Fußball | WM 2022 in Katar Klaveness über Ausbeutung in Katar: "Wir wollen angemessene Entschädigung"

Stand: 11.04.2022 21:00 Uhr

Die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness hat im Sportschau-Interview über die Zusammenarbeit mit dem DFB bei der Einrichtung eines Hilfsfonds für die Opfer der Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen in Katar gesprochen.

Klaveness habe sich mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf in einem Telefonat über die konkrete Zusammenarbeit verständigt, sagte sie am Montag (11.04.2022) im Sportschau-Interview.

Dabei gehe es vor allem um die Einrichtung eines "Migrant Workers' Center", eines Hilfsfonds für Arbeitsmigrant*innen, die auf den WM-Baustellen verletzt oder zu Tode gekommen seien, und eine mögliche Entschädigung für die Opferfamilien.

Hilfsfonds für WM-Arbeiter: Klaveness und Neuendorf wollen Druck verstärken

Zwar habe es in Katar nach dem Bekanntwerden von Menschenrechtsverstößen auf den WM-Baustellen in den vergangenen Jahren Veränderungen gegeben, sagte Klaveness. Doch für die Opfer und deren Angehörige sei es nach wie vor schwierig, zu ihrem Recht zu kommen. Sie sei sich mit Neuendorf einig, dass der geplante Hilfsfonds "von höchster Wichtigkeit" sei: "Wir werden dies gemeinsam angehen", sagte Klaveness. "Wir wollen sicherstellen, dass Familien von getöteten und verletzten Arbeitern angemessen entschädigt werden."

Bei der Zusammenarbeit mit dem DFB gehe es darum, das Thema weiter voranzubringen, so Klaveness. Und um die Frage, den Druck auf die katarischen WM-Organisatoren zu erhöhen. "Es ist für uns sehr wichtig, konkrete Veränderungen zu erreichen", betonte Klaveness nach dem Gespräch mit dem DFB-Präsidenten.

Außerdem habe man darüber gesprochen, wie wirkliche Rechtssicherheit für Angehörige der LGBTQ+-Community geschaffen werden könnte, die zum WM-Turnier in ein Land reisen wollen, in dem homosexuelle Handlungen offiziell unter Strafe stehen.

Katar habe längst noch nicht den Level erreicht, den man eigentlich von einem WM-Gastgeber verlangen müsste, sagte Klaveness im Sportschau-Interview. Als Beispiel dafür führte sie die Situation für LGBTQ+-Menschen an. Alle Verbände, nicht nur aus Deutschland und Norwegen, müssten weiter auf Veränderungen drängen, forderte sie. Es gehe auch darum, wie sich der internationale Fußball positioniere. Und um das Vermächtnis dieser Weltmeisterschaft, die bereits einen dunklen Fleck habe.

Klaveness über DFB: "Bedeutende Rolle" bei FIFA-Reform

Klaveness appellierte an die Führungsverantwortung der Verbände. Der internationale Fußball müsse dringend mehr für Werte einstehen, forderte Klaveness. Es gehe nicht nur um Katar, sondern grundsätzlich um Demokratie, Transparenz oder Herausforderungen wie die Super-League-Pläne einiger großer Klubs. "Dafür ist es wichtig, dass wir Allianzen mit mehreren Verbänden bilden und als Wächter agieren. Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden und überfällige Grundsatzdebatten voranbringen."

Deutschland als wichtige Fußballnation habe dabei eine bedeutende Rolle, sagte Klaveness. Auch der englische Verband habe Kontakt zu ihr aufgenommen. Es sei wichtig, große Verbände an der Seite zu haben, so Klaveness. Nur so könnten Probleme wirklich angegangen werden: "Es geht nicht nur um Worte. Sondern um konkrete Maßnahmen und Verbesserungen." Im Fall von Katar sei es allerdings versäumt worden, ethische Aspekte und die Menschenrechtssituation frühzeitig, schon bei der Vergabe der WM, anzusprechen.

Umso wichtiger, so Klaveness, sei es, dass Führungskräfte in den Verbänden künftig mehr aus der Deckung kämen und Missstände ansprechen, auch während der WM in Katar, sollte dies angezeigt sein. Der norwegische Verband, der im Vorjahr sogar über einen möglichen WM-Boykott abstimmte, werde sich weiter für Reformen einsetzen und Koordinierungsaufgaben übernehmen, auch wenn Norwegens Fußballer bei der WM in Katar zuschauen müssen.

Den russischen Verband sieht Klaveness aktuell nicht als Verbündeten. Klaveness sprach sich gegenüber der Sportschau für einen Ausschluss des russischen Verbandes aus, gerade wegen der Verstrickung russischer Sportfunktionäre mit dem Regime Wladimir Putins. Putin habe den Fußball lange für politische Zwecke genutzt, auch daraus ergebe sich eine besondere Verantwortung, sagte Klaveness. Solange Russland Krieg gegen die Ukraine führe, könne der Verband nicht Teil der Fußball-Familie bleiben: "Wenn russische Mannschaften ausgeschlossen werden, dann muss man die Spitze des russischen Fußballs ebenfalls ausschließen."

Neuendorf: Unterstützung wäre "tolles Zeichen von Katar und FIFA"

DFB-Präsident Neuendorf hatte der norwegischen Verbandspräsidentin nach ihrer Kritik auf dem FIFA-Kongress seine Unterstützung angeboten. Neuendorf hatte am vergangenen Samstag als Gast im Sportstudio des ZDF gesagt, dass der DFB einen Hilfsfonds für die Familien der an den WM-Baustellen in Katar verstorbenen Arbeiter befürworte. "Ich würde das unterstützen", so der deutsche Verbandspräsident: "Wir wissen über Todesfälle an den Baustellen. Aber wir wissen nicht, wie es den Familien geht und wie mit denen umgegangen wird. Die sind in der Regel von diesem Geld abhängig."

Er fände es "ein tolles Zeichen der Katarer und der FIFA, wenn sie das unterstützen würden", führte der 60-Jährige aus: "In erster Linie ist die FIFA gefragt, die über die Verbände einen Topf kreieren müsste, der helfen kann."

Klaveness hatte beim Kongress Änderungen gefordert

Klaveness hatte beim FIFA-Kongress am 31. März eindringlich zu Veränderungen im Umgang mit Menschenrechten und Diversität aufgerufen. "Die FIFA muss als Vorbild agieren", sagte Klaveness (40) während der Vollversammlung in Doha. Jeder Mensch müsse "mit demselben Respekt" behandelt werden.

Die WM 2022 in Katar sei im Jahr 2010 unter "inakzeptablen Umständen und mit inakzeptablen Konsequenzen" an das Emirat vergeben worden. Der WM-Gastgeber steht seit Jahren wegen der Menschenrechtslage und den Bedingungen für ausländische Arbeiter in der Kritik.

FIFA-Präsident Infantino verwies wie auch WM-Organisationschef Hassan Al-Thawadi auf Fortschritte in Katar. Menschenrechtsorganisationen kritisieren aber die mangelhafte Umsetzung von Reformen.