Vincenzo Grifo im Sportschau-Interview Vincenzo Grifo - "Italien hat einen richtig guten Lauf"

Stand: 10.06.2021 05:00 Uhr

Freiburgs Vincenzo Grifo stand im vorläufigen EM-Kader Italiens, wurde dann aber aussortiert. Im Sportschau-Interview spricht er über seine Enttäuschung, Trainer Roberto Mancini und den Kader.

Sportschau: Herr Grifo, Sie waren im vorläufigen EM-Kader Italiens, haben es aber dann doch nicht ins Aufgebot geschafft. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?

Vincenzo Grifo: Natürlich war ich enttäuscht, und ich habe auch zwei, drei Tage gebraucht, um das zu verdauen. Ich habe das ganze Jahr auf dieses Ereignis hingearbeitet, dank der Mithilfe meiner Freiburger Kollegen auch eine gute Saison gespielt. Da habe ich natürlich gehofft, dass mein Traum von der EM wahr wird. Ich habe aber eine ganz tolle Familie, die genau weiß, was sie machen muss, damit es mir wieder besser geht. Und jetzt geht es mir wieder gut.

Sportschau: Sie verfolgen den Start der EM nun bei Ihrer Familie in Italien. Sehen Sie sich noch als Teil der "Squadra Azzurra"?

Grifo: Ich gehöre zu den 32 besten Spielern Italiens, war im vorläufigen Kader, natürlich fühle ich mich so, als wäre ich nach wie vor ein Teil der Mannschaft. Es wird wehtun, die ersten Spiele zu sehen und nicht dabei zu sein, aber es ist auch schön, in Italien zu sein und zu sehen, wie die Leute hier - natürlich sofern es unter Corona-Bedingungen möglich ist - feiern.

Sportschau: Wie wurde Ihnen das Aus erklärt?

Grifo: Trainer Roberto Mancini hat mich angerufen und das begründet. Er hat auch gesagt, dass er weiß, dass ich eine gute Saison gespielt habe und dass die Entscheidung ihm sehr schwer gefallen sei. Das glaube ich ihm auch, ich habe ihm viel zu verdanken. Dank ihm bin ich italienischer Nationalspieler, das ist nicht selbstverständlich als Bundesligaspieler, gerade auch, weil ich nicht in Italien geboren wurde.

Sportschau: Was ist Mancini für ein Trainer-Typ?

Grifo: Ein toller und sympathischer. Er hat viel Erfahrung und weiß genau, wie er mit Menschen umgehen muss. Ihm ist bewusst, dass er viele unterschiedliche Charaktere in der Mannschaft hat und geht genau auf jeden einzelnen ein, soweit ihm das möglich ist. Mancini hat so unheimlich viel Atmosphäre und Charme in diese Mannschaft gebracht, deswegen sind wir ja auch auf einem so guten Weg. Die Spieler würden für ihn durchs Feuer gehen.

Sportschau: Wie tritt Italien unter Mancini taktisch auf?

Grifo: Es ist ja bekannt, dass wir Italiener taktisch unglaublich gut geschult sind, darauf legt er auch einen großen Wert. Wir wollen kompakt und eng stehen. Aber wir wollen auch guten Offensivfußball spielen, wir haben für beides ja auch die Spieler und beim 7:0 gegen San Marino sowie dem 4:0 gegen Tschechien in der Vorbereitung gezeigt, dass wir sowohl viele Tore schießen als auch hinten dicht stehen können.

Sportschau: Früher war das italienische Team gespickt von Weltstars wie Roberto Baggio, Alessandro del Piero oder Andrea Pirlo. Heute gibt es nicht mehr den einen Top-Spieler.

Grifo: Naja, wenn man in Italien nach Spielern wie Lorenzo Insigne, Jorginho oder Nicolo Barella fragt, kennt die schon jeder. Und Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci kennen auch in Europa alle Fußball-Fans. Aber es stimmt schon, dass in der Mannschaft nicht der eine große Star dabei ist, vielleicht ist das aber gar nicht so verkehrt. Das sind aber alles herausragende Fußballer, das können sie nun bei der EM zeigen.

Sportschau: Was macht den Kader aus?

Grifo: Das Team hat eine unheimlich gute Mischung. Wir haben viel Erfahrung mit Spielern wie Chiellini und Bonucci, dann unheimlich gute junge Spieler wie Barella oder Gianluigi Donnarumma im Tor, dazu Spieler im besten Fußballer-Alter wie Jorginho, Insigne und Ciro Immobile. Mit dieser Mannschaft können wir etwas Großes schaffen.

Sportschau: Gehört Italien zu den Favoriten auf den Titel?

Grifo: Wir haben einen richtig guten Lauf, seit September 2018 kein Spiel mehr verloren und sind voller Euphorie. Zudem ist ja bekannt, dass Italien eine Turniermannschaft ist. Wir haben mit der Schweiz, Türkei und Wales eine starke Gruppe, und wenn wir die überstehen, können wir alles schaffen.

Sportschau: Was ist das Geheimnis der Mannschaft?

Grifo: Wir Italiener sind ja grundsätzlich sehr familiär. So ist es auch in diesem Team. Die Chemie und Atmosphäre stimmt, darauf wird auch sehr viel Wert gelegt. So war es auch früher, und so war Italien immer am erfolgreichsten. Das italienische Team ist eine große Familie.

Sportschau: Wie würden Sie diese Mannschaft mit der deutschen vergleichen. Viele Spieler kennen Sie ja aus der Bundesliga.

Grifo: Ich denke, dass beide Mannschaften auf Augenhöhe sind, und zwar auf einem sehr hohen Niveau. Auch Deutschland hat diese Mischung aus Erfahrung, gerade jetzt mit Mats Hummels und Thomas Müller, und jungen Spielern wie Serge Gnabry, Kai Havertz oder Timo Werner. Die Teams sind sich von den Voraussetzungen her schon sehr ähnlich.

Das Interview führte Sebastian Hochrainer