Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg

Zwischenziel EM-Halbfinale erreicht Voss-Tecklenburg atmet durch - und will mehr

Stand: 24.07.2022 17:43 Uhr

Die Forderung, Deutschland wieder unter die besten vier Nationen Europas zu führen, hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei der EM in England bereits erfüllt. Doch sie wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht Größeres im Sinn hätte.

Von Florian Neuhauss (London)

Was ihre Trainerin besonders auszeichnet? Da müssen Laura Freigang und Giulia Gwinn nicht lange überlegen: "Sie will immer gewinnen", sagt die eine. "Wirklich immer - auch beim Kartenspielen", die andere.

"Es war nicht immer einfach. Mich freut es einfach für sie und auch uns, dass jetzt funktioniert, dass die Räder ineinandergreifen", betont Freigang und schließt aus der deutschen Siegesserie: "Das heißt, dass es ihr gerade ganz gut geht."

Martina Voss-Tecklenburg war eine herausragende Fußballerin. Als Spielerin mit ihren Clubs sowieso, aber auch in der Nationalmannschaft, mit der die Offensivspielerin 1995 Vize-Weltmeisterin und viermal Europameisterin wurde. Da ist ihr Ziel für die EM in England klar: "Wir wollen in Wembley auflaufen", betont die 54-Jährige - an dem Ort, wo das Endspiel stattfindet. Doch vorher geht es wie schon im dritten Gruppenspiel nach Milton Keynes, am Mittwoch (27.07.2022) wartet im Halbfinale Frankreich.

Umdenken nach dem WM-Aus 2019

Zweimal in Folge hatte Deutschland zuletzt im Viertelfinale die Segel streichen müssen. 2017 bei der EM in den Niederlanden unter Steffi Jones. Zwei Jahre später beim ersten großen Turnier unter MVT bei der WM in Frankreich. "Es war wichtig, dass wir diesen Bann jetzt brechen", freut sich Gwinn und berichtet: "Von Martina ist viel abgefallen in dem Moment, weil sehr viel Druck auf ihren Schultern lastet. Sie hatte nach dem Spiel gegen Österreich keine Stimme mehr. Sie ist immer so voller Leidenschaft."

Das Aus gegen die Schwedinnen (1:2) in Frankreich hat bei der Bundestrainerin zu Veränderungen geführt. In der Analyse kam sie zu dem Schluss: "Ich habe unbewusst die eine oder andere überfordert." Sie habe zudem festgestellt, "dass es mir nicht hilft, wenn ich zu angespannt oder verkrampft bin".

Doch der richtige Weg zwischen Anspannung und Lockerheit blieb ein schmaler. Beim Thema Belastungssteuerung schoss sie zum Beispiel über das Ziel hinaus, besser gesagt: blieb weit darunter. Bei den Lehrgängen fühlten sich die Spielerinnen wiederholt unterfordert, wie sie in der Dokumentation "Born for this" berichteten. Es gab eine Aussprache und einen großen Schritt zu mehr Kommunikation zwischen Voss-Tecklenburg und ihrem Trainerteam auf der einen und dem Mannschaftsrat und den übrigen Spielerinnen auf der anderen Seite.

Lobende Worte von der Kapitänin und vom Sportlichen Leiter

"Es tut den Spielerinnen gut, dass sie nicht das Gefühl haben, die Martina steht da immer mit dem erhobenen Zeigefinger und findet Dinge nicht gut, die sie gerade machen", hat die Fußball-Lehrerin erkannt. Und Kapitänin Alexandra Popp stellt zufrieden fest: "Es gelingt viel besser, uns Spielerinnen mit ins Boot zu nehmen. Das hatten wir in der Vergangenenheit nicht so."

Es tut den Spielerinnen gut, dass sie nicht das Gefühl haben, die Martina steht da immer mit dem erhobenen Zeigefinger und findet Dinge nicht gut, die sie gerade machen.
Martina Voss-Tecklenburg

Das hat auch Panagiotis "Joti" Chatzialexiou festgestellt. "Sie hat über die drei Jahre jetzt eine andere Beziehung aufgebaut zu den Spielerinnen und das zahlt sich sehr aus", freut sich der Sportliche Leiter Nationalmannschaften beim DFB, der betont, dass Voss-Tecklenburg auch schon bei der WM 2019 "einen super Job gemacht" habe.

Chatzialexiou glaubt allerdings, dass die Bundestrainerin jetzt "in einer besseren Balance" sei: "Ich nehme sie sehr fokussiert wahr, aber trotzdem mit einer gewissen Lockerheit." Ein ganzes Turnier in Anspannung zu absolvieren, sei nicht möglich. "Wir brauchen auch Spielfreude auf dem Platz. Und wenn das nicht vom Trainerteam vermittelt wird, wird es auch nicht so funktionieren, wie wir uns das vorstellen."

Taktische Kniffe gehen in England voll auf

Fest steht: Voss-Tecklenburg erreicht ihre Spielerinnen. Die Erfolgs-Taktik erscheint maßgeschneidert. Hohes Pressing gegen Dänemark, eine konzentrierte Defensive in Verbindung mit offensiven Nadelstichen gegen Spanien, die absolute Spielkontrolle gegen Finnland und das Knacken der österreichischen Defensive über die Außenbahnen und das Anlaufen der Torhüterin - vier Spiele, vier Zu-null-Siege. "Wenn die Spielerinnen sehen, dass das, was wir uns vorgenommen haben, funktioniert, gibt es ihnen zusätzliche Sicherheit", weiß die Bundestrainerin.

Fotos vom Enkelkind geben Voss-Tecklenburg Kraft

In ihrer aktiven Zeit hat sie sich gegen ganz besondere Widerstände durchsetzen müssen. Nach der Geburt ihrer Tochter musste sie sich immer wieder rechtfertigen, warum sie als alleinerziehende Mutter ihre Karriere fortsetzt. Das hat nicht nur mental Kraft gekostet.

Doch mittlerweile ist es nicht zuletzt die Familie, die ihr dieser Tage wichtige Kraft gibt. Auf der einen Seite ihr Ehemann, zu dem sie im Stadion (zumindest Blick-) Kontakt aufnimmt. Auf der anderen Seite aber auch ihre Tochter, die die Bundestrainerin vor vier Monaten zur Oma gemacht hat und ihre Mutter regelmäßig mit Fotos des Babys versorgt. "Dann geht es mir gut", verrät Voss-Tecklenburg und lächelt.

Halbfinal-Vorgabe bereits erreicht - Final-Traum lebt

Auch wenn es jetzt bei der EM um alles geht, kann sie eigentlich ganz locker sein. "Oliver Bierhoff hat das Ziel ausgegeben, unter die besten vier Nationen zu kommen", berichtet die Bundestrainerin über die Vorgabe des DFB-Geschäftsführers Nationalmannschaften. "Das haben wir schon mal geschafft. Das gibt uns Energie. Und wir können stolz sein."

Doch Voss-Tecklenburg strebt natürlich nach mehr. "Wir werden am Mittwoch alles, was in uns steckt, geben", verspricht sie am Samstagabend (23.07.2022), direkt nachdem der Gegner feststand und fügt hinzu: "Wir hoffen, dass Frankreich auch Respekt hat vor unserer gezeigten Leistung. Es wird ein Spiel auf Augenhöhe, Kleinigkeiten werden es wahrscheinlich entscheiden."

Und gewinnen will das Duell natürlich nicht nur die Bundestrainerin. "Erst mal kommt jetzt das Halbfinale. Aber das Finale rückt immer näher, wir sind nur noch einen Schritt davon entfernt", sagt Gwinn. "Und das ist der Traum einer jeden einzelnen von uns."