Schiedsrichter Deniz Aytekin im Gespräch mit Jude Bellingham

Diskussion um Foul von Bellingham Wann gibt es Gelb-Rot, Herr Wagner?

Stand: 10.10.2022 14:18 Uhr

Deniz Aytekin sorgte im Topspiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern für Diskussionen. Nach einem Foulspiel des schon vorbelasteten Jude Bellingham an Alphonso Davies verzichtete der Unparteiische darauf, den Dortmunder mit einer weiteren Gelben Karte vom Platz zu stellen. Eine Entscheidung, die auch völlig anders ausfallen kann, wie der Schiedsrichter selbst nach dem Spiel zugab. Sportschau-Experte Lutz Wagner bezieht Stellung.

Von Raffael Reisdorf

"Wenn wir diese Szene ganz ohne Emotionen, ganz isoliert betrachten - dann ist es eine Gelbe Karte", gab Aytekin bei "Sport1" zu.

Doch was war passiert? Der bereits vorbestrafte Bellingham hatte Davies beim Versuch, den Ball zu behaupten, mit dem Fuß am Kopf getroffen. Der Außenverteidiger der Bayern wurde daraufhin ausgewechselt und musste mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden.

Jude Bellingham entschuldigt sich bei Alphonso Davies

Jude Bellingham entschuldigt sich bei Alphonso Davies

Laut Regelbuch ist die Aktion des 19-jährigen Engländers als "verbotenes Spiel" zu bewerten. Ein klares Foulspiel, das mit einer Gelben Karte zu ahnden ist - für Bellingham wäre die gleichbedeutend mit dem Platzverweis gewesen. Doch Aytekin ließ Gnade vor Recht walten und blieb bei einer Ermahnung.

Aytekin nutzte Ermessensspielraum

Bei der Begründung nach dem Spiel führte der 44-Jährige die erste Verwarnung an: "Er (Bellingham; d.Red.) hat bei seiner ersten Aktion eine 'Kann-Gelbe-Karte' gesehen. [...] Keine klassisch zwingende."

Aytekin - "Letzte Überzeugung gefehlt, daraus eine Gelb-Rote Karte zu machen"

Sportschau, 10.10.2022 14:21 Uhr

In Summe habe es dann für Aytekin nach dem zweiten Foul nicht für einen Platzverweis gereicht: "Es gab den Kontakt, klar, - aber mir hat die letzte Überzeugung gefehlt, dort auf Gelb-Rot zu gehen", rechtfertigte der Schiedsrichter die strittige Entscheidung.

"Einzeln ist das rein theoretisch eine Karte, aber im Spiel mit der Gesamtsituation" gebe es Spielräume, die "man auch ab und zu mal nutzen" müsse, sagte der 44-Jährige. "Ich verstehe absolut jeden Bayern-Fan, der die Situation isoliert betrachtet und sagt: Das ist eine Gelbe Karte."

Dortmunds Jude Bellingham

Jude Bellingham

Lutz Wagner: "Regeltechnisch ist es Gelb"

Doch genau die zückte Aytekin nicht. Der Spielleiter bewertete die Szene nicht losgelöst, sondern vor dem Hintergrund der gesamten Partie. Nach Ansicht des Sportschau-Experten Lutz Wagner ist das grundsätzlich ein guter Stil: "Dank seiner großen Erfahrung und seiner ausgeprägten Empathiefähigkeit sieht er das große Ganze. Er hat sich für die Gesamtspielleitung entschieden", so der 59-jährige Schiedsrichter-Lehrwart des DFB.

Wagner stellt zwar klar: "Rein regeltechnisch ist es Gelb und damit ein Platzverweis." Die Zweifel nach der ersten Verwarnung kann der ehemalige Schiedsrichter aber nachvollziehen: "Man ist geneigt, so eine Entscheidung dann nicht zu treffen." Für Wagner in der Folge eine "menschlich absolut verständliche Entscheidung".

Lutz Wagner während seiner aktiven Zeit als Schiedsrichter im Jahre 2010

Lutz Wagner während seiner aktiven Zeit als Schiedsrichter im Jahre 2010

Aytekin als empathischer Kommunikator

"Wir sind keine Roboter", erklärte Aytekin bei "Sport1". "Das ist genau das, was von uns verlangt wird - dass wir dieses Gefühl für das Spiel und für die Spieler haben." Der 44-Jährige zeigte sich selbstkritisch: "Vielleicht ist es ein Tick zu viel Empathie."

Doch ist der Leitungsstil des Schiedsrichters des Jahres 2022 deswegen falsch? ARD-Experte Wagner stellt sich hinter Aytekin: "Ich empfinde seine Art extrem wohltuend und vertrauenserweckend." Fehler seien Teil des Geschäfts, so Wagner. "Aber er erfährt auf Grund seines Stils eine sehr hohe Akzeptanz und das auch völlig zu Recht."