Oliver Bierhoff (l.), Geschäftsführer Nationalmannschaften und DFB-Akademie, mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf

Nachhaltigkeit der EM-Stimmung Braucht DFB bei Frauen-Bundesliga mehr Start-up-Geist?

Stand: 31.07.2022 08:09 Uhr

Die Frauen-Nationalmannschaft ist dank ihrer Erfolge bei der EM gerade in aller Munde. Doch was passiert nach dem Turnier? Die Professionalisierung in der Bundesliga soll und muss weiter voranschreiten. Doch über den Weg zum Ziel wird sehr kontrovers diskutiert.

Von Florian Neuhauss (London)

Die Bundesliga hofft, dass sie von der Begeisterung rund um die Nationalmannschaft profitieren kann - mal wieder. Zweifel sind angebracht: In der Vergangenheit blieb sowohl nach der Heim-WM 2011 als auch nach dem Olympiasieg 2016 ein Schub aus. Auch weil der DFB viel zu lange viel zu wenig unternommen hat. Und so haben Jahr für Jahr immer weniger Frauen und Mädchen in Deutschland Fußball gespielt.

Aber der neue DFB-Präsident ist sich sicher, dass es diesmal anders laufen wird. "Wir haben immer gesagt, wir brauchen Sichtbarkeit. Und mehr Sichtbarkeit als Wembley geht eigentlich nicht", sagte Bernd Neuendorf, der den Finaleinzug der Nationalmannschaft gegen Frankreich (2:1) im Stadion von Milton Keynes mitverfolgte und verwies auf das im Präsidium beschlossene Programm zur Stärkung des Frauenfußballs. Er sei zudem im Gespräch mit dem Geschäftsführer Nationalmannschaften, Oliver Bierhoff, und auch mit der Liga selbst.

Wir brauchen eine erfolgreiche Spitze auch für die Breite - und diesen Schub erhoffen wir uns nun insgesamt.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf

"Wir werden auf ganz vielen verschiedenen Ebenen aktiv sein. Wir werden versuchen, die Präsenz nachhaltig zu etablieren", versprach der Präsident, der auch "unsere 25.000 Vereine aktivieren" will.

Gute Voraussetzungen, dass der Erfolg diesmal nachhaltig sein wird, sieht auch Birgit Bauer-Schick vom SC Freiburg. "Gerade in den aktuellen EM-Wochen funktionieren Disziplinen wie Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für die Frauen-Nationalmannschaft sehr gut. Die EM-Spiele erzielen gute Einschaltquoten in den öffentlich-rechtlichen Sendern", sagte die Abteilungsleiterin und fügte hinzu: "Das Ziel muss es jetzt sein, diese positive Entwicklung auch in den Liga-Alltag mitzunehmen."

Kommt die reine Profi-Bundesliga?

Jörg Neblung ist da skeptisch, die Maßnahmen gehen ihm noch nicht weit genug. So wie Nationalspielerin Lina Magull, die zuletzt einen Mindestlohn zwischen 2.000 und 3.000 Euro für die Bundesliga gefordert hat, sagte auch der Spielerinnen-Berater: "Es muss eine Grundversorgung für die Spielerinnen geben, sie müssen professionell arbeiten können. Und ich glaube, dass sich der DFB dem Thema nicht mehr entziehen kann. Der Verband bekommt Druck von allen Seiten. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis aus der Bundesliga eine Profiliga wird."

Immer wieder wurden auch Forderungen laut, die Frauen-Bundesliga solle sich aus dem DFB ausgliedern und der Deutschen Fußball Liga (DFL) anschließen. Bauer-Schick betonte - wie die meisten anderen Vereinsvertreter auch: "Ich kann nur sagen, dass wir uns aktuell beim DFB gut aufgehoben fühlen."

Reise der DFB-Akademie nach England

Der Verband hat mittlerweile auch erkannt, dass er etwas tun muss, beschreitet aber andere Wege. Während der EM veranstaltete die DFB-Akademie eine Reise für Vertreter und Vertreterinnen der Bundesliga-Clubs nach England. Insgesamt 17 Personen von zehn Clubs - Leverkusen und Duisburg waren nicht vertreten - nahmen die Einladung an. Zum Reiseprogramm gehörten neben dem Besuch des deutschen Spiels gegen Spanien auch Vorträge und eine Stippvisite bei den Frauen von Tottenham Hotspur.

"Es war interessant zu sehen, wie sich die Mannschaften entwickeln, die auf der Stufe hinter den Champions-League-Clubs Chelsea und Arsenal stehen, wie professionell diese arbeiten und mit welchem klaren Plan für die Zukunft sie sich aufstellen wollen", sagte Wolfsburgs Koordinator Frauenfußball, Tobias Trittel, der an der Reise teilgenommen hat.

"Nur England kommt als Vorbild infrage" - oder doch nicht?

Die englische Liga ist längst zur Nummer eins in Europa aufgestiegen. Nicht zuletzt, weil die Football Association (FA) die großen Männerclubs dazu verpflichtet hat, ebenso professionell Frauenteams zu betreiben. Den Vorschlägen, diese Idee auf Deutschland zu übertragen, hat DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich zuletzt wieder eine Absage erteilt. Auch Freiburgs Bauer-Schick sagte knapp: "Davon halte ich nichts."

Der DFB muss in Vorleistung gehen. Man muss das Produkt erst richtig entwickeln, bevor man es verkauft.
Spielerinnenberater Jörg Neblung

Dass viele Spielerinnen in Deutschland noch immer nicht als Profis gelten, die von ihrem Sport allein leben können, führt zu anderen Problemen. "Wenn eine deutsche Spielerin, die nicht bei den großen Clubs international oder in der Nationalmannschaft dabei ist, nach England wechseln will, geht das nicht", erklärte Berater Neblung, der mittlerweile 40 Klientinnen in seiner Kartei hat. "Die FA verteilt bestimmte Punkte, die zur Erlangung der Arbeitserlaubnis und somit das Visum notwendig sind."

Weil in Italien die Spielerinnen zum Beispiel als Mitarbeiterinnen auf der Geschäftsstelle angestellt gewesen seien, war es den Clubs nicht möglich, Ablösesummen zu zahlen. "Und dann wurde innerhalb von vier Monaten eine Profiliga gegründet", berichtete Neblung. Als Vorbild solle sich Deutschland allerdings weder Italien noch Spanien nehmen. Sportlich sieht er die Bundesliga auf einem Level mit Frankreich - nur England käme als Vorbild infrage.

Infrastruktur soll in der Liga zur Pflicht werden

Bauer-Schick betonte, dass die Liga plane, künftig wie in der Dritten Liga der Männer bestimmte Mindeststandards in der Infrastruktur zu etablieren. Auch wenn das ein "zweischneidiges Schwert" sei, weil "reine Frauenfußballklubs und kleine Vereine solche Lizenzvorgaben oftmals nur schwer umsetzen können". Die Freiburger Managerin stellte aber auch klar: "Für die Professionalisierung des Frauenfußballs ist das auf lange Sicht unabdingbar."

Bessere Rahmenbedingungen dank Männer-Abteilungen

Ihr Club hat in der vergangenen Saison selbst einen großen Schritt gemacht. Durch den Umzug der Männer in das neue Stadion ist das alte an der Dreisam freigeworden. "Unsere Bundesliga-Frauen haben nun Rahmenbedingungen, die professionelles Arbeiten möglich machen", freute sich die 58-Jährige. "Seit Februar dieses Jahres trainieren wir an der Schwarzwaldstraße. In der Rückrunde haben wir nur gegen Bayern und Wolfsburg verloren, sonst immer gepunktet. Sicherlich liegt diese starke Rückrunde nicht nur an den neuen Bedingungen, sie sind aber definitiv ein Baustein für den Erfolg."

Während die Sportliche Leiterin Nicole Bender vom 1. FC Köln, der im Mai erstmals in seiner Geschichte den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft hat, darüber nachdenkt, in der kommenden Saison ein "Frauen-Spiel im großen Stadion, in unserem großen Wohnzimmer" durchzuführen, haben andere Clubs solche Möglichkeiten nicht. Turbine Potsdam und die SGS Essen haben keine stärkere Männerabteilung hinter sich. Und auch der SV Meppen und der MSV Duisburg sind nicht in der Lage, die Bedingungen auf einen Schlag deutlich zu verbessern.

Bleiben kleine Clubs auf der Strecke?

In der neuen Saison spielen acht Clubs in der Bundesliga, die auch ein Pendant in der Männer-Bundesliga haben. Aus der Zweiten Liga könnte in der folgenden Saison allenfalls RB Leipzig als Männer-Bundesligist auch zum Frauen-Bundesligisten werden. Dass das Ausrufen einer kompletten Profi-Bundesliga dazu führen könnte, dass gar nicht genug Vereine für die Zwölfer-Liga zur Verfügung stehen, glaubt Neblung nicht - und blickt dafür über die Alpen: "In Italien hat zum Beispiel Empoli seine Lizenz an Parma verkauft. Und Hellas Verona hat sich freiwillig zurückgezogen. Dann müssen oder dürfen andere Clubs nachrücken."

Ambitionierte Projekte gebe es jedenfalls genug. Während Schalke 04 zwar in der vergangenen Saison eine Frauenmannschaft gegründet hat, diese aber als Teil des Breitensportangebots betrachtet, kämpft zum Beispiel der Hamburger SV wieder um die Rückkehr in die Zweite Liga. Mainz 05 ist beim Drittligisten Schott Mainz eingestiegen. Und auch der VfB Stuttgart strebt nach oben.

Borussia Dortmund ist im ersten Jahr seiner Frauenfußball-Abteilung gleich in die Bezirksliga aufgestiegen. Das Ziel ist organisches Wachstum, Abkürzungen durch Fusionen mit anderen Clubs - wie im Fall von Eintracht Frankfurt und dem 1. FFC - sind nicht angedacht. "Das ist schade, weil die Liga den BVB jetzt und nicht erst in sieben Jahren gebrauchen könnte", sagte Neblung.

"Mit professionellerer Liga lässt sich einfacher Geld verdienen"

Der Spielerinnenberater hat seine Agentur Fem11 vor vier Jahren gegründet und berät auch eingige Nationalspielerinnen. Die GmbH betrachtet der 54-Jährige trotzdem nach wie vor als Start-up-Unternehmen. Geld verdiene er mit dem Frauenfußball immer noch nicht. Alle Einnahmen stecke er gleich wieder in die Agentur. Die Provisionen für die Berater und Beraterinnen beziffert Neblung auf unter ein Prozent der Zahlungen bei den Männern.

Einen ähnlichen Start-up-Geist erwartet er vom Verband. "Der DFB muss in Vorleistung gehen. Man muss das Produkt erst richtig entwickeln, bevor man es verkauft", betonte Neblung. Oder anders gesagt: Wenn die Liga und ihre Spiele professioneller daherkommen, ist es auch für Verband und Clubs einfacher, Geld damit zu verdienen.

Verband hofft auf besseren TV-Vertrag - und WM im eigenen Land

Der DFB setzt allerdings darauf, dass ein neuer Fernsehvertrag das für die Professionalisierung der Liga notwendige Geld bringt. Die Frauen-Bundesliga habe "zuletzt ein kontinuierliches Wachstum und insbesondere über den Ausbau der TV-Präsenz eine deutlich gesteigerte Sichtbarkeit erreicht", sagte Geschäftsführer Holger Blask von der DFB GmbH & Co. KG. Der gesamte Frauenfußball erfahre durch "die begeisternden Leistungen unserer Nationalmannschaft" bei die EM sowie die Dokumentation 'Born for this' zusätzliche Aufmerksamkeit.

Es wäre ein extrem schönes Zeichen, die WM 2027 nach Deutschland zu holen.
DFB-Akadamie-Leiter Tobias Haupt

Die UEFA-Abteilungsleiterin Nadine Keßler hatte zuletzt gefordert, der Frauenfußball dürfe zwischen EM und WM nicht immer wieder in Vergessenheit geraten. Die nächste Weltmeisterschaft findet durch die Corona-bedingte Verlegung der Europameisterschaft von 2021 auf 2022 bereits im kommenden Jahr (20. Juli bis 20. August) in Australien und Neuseeland statt. Die Lücke ist also überschaubar.

Und dann plant der DFB, die WM 2027 nach Deutschland zu holen. "Das wäre ein extrem schönes Zeichen", sagte Akademie-Leiter Tobias Haupt. "Für den deutschen Frauenfußball wäre es überragend, wieder eine WM im eigenen Land zu haben. Dafür werden gerade die Weichen im Hintergrund beim DFB gestellt. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass es auch gelingt, das Turnier nach Deutschland zu holen." Jetzt muss nur noch der Funke, den die Nationalmannschaft entfacht hat, auch auf die Bundesliga überspringen.