Fußball | Sportpolitik Amnesty stellt Katar vor WM miserables Zeugnis aus

Stand: 29.03.2022 01:01 Uhr

In ihrem neuen Report berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dass WM-Gastgeber Katar vor allem Reformen im Arbeitsrecht versprochen habe, die Umsetzung aber mangelhaft sei. Die schlechte Lage könne sich nach dem Turnier gar "weiter zuspitzen".

Wenige Tage vor der Gruppenauslosung am 1. April und knapp acht Monate vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft am 21. November geraten Katar und auch der Weltverband FIFA unter Druck. In ihrem am Dienstag (29.03.2022) veröffentlichten Report führt Amnesty International eine lange Mängelliste für den Gastgeber des Turniers auf.

Die von vielen Seiten, auch dem Deutschen Fußball-Bund, gespriesenen Fortschritte gerade hinsichtlich der Bedingungen für Gastarbeiter:innen gebe es nur auf dem Papier, so der Tenor. Die "bedenklichsten Elemente" des Kafala-Systems, das Arbeitsmigrant:innen an ihre Arbeitgeber binde, "tauchen wieder auf und untergraben die Reformen", heißt es in der speziell mit Blick auf die WM verfassten Analyse, die nun zum dritten Mal aktualisiert wurde. Die Fortschritte stagnierten, "alte ausbeuterische Praktiken gewinnen wieder die Oberhand".

"Skrupellosen Arbeitgeber:innen ausgeliefert"

Amnesty folgert: "Mit jedem Tag, der verstreicht, sind die Arbeitnehmer:innen im ganzen Land weiter skrupellosen Arbeitgeber:innen ausgeliefert, die sie mit Lohndiebstahl, unsicheren Arbeitsbedingungen und manchmal unüberwindbaren Hindernissen beim Arbeitsplatzwechsel konfrontieren."

Rückschlag für vermeintlichen Reformstaat

Der Report ist ein Rückschlag für die Bemühungen Katars, sich als Reformstaat darzustellen. Eine knappe Woche zuvor waren diese Bemühungen noch von der deutschen Regierung gelobt worden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sprach Katar sogar eine Vorreiterrolle im arabischen Raum zu. Der Politiker der Grünen war an den Persischen Golf gereist, um mit Katar über erhöhte Lieferungen von Flüssiggas zu verhandeln, durch die Deutschland unabhängiger von Geschäften mit Kriegstreiber Russland werden möchte.

Ähnlich wie Habeck argumentierte auch Oliver Bierhoff, der für die Nationalmannschaften zuständige Geschäftsführer beim DFB.

Auf seine Initiative hin hatten Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen die Nationalmannschaft während der Vorbereitung auf Länderspiele in Frankfurt am Main besucht, um sie über die Lage in Katar zu informieren und zu sensibilisieren. Über Inhalte des Besuchs wurde geschwiegen.

Nach Informationen der Sportschau gehörte Markus N. Beeko zur Delegation von Amnesty International. Der Geschäftsführer der deutschen Sektion stellte am Montag den mit einer Sperrfrist versehenen Report seiner Organisation vor.

Darin finden sich auch im allgemeinen Teil zu Katar kritische Passagen. "Frauen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI+) wurden sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben weiterhin diskriminiert", heißt es etwa, auch: "Die Behörden schränkten das Recht auf freie Meinungsäußerung 2021 weiterhin ein und nutzten vage formulierte Gesetze, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen."

Katar fordert Geduld ein

Das Regime in Katar und das Organisationskomitee der WM waren in den vergangenen Monaten bemüht, Kritiker:innen auch in informellen Gesprächen den Reformeifer und die Fortschritte darzulegen. Es könne aber nicht alles so schnell gehen, wie dies gerade vom Westen gefordert und erwartet werde.

Bizarrer Auftritt Infantinos

Die FIFA vertraut seit Jahren den Versprechungen Katars. Ihr Präsident Gianni Infantino fiel erst kürzlich mit einem bizarren Auftritt auf, als er das Publikum in der katarischen Hauptstadt Doha zum Start der Volunteers-Rekrutierung aufforderte, zunächst "Katar, Katar, Katar" und dann die "FIFA, FIFA, FIFA" anzufeuern.

Der Weltverband wird in dem Bericht von Amnesty dazu aufgefordert, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um die aufgeführten Missstände zu beheben. So sollten "menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen" vorgenommen und veröffentlicht werden. Außerdem solle die FIFA "weiterhin öffentlich und privat ihren Einfluss geltend machen und Katar zur vollständigen Umsetzung und Durchsetzung seiner Arbeitsreformen drängen".

Ansonsten, so die Menschenrechtsorganisation, könne sich die Lage für "diejenigen Arbeitskräfte, die nach dem Ende des Turniers in Katar bleiben, sogar noch weiter zuspitzen".

Kritik auch von Human Rights Watch

Einen Tag vor Amnesty International war auch Human Rights Watch den Weltverband hart angegangen. Anstatt die Behörden zum Handeln zu drängen, habe die FIFA Katars "Selbstgefälligkeit" gedeckt, kritisierte die Menschenrechtsorganisation. Der Verband habe die Pflicht, Wiedergutmachung für die mitverursachten Missstände zu leisten, sei dieser Verantwortung aber bisher nicht nachgekommen, so Human Rights Watch.