Qualifikation werden vergeben, die Setzliste für die Gruppenauslosung der EM-Qualifikation wird ebenfalls in der Nations League ermittelt. Aber sollte man dafür die Spieler, von denen sich manche an der Belastungsgrenze befinden, in vier weitere Spiele schicken? Die Kritik von Spielern und Trainern richtet sich deutlich an die UEFA. Kaum ein Verband erhob öffentlich Widerworte Die UEFA ist allerdings auch die Summe ihrer Bestandteile, der Nationalverbände. Und die hätten die Möglichkeit gehabt, Einfluss zu nehmen. Ein Organ der UEFA heißt "Kommission für Nationalmannschaftswettbewerbe". Dieses Gremium gibt laut UEFA beispielsweise "Empfehlungen betreffend Änderungsvorschläge für die bestehenden Nationalmannschaftswettbewerbe" ab. Hier ist Deutschland mit Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff vertreten. Frankreich, die Niederlande und Belgien halten in dem Gremium ebenfalls jeweils einen Sitz. Etwaige Änderungsvorschläge der Kommission bespricht und entscheidet das UEFA-Exekutivkomitee, in dem der DFB über Rainer Koch vertreten ist. Auch die Niederlande haben dort mit Just Spee ein Mitglied, Frankreichs Verbandspräsident Le Graet sitzt für die UEFA einflussreich im FIFA-Rat. Bierhoff sagte unmittelbar vor dem zweiwöchigen Nations-League-Fenster, der Wettbewerb habe "an Bedeutung gewonnen, an Prestige", auch wenn er nicht mit WM und EM vergleichbar sei. Zumindest in der Öffentlichkeit wurden auch aus anderen Verbänden keine Widerworte bekannt, als das UEFA-Exekutivkomitee im September 2021 die Rahmenbedingungen der Nations League 2022/23 inklusive der aktuellen zwei Wochen am Stück beschloss. Nations League ist wirtschaftlich bedeutsam geworden Ein Grund könnte sein: das Geld. Im Finanzjahr 2020/21 verbuchte die UEFA Einnahmen in Höhe von 5,7 Milliarden Euro - ein Rekordwert in der Geschichte der Organisation. 647 Millionen davon brachte dabei die Nations League gemeinsam mit den EM-Qualifikationsspielen und Freundschaftsspiele ein. In diesem Bereich gab es wegen der Einführung der Nations League eine enorme Steigerung. Und dieses Geld landet zum größten Teil bei den Nationalverbänden. Der DFB wies 2019 rund 60 Millionen Euro und 2020 rund 49 Millionen Euro als Ertrag der A-Nationalmannschaft aus - ein beträchtlicher Anteil davon stammt aus der Nations League. Als der Fußball in der Pandemie erst ganz ruhte und später zunächst ohne Fans in den Stadien ausgetragen wurde, wehrte sich kein Verband gegen diese Einnahmen. Das Grundproblem fasste UEFA-Turnierdirektor Martin Kallen im Sommer 2020 in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung zusammen. "Es käme uns teuer zu stehen, wenn wir eine Nations-League-Runde absagen müssten", sagte Kallen. Über 100 Millionen Euro pro Spieltag der Nations League seien das. "Wenn wir keinen Ersatz finden, müssen wir das den Fernsehanstalten zurückerstatten." Geld, das auch in der aktuellen Ausgabe des Wettbewerbs der UEFA fehlen würde - und damit den Nationalverbänden. Ein kompletter Verzicht auf die Nations League würde wohl kaum auf Zustimmung treffen. Entlastung für die Spieler nicht in Sicht - im Gegenteil Während sich viele Fans zumindest den TV-Quoten zufolge offensichtlich noch nicht abwenden, sind viele Spieler müde. Die internationale Spielergewerkschaft FIFPRO warnt stets vor der Überlastung. Luka Modric von Real Madrid beispielsweise habe Ende 2020 in Serie 24 Spiele absolviert, zwischen denen jeweils nie mehr als fünf Tage Pause lagen, teilte FIFPRO in einer Erhebung zur Belastung von Spielern mit. "Wir sind Sportler, keine Maschinen. Unser Körper und unser Geist haben natürliche Grenzen", heißt es in einem von mehreren Spielern unterzeichneten Vorwort. TV-Zuschauer Nations LeagueSpielDurchschnittSenderItalien - Deutschland5,97 Mio.RTLDeutschland - England8,81 Mio.ZDFUngarn - Deutschland6,62 Mio.RTL Dass sich an diesen Verhältnissen etwas ändert, ist nicht abzusehen - im Gegenteil. Eine Ausweitung der Champions League um 64 Spiele ab der Saison 2024/25 ist beschlossen, auch die Europa League und die Conference League werden ab Herbst 2024 vergrößert. In dieser Zeit gibt es weitere Termine: Die Gruppenspiele der Nations League 2024/25 dürften dann wieder in den üblichen Länderspielfenstern im September, Oktober und November ausgetragen werden.