Fußball | WM-Qualifkation Italien in den WM-Playoffs - Angst vor dem Déjà-vu

Stand: 23.03.2022 13:23 Uhr

Auch Europameister Italien muss in der WM-Qualifikation in die Playoffs. Vor dem Spiel am Donnerstag (23.03.2022) gegen Nordmazedonien wachsen die Sorgen der Tifosi.

Von Jörg Seisselberg (Rom)

Es gab schon mehr Optimismus im Land. Von "Tagen des Leidens", schreibt der "Corriere della Sera" vor dem Playoff-Spiel gegen Nordmazedonien. "Nur noch Erinnerung" ist für die "Repubblica" der Europameisterschaftstriumph vor acht Monaten. Und die "Gazzetta dello Sport" warnt, Italiens Fußballnationalmannschaft könne auf dem Weg nach Katar abstürzen, "vom EM-Enthusiasmus in die Enttäuschung".

Der Pulsschlag des fußballbegeisterten Landes signalisiert Sorge. Die Magie des für Italien märchenhaften EURO-Sommers ist verflogen, die Befürchtung, zum zweiten Mal in Folge eine Weltmeisterschaft zu verpassen, ist greifbar.

Playoffs 2017 - an Schweden gescheitert

Auch, weil das Trauma von 2017 nachwirkt, die Tränen Gigi Buffons nach dem Ausscheiden Italiens im Playoff gegen Schweden. Kaum jemand hatte damals geglaubt, dass die stolze "Squadra Azzurra" in der WM-Qualifikation scheitern könnte. Jetzt verstärken die zuletzt wenig überzeugenden Auftritte des Europameisters die Angst vor einem Déjà-vu. Zumal nach einem möglichen Sieg gegen Außenseiter Nordmazedonien noch ein Playoff-Finale gegen Cristano Ronaldos Portugal oder die Türkei anstünde.

Nationaltrainer Roberto Mancini gibt sich dennoch unbeirrt. Im Trainingszentrum Coverciano lässt der 57-Jährige wissen: Italien werde sich für die Weltmeisterschaft nicht nur qualifizieren, sondern dort dann auch gleich den Titel gewinnen. Ziemlich selbstbewusst für den Coach einer Mannschaft, die die direkte Qualifikation verpasst hat, weil es im letzten Spiel gegen Nordirland (Platz 54 der FIFA-Weltrangliste) nur zu einem 0:0 reichte. Und die die Schweiz in der Gruppe vorbeiziehen lassen musste, weil zweimal kein Sieg gelang.

Nach-EURO-Blues

Die "Squadra Azzurra" sucht seit dem Triumph in Wembley ihre Form – und hat sie bis heute nicht wiedergefunden. Auch Mancini hat noch keine Antwort gefunden auf den italienischen Nach-EURO-Blues.

Ein Problem: Die "Squadra Azzurra" hat derzeit gerade dort Schwierigkeiten, wo sie im vergangenen Sommer besonders stark war. Das Europameisterschaftsteam, von Mancini auf offensiven, dominanten Fußball getrimmt, rotierte um eine verlässliche Achse. Torwart Gianluigi Donnarumma war eine Bank, wurde als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet. Das ikonische Verteidigerduo Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci wirkte unüberwindlich. Im Mittelfeld stieg Jorginho zu "Europas Fußballer des Jahres" auf. Und vorne staunte Fußball-Europa über die Tore und die Dynamik des jungen Enrico Chiesa und die Zaubertechnik Lorenzo Insignes.

Verletzungen und Formkrisen

Und jetzt? Die wichtigsten EURO-Helden sind verletzt oder außer Form. Donnarumma zeigt bei Paris St.Germain weiche Knie und flutschige Finger. Chiellini und Bonucci hangeln sich von einer Verletzung zur nächsten, Jorginho liefert weniger verlässlich ab als in der Vergangenheit, und für Chiesa ist nach seinem Kreuzbandriss an Fußballspielen derzeit nicht zu denken, Insigne kämpft mit Formkrisen und Verletzungen.

Da andererseits wenig nachgewachsen ist in Italiens Fußball während der Saison, setzt Mancini notgedrungen auf EURO-Bewährtes. Mit Jorginho, Nicolò Barella und Marco Verratti im Mittelfeld, sowie Lorenzo Insigne, Ciro Immobile und Domenico Berardi im Angriff. Die größten Sorgen hat der "Commissario Tecnico" derzeit dort, wo Italien traditionell eigentlich nie Sorgen hat – in der Abwehr.

Hoffen auf den Mancini-Effekt

Für das Spiel gegen Nordmazedonien werden sowohl Chiellini als auch Bonucci wohl nicht rechtzeitig fit. Rechtsverteidiger Giovanni Di Lorenzo aus Neapel hat sich kurzfristig ebenfalls verletzt abgemeldet. Und Leonardo Spinazzola, der Mann auf der linken Außenbahn, ist nach seinem Achillessehnenriss immer noch Rekonvaleszent. Italien muss mit einer B-Abwehr in die Alles-oder-Nichts-Spiele.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen alten-neuen Mancini-Effekt. Der Trainer hat es nach seinem Amtsantritt fast immer geschafft, dass seine Auserwählten im Nationalteam stärker spielten als im Verein. Die WM-Playoffs wären aus italienischer Sicht ein guter Zeitpunkt, um den Mancini-Effekt wiederzubeleben.

An ausreichend Unterstützung im Heimspiel gegen Nordmazedonien dürfte es der "Squadra Azzurra" nicht mangeln. Das Stadio Barbera in Palermo wird mit 31.000 Zuschauern ausverkauft sein. Auch dank einer Ausnahmegenehmigung der Regierung. Laut Covid-Regeln ist derzeit in Italien nur eine 75-Prozent-Auslastung der Stadien möglich. Extra für das Playoff gegen Nordmazedonien aber hat die Sportstaatssekretärin und Fecht-Olympiasiegerin Valentina Vezzali eine Verfügung unterzeichnet, mit der nur für dieses Spiel 100 Prozent Auslastung erlaubt werden. Bis hoch in die Regierung ist in Italien die Anspannung vor diesem Spiel zu spüren.