Fußball | FIFA Kommentar: Ein FIFA-Kongress, der das Blut in den Adern gefrieren lässt

Stand: 31.03.2022 19:40 Uhr

FIFA-Präsident Gianni Infantino schafft es auf dem FIFA-Kongress, sich zu nichts zu positionieren - nicht zum Ukraine-Krieg, nicht zu einem möglichen Ausschluss Russlands, nicht zu WM-Ausrichter Katar. Kritik perlt einfach ab. Ein Kommentar.

Von Joerg Strohschein

Als der ukrainische Verbandspräsident Andrij Pawelko - bekleidet mit einer schusssicheren Weste - mit einer eindringlichen Videobotschaft mitten aus dem Kriegsgebiet beim FIFA-Kongress in Doha gezeigt wurde, hätte den Delegierten eigentlich das Blut in den Adern gefrieren müssen.

Stattdessen: höflicher Beifall und der schnörkellose Übergang von FIFA-Präsident Gianni Infantino zur Tagesordnung. "Gibt es weitere Fragen oder Anmerkungen? Das ist nicht der Fall", stellte der Schweizer lapidar fest. Wie auf der jährlichen Kaninchenzüchterversammlung. So routiniert wie emotions- und belanglos.

Unten im Auditorium saß die russische Delegation, die, anders als die ukrainische, in Katar vor Ort sein konnte, und hörte, dass sie weiterreichende Konsequenzen wegen des Angriffs auf die Ukraine nicht befürchten muss. Denn über einen Ausschluss Russlands wurde erst gar nicht abgestimmt.

Die Russen dürfen zwar derzeit nicht an FIFA-Wettbewerben teilnehmen, damit scheint das Strafmaß aus Sicht der weltweiten "Fußball-Familie" erst einmal ausgeschöpft zu sein. Während nahezu die gesamte Welt scharfe Sanktionen für Wladimir Putin und seine Helfer ausgesprochen hat. So überraschend wie beschämend.

Widerspruch ganz im Sinne des FIFA-Präsidenten

Schon früh bei seiner Begrüßungsrede hatte Infantino deutlich gemacht, dass er eine Bewertung der Rolle Russlands im Krieg gegen die Ukraine meiden wird wie der Teufel das Weihwasser. Der FIFA-Chef beklagte, dass es derzeit an mehreren Orten Krieg auf der Welt gebe und man die Menschen und das Leid überall nicht vergessen dürfe. Dieser Hinweis ist natürlich berechtigt. Doch seine mitfühlenden Worte sind bewusst so unkonkret wie möglich gewählt.

Damit vermeidet Infantino auch nur die kleinste Positionierung im Fall des russischen Überfalls auf die Ukraine. Schließlich hatte er die vergangene WM 2018 in Russland organisiert. Und einen ehemaligen Partner kritisiert man doch nicht. In dieser ebenso bewusst gewählten wie verräterischen Beliebigkeit seiner Worte hat sich der FIFA-Chef gut eingerichtet.

Das zeigte sich auch bei der dann folgenden Rede der norwegischen Verbandschefin Lise Klaveness. Klaveness sprach die offenen Menschenrechtsfragen beim kommenden WM-Ausrichter Katar klar und deutlich an, was bei der FIFA fast schon ein einmaliger Vorgang ist. Auch die blutigen Auseinandersetzungen in der Ukraine betitelte sie als einen "brutalen Krieg".

Und was passiert dann? Anstelle des Präsidenten selbst kommt die Replik von einem Funktionär aus Honduras. Dieser deutete Klaveness vom Rednerpult, dass es doch vor allem um Fußball und nicht um Politik gehe. Also: Augen zu und durch. Ganz im Sinne des FIFA-Präsidenten.

Keine gesunde Distanz zu den Partnern

Und Infantino? Der lobte die Fortschritte, die es in Sachen Menschenrechte in Katar zuletzt gegeben haben soll, von denen Menschenrechtsorganisationen aber bisher offenbar nichts wissen. Er, der mittlerweile auch einen Wohnsitz in Katar hat, nannte den Regierungsvertreter des Emirats mehrfach "Bruder". Kritik perlt einfach an Infantino ab. War was?

Das alles macht deutlich, dass Infantino eine gesunde Distanz zu den (umstrittenen) Partnern vermeidet, vermutlich gar nicht erst vonnöten hält - egal, was diesen vorgeworfen wird. Wer mit der FIFA gute, hoch dotierte Verträge schließt, der ist in den Augen des Präsidenten offenbar sakrosankt. Auf immer und ewig. Dieser FIFA-Kongress ließ zumindest vielen neutralen Beobachtern das Blut in den Adern gefrieren.