Viertelfinale in Baku Tschechiens Abwehrbollwerk trotzt dem modernen Fußball

Stand: 02.07.2021 18:04 Uhr

Tschechien hat sich ins EM-Viertelfinale vorgekämpft. Der Stil der Mannschaft von Trainer Jaroslav Silhavy wirkt fast schon antiquiert, ist aber äußerst effektiv. Gegen Dänemark soll erneut der besondere Teamgeist entfaltet werden.

Die Sensation ist schon ein paar Tage her. Aber der EM-Achtelfinalsieg Tschechiens gegen die Niederlande hat für große EM-Begeisterung in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Land gesorgt. Erinnerungen an das Team von 1996 werden bei den Menschen wach. Damals waren sie ganz nah dran, den Titel zu gewinnen - ehe Oliver Bierhoff kam und die deutsche Nationalmannschaft mit dem ersten und einzigen "Golden Goal" der EM-Geschichte zum Titel führte.

All das ist ein Vierteljahrhundert her. Aber die Erinnerungen kann den Tschechen niemand nehmen. Auch nicht dem ehemaligen Bundesligaprofi Frantisek Straka. "Vergleiche mit der tschechischen Mannschaft von 1996 halte ich nicht für sinnvoll. Das Team war absolut außergewöhnlich. Aber eine Sache ist tatsächlich ähnlich: der Mannschaftsgeist", sagt der 63-Jährige.

Keine internationalen Stars

Anders als in vergangenen Jahrzehnten verfügen die Tschechen bei diesem Turnier über keinen international bekannten Starspieler. Wo einst Pavel Nedved die Fäden zog und das Spiel dirigierte, versucht es das Team von Trainer Jaroslav Silhavy heute mit mannschaftlicher Geschlossenheit.

Besonders auffällig ist das in der Defensive. Lediglich zwei Gegentore ließen die Tschechen in den bisherigen vier Partien zu. Der uralte Glaubenssatz im Fußball, dass die Offensive Spiele gewinnt, die Defensive dafür Meisterschaften, füllen die Tschechen derzeit wieder mit Leben.

Silhavy lässt mit Manndeckung spielen

Und gerade die Spieler der Niederlande bekamen im Achtelfinale die kompromisslose Herangehensweise zu spüren. Gegen die zuvor so offensivstarke "Elftal" wendete Silhavy eine außergewöhnliche Taktik an.

Er ließ seinen Defensivverbund um die defensiven Mittelfeldspieler Tomas Soucek und Tomas Holes teils über den gesamten Platz in Manndeckung agieren. Eine Taktik, die viele Trainer im modernen Fußball als altbacken, uneffektiv und antiquiert ablehnen. Doch die Tschechen ficht das nicht an. Attraktivität ist nicht ihr Maßstab.

Überalterter Spielstil?

Das Resultat dieses längst als überaltert geglaubten Spielstils: Die Tschechen ließen lediglich fünf Torschüsse zu und damit so wenige wie seit Datenerfassung in keinem anderen EM-Spiel. Die Niederländer rannten sich immer wieder fest und verzweifelten schier an dem massiven Abwehr-Bollwerk. "Wir wussten, dass wir als Team auftreten mussten. Und wir taten es. Und wir taten es, als es darauf ankam", sagte Silhavy.

Torhüter Tomas Vaclik musste gegen die Niederlande keinen einzigen Torschuss abwehren. Zudem bewahrte er sein Team mit einer spektakulären Rettungsaktion gegen den allein auf ihn zu stürmenden Donyell Malen vor einem Rückstand, als er sich den Ball von den Füßen des niederländischen Angreifers schnappte.

Der 32-Jährige, der beim FC Sevilla Reservist war und seit dem 1. Juli vereinslos ist, reiste deshalb ohne große Spielpraxis zum Turnier - war aber schon in der Vorrunde eine wichtige Stütze: Vaclik wehrte bemerkenswerte 80 Prozent der Schüsse auf sein Tor ab.

Holes ist der EM-Gewinner

Eine besondere Geschichte schreibt Holes bei dieser EURO 2020. Der 28-Jährige debütierte erst vor rund zehn Monaten im Nationalteam, wäre also ohne Verschiebung der EM gar nicht beim Turnier dabei gewesen. Nun ist Holes als sogenannter "Sechser" schier unverzichtbar.

Im Achtelfinale war er der überragende Tscheche. Gegen die Niederlande schaltete Holes nicht nur den besten Turniertorschützen der "Elftal", Georginio Wijnaldum, aus, sondern sorgte auch selbst vorne für die entscheidenden Akzente. Zunächst brachte der Profi von Slavia Prag sein Team mit 1:0 in Führung. Zwölf Minuten später, schon von Wadenkrämpfen geplagt, legte er auch noch das 2:0 von Angreifer Patrik Schick auf. 

Mit diesem massiven Defensiv-Konstrukt können die Tschechen ihre bislang durchschnittliche Trefferquote mit fünf Toren kompensieren. "Wir werden alles geben, um weiter für Aufsehen zu sorgen", sagt Trainer Silhavy.